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Menschen auf der Flucht

Das Stück "Am falschen Ort" basiert auf Original-Interviews mit Kriegsflüchtlingen aus dem Irak, Serbien oder Afghanistan, die jetzt in Rumänien leben. Entstanden ist ein lehrreiches Stück über die politischen Realitäten in Europa.

Von Christian Gampert | 01.07.2013
    In einer Art Container, einem weißen Kubus, sitzen fünf halbnackte Gestalten. Aber auch wenn man sich vorstellt, dass viele Asylanten in solchen Materialbehältern über die Grenzen der EU geschmuggelt werden: So schick wie diese, sehen die meisten Migranten wohl nicht aus. Sind das Unterwäsche-Models? Sie ziehen sich dann an, Kapuzenpulli die eine, Hosenanzug die andere. Aber: nur kein Naturalismus! Der Regisseur Manuel Braun, der vom Film kommt, will jeden Anklang an Gorkis "Nachtasyl" vermeiden. Nein, alles muss klinisch sauber und analytisch korrekt sein, obwohl die Texte dann sehr wohl aus der Tiefe des sozialen und politischen Elends zu uns rufen.

    Aber es sind eben keine Theatertexte, sondern verdichtete O-Töne, Ergebnisse einer sozialwissenschaftlichen Studie. Alice Monica Marinescu und David Schwartz haben sich in Bukarest mit Flüchtlingen und Bewohnern eines jüdischen Altenheims unterhalten und deren oft schauerliche Lebensgeschichten zu einem Stück kompiliert. Die jüngste Figur, Jamal, ist Afghane, der im Iran schikaniert wurde und nach Rumänien weiterfloh. Samira floh vor dem Krieg aus dem Irak, jetzt ist sie in Rumänien geduldet, sie sucht Arbeit und hat Vorurteile gegen Zigeuner. Auch Sonia aus Serbien ist Kriegsflüchtling; nun schlägt sie sich mit der rumänischen Einwanderungsbehörde herum, damit ihre Kinder es einmal besser haben. Und Yamen ist ein in Kuwait aufgewachsener Palästinenser; seine Ausreise nach Rumänien machte ihn zum Staatenlosen.

    Wenn man diese Geschichten hört, möchte man die Leute ans Herz drücken und sagen: Kommt alle zu uns, die ihr mühselig und beladen seid. Und doch weiß man, dass das wahrscheinlich nicht geht, weil die EU nicht die halbe Welt bei sich aufnehmen kann; die sozialen und kulturellen Spannungen, der Kampf um die Arbeitsplätze wären immens.
    Was ein politisch Verfolgter ist, das war im Zweiten Weltkrieg noch klarer. Diese Zeitebene wird von der jüdischen Altenheimbewohnerin Estera erzählt, die nach einer Odyssee durch Bessarabien, die Ukraine und Usbekistan wieder in Rumänien landet und dort nun als alte Frau aus ihrer Wohnung geworfen wird. Mittlerweile ist der Druck der Religionskämpfe und der ökonomischen Globalisierung aber so stark, dass fast alle Menschen aus den Schwellenländern Grund zum Weglaufen haben.

    Wie erzählt man das auf dem Theater? Die Interviews, in denen die Verfolgten offenbar in gebrochenem Rumänisch sprachen, sind nun in ein gebrochenes Deutsch gebracht; aber einzig die famose Joana Kitzl setzt den Fremdsprach-Slang auch lautlich um. Die anderen deuten die Fremdheit sinnvollerweise nur an, sonst würde das Ganze auch zu exotisch. Eine Reihung von Lebensgeschichten ergibt aber noch keinen Theatertext – und das dokumentarische Theater signalisiert, selbst bei seinen besten Autoren, bei Kipphard, Hochhuth oder Peter Weiss, immer auch einen Mangel an Phantasie. Eine Person glaubhaft zu erfinden, ist eben ungleich schwieriger, als ein reales Schicksal betroffenheitsdüster vorzustellen.

    Dennoch ist dieses theatralische Unternehmen sinnvoll. Es heißt "am falschen Ort", und man fragt sich in der Tat, wo denn der richtige Ort für diese Menschen wäre. Zu Hause, gegen unwürdige Verhältnisse kämpfend? Man sieht, was dann ist: in der Türkei, in Ägypten, in Syrien, im Iran. Der Einzelne ist ein Nichts, wenn er in die Mühlräder der Geschichte gerät oder sich mit dem Staat anlegt (übrigens auch in Deutschland), und manchmal kommt einem in diesem Stück der Verdacht, dass zwischen dem konkreten Leid der Individuen und den Ansprüchen der Politik keinerlei Zusammenhang mehr besteht. Insofern wirkt es gleichzeitig bizarr und naiv, wenn der Regisseur Texte der rumänischen Verfassung oder der Genfer Konvention im Chor rezitieren lässt, "das universelle Recht der Kinder" auf Bildung und dergleichen. Aber es ist lehrreich, das einmal zueinander in Bezug zu setzen. Obwohl die Figuren auf der Bühne mit der Zeit an Kontur gewinnen und die Regie harte Schnitte setzt, ist dies kein wirklich mitreißender Abend. Und doch wirken die Container-Bilder nach – und die Erkenntnis, dass wir in Zeiten einer neuen Völkerwanderung leben.