Zwei Jahre hat der neue Direktor der Staatsgalerie, Sean Rainbird, wegen der fehlenden Vorausplanung seines Vorgängers warten müssen, ehe er nun mit einer eigenen Großausstellung aufwarten kann. Das Thema ist schwierig, denn Matisse ist immer eine Art Neben-Picasso gewesen, ein bisschen zahmer, blasser, im Farbton cremiger und in der Komposition gefälliger.
War Picasso auch in der Formensprache der Triebmensch, der Faun, der Frauenverschlinger, so steht Matisse letztlich doch für das Gebändigte, Durchdachte, Figurative, auch Dekorative, für den malerischen Triebverzicht, bei aller erotischen Spannung, die zwischen Maler und Modell so zu herrschen pflegt.
Rainbird und seine Kuratorin Ina Conzen präsentieren nun die Porträts, ein Thema, das in einer Ausstellung noch nie behandelt wurde. Und siehe, wir entdecken ganz neue, persönliche Seiten an Matisse, den Freund, liebenden Vater, den Familienmenschen, und wir erleben - im Zusammenspiel von Zeichnung, Gemälde, Skulptur - jenen Prozess der Verdichtung, der Annäherung an ein Gesicht, der Suche nach den formal wesentlichen Elementen, der in der Spätphase dann in die Reduktion, ins Zeichenhafte münden wird.
Der erst auf den zweiten Blick schlüssige Parcours - alles soll mit allem in Verbindung gebracht und verglichen werden - beginnt mit den schrillfarbigen Porträts der fauvistischen Freunde, Dérain und Marquet, und geht über die - bereits flächigen - Darstellungen exotischer Frauenfiguren, Vorläufer der Odalisken, zu einer Skulpturengruppe, die das Modell Jeanne Vaderin in fünffacher Ausfertigung zeigt.
Schon hier, zwischen 1910 und 1916, ist die Arbeitsweise von Matisse erkennbar: Auf der Suche nach dem Einzigartigen, durchaus auch Hässlichen einer Person landet er stets bei stilisierten Formen. Der Einfluss russischer Ikonen und vor allem afrikanischer Plastiken ist unverkennbar.
Dieses Präsentations-Prinzip wird die Ausstellung beibehalten: Wo vorhanden, werden Serien desselben Modells gezeigt - und mit Vorliebe auch die vorbereitenden Zeichnungen, die freilich oft beeindruckender sind als das ausgeführte Gemälde. Ein Kubist war Matisse nie so richtig, vielleicht noch nicht einmal ein überzeugter Fauvist; ganz sicher aber war er ein großartiger Zeichner. Die Radierungen und die mit sparsamsten Linien arbeitenden Kohlezeichnungen gehören zu denn intensivsten Werken der Ausstellung - das gilt für das gegenständliche Portrait des Sammlers Sergej Schtschukin von 1912 ebenso wie für die nur noch mit Versatzstücken spielenden Nadia-Aquatintas der späten 1940iger Jahre.
Auch in der Phase, die die Ausstellung als kubistisch-experimentell bezeichnet, dominiert bei Matisse das Spielerische. Das Flächige und Maskenhafte, das die Gesichter der Sammler Sarah und Michael Stein 1916 haben, weicht bei längerer Betrachtung durchaus persönlichen Zügen. Das Porträt der Yvonne Landsberg, in der Ölversion eine Maske mit konzentrisch angeordneten Engelsflügeln, wird relativiert durch eine schmale Zeichnung, in der die Porträtierte als dickliche Schickse erscheint.
Matisse ist berühmt für die gemusterten, irgendwie tapetenartig-dekorativ wirkenden Innen- und Außenräume, in denen die Menschen wie Gegenstände behandelt sind; und für die knallbunten Schablonenbilder der Spätphase, die nur noch mit Formen experimentieren. All das wird in dieser Ausstellung nur am Rande berührt. Dafür gibt es ein paar grandiose Werke - etwa den "grauen Akt mit Armband" von 1914 - und einen differenzierten Überblick über die Zeit in Nizza, als Matisse diverse Modelle verschliss, Antoinette, Henriette, Laurette: Masken mit Schleier, hingestreckt wie bei Modigliani, umgeben von Mustern, Flächen, Signalfarben. Keine von ihnen ist auffordernd, lüstern, freundlich. Sie bleiben Vorformen des Scherenschnitts, körperlicher Anlass zur Formenerkundung.
Kein Wunder also, dass die Reise in der absoluten Reduktion endete. Die Ausstellung schließt die letzten schwarzweißen Porträts, nach einem genialen Punkt-Punkt-Komma-Strich-Schema konstruiert, in einem schönen Zirkel an die farbig-fauvistischen Köpfe der Frühzeit an - aber da war das alles schon angelegt.
War Picasso auch in der Formensprache der Triebmensch, der Faun, der Frauenverschlinger, so steht Matisse letztlich doch für das Gebändigte, Durchdachte, Figurative, auch Dekorative, für den malerischen Triebverzicht, bei aller erotischen Spannung, die zwischen Maler und Modell so zu herrschen pflegt.
Rainbird und seine Kuratorin Ina Conzen präsentieren nun die Porträts, ein Thema, das in einer Ausstellung noch nie behandelt wurde. Und siehe, wir entdecken ganz neue, persönliche Seiten an Matisse, den Freund, liebenden Vater, den Familienmenschen, und wir erleben - im Zusammenspiel von Zeichnung, Gemälde, Skulptur - jenen Prozess der Verdichtung, der Annäherung an ein Gesicht, der Suche nach den formal wesentlichen Elementen, der in der Spätphase dann in die Reduktion, ins Zeichenhafte münden wird.
Der erst auf den zweiten Blick schlüssige Parcours - alles soll mit allem in Verbindung gebracht und verglichen werden - beginnt mit den schrillfarbigen Porträts der fauvistischen Freunde, Dérain und Marquet, und geht über die - bereits flächigen - Darstellungen exotischer Frauenfiguren, Vorläufer der Odalisken, zu einer Skulpturengruppe, die das Modell Jeanne Vaderin in fünffacher Ausfertigung zeigt.
Schon hier, zwischen 1910 und 1916, ist die Arbeitsweise von Matisse erkennbar: Auf der Suche nach dem Einzigartigen, durchaus auch Hässlichen einer Person landet er stets bei stilisierten Formen. Der Einfluss russischer Ikonen und vor allem afrikanischer Plastiken ist unverkennbar.
Dieses Präsentations-Prinzip wird die Ausstellung beibehalten: Wo vorhanden, werden Serien desselben Modells gezeigt - und mit Vorliebe auch die vorbereitenden Zeichnungen, die freilich oft beeindruckender sind als das ausgeführte Gemälde. Ein Kubist war Matisse nie so richtig, vielleicht noch nicht einmal ein überzeugter Fauvist; ganz sicher aber war er ein großartiger Zeichner. Die Radierungen und die mit sparsamsten Linien arbeitenden Kohlezeichnungen gehören zu denn intensivsten Werken der Ausstellung - das gilt für das gegenständliche Portrait des Sammlers Sergej Schtschukin von 1912 ebenso wie für die nur noch mit Versatzstücken spielenden Nadia-Aquatintas der späten 1940iger Jahre.
Auch in der Phase, die die Ausstellung als kubistisch-experimentell bezeichnet, dominiert bei Matisse das Spielerische. Das Flächige und Maskenhafte, das die Gesichter der Sammler Sarah und Michael Stein 1916 haben, weicht bei längerer Betrachtung durchaus persönlichen Zügen. Das Porträt der Yvonne Landsberg, in der Ölversion eine Maske mit konzentrisch angeordneten Engelsflügeln, wird relativiert durch eine schmale Zeichnung, in der die Porträtierte als dickliche Schickse erscheint.
Matisse ist berühmt für die gemusterten, irgendwie tapetenartig-dekorativ wirkenden Innen- und Außenräume, in denen die Menschen wie Gegenstände behandelt sind; und für die knallbunten Schablonenbilder der Spätphase, die nur noch mit Formen experimentieren. All das wird in dieser Ausstellung nur am Rande berührt. Dafür gibt es ein paar grandiose Werke - etwa den "grauen Akt mit Armband" von 1914 - und einen differenzierten Überblick über die Zeit in Nizza, als Matisse diverse Modelle verschliss, Antoinette, Henriette, Laurette: Masken mit Schleier, hingestreckt wie bei Modigliani, umgeben von Mustern, Flächen, Signalfarben. Keine von ihnen ist auffordernd, lüstern, freundlich. Sie bleiben Vorformen des Scherenschnitts, körperlicher Anlass zur Formenerkundung.
Kein Wunder also, dass die Reise in der absoluten Reduktion endete. Die Ausstellung schließt die letzten schwarzweißen Porträts, nach einem genialen Punkt-Punkt-Komma-Strich-Schema konstruiert, in einem schönen Zirkel an die farbig-fauvistischen Köpfe der Frühzeit an - aber da war das alles schon angelegt.