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"Menschen sind Datensätze geworden"

In der Diskussion um Kontendatensätze, die jüngst der Frankfurter Rundschau zugespielt wurden, sieht der Mannheimer Medienwissenschaftler Jochen Hörisch ein grundsätzliches Vertrauensproblem für die Konsumenten. Einerseits rate er, "seid misstrauisch" was private Daten angeht - andererseits sei die Gesellschaft auf Vertrauen angewiesen - sonst "fliegt uns der Laden auseinander".

Jochen Hörisch im Gespräch mit Michael Köhler |
    Michael Köhler: Nach dem Diebstahl Zehntausender Kreditkartendaten bei der Landesbank Berlin gibt es noch keine Hinweise auf Schäden bei Kunden. Mit den Daten könne nicht auf Konten zugegriffen werden, sagt die Landesbank Berlin heute. Und offenbar wurde eine Lieferung mit archivierten Kundendaten zwischen einer Dienstleistungsfirma und der Landesbank abgefangen, an die Tageszeitung "Frankfurter Rundschau" geschickt. Die auf sogenanntem Mikrofiche, so alten Folien, gespeicherten Informationen wurden in einem Karton an die Redaktion der "Frankfurter Rundschau" geschickt. Dem Blatt zufolge sind darauf Namen, Adressen, Kreditkarten, Kontonummern und Bezahlvorgänge zu sehen, auch Geheimnummern für Kreditkarten seien in der Sendung. Frage von "Kultur heute" an den Mannheimer Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch, in dem Maße, wie Geld indifferent ist, sind Zahlungen höchst different. Sie machen heute quasi den modernen Menschen aus. Sage mir, wie und wo du bezahlst, und ich sage dir, nicht nur, wie du einkaufst, sondern auch wer du bist. Ist das eine neue Qualität von Datenklau, wie Datenschützer sagen?

    Jochen Hörisch: Wir haben alle möglichen Daten über Leute der Goethezeit. Wann sind sie geboren, was für eine Konfession hatten sie, was war die Mutter. Das ist die eine Sorte von Daten. Und dass wir jetzt wirklich diese Korrelationen von Datensätzen über Zahlen, Gelddaten, Finanzzahlen auf der einen Seite und Personendaten auf der anderen Seite, das ist in der Tat neu. Menschen sind Datensätze geworden und über die Datensätze erschließbar geworden. Und das gilt eben nicht, wenn wir auf die Menschen, auf die Leute, die vor 200 Jahren durch unsere Städte gerannt sind, zurückgucken.

    Köhler: Zahlen und Figuren sind doch der Schlüssel aller Kreaturen?

    Hörisch: Das gilt natürlich bis hin zu der Dechiffrierung des humanen genetischen Codes. Novalis war ein Manager in der Salinenindustrie. Der hat ja diese berühmten Sätze gebildet, Zahlen und Figuren, Schlüssel aller Kreaturen. Und gerade da, wo es am romantischsten schien, das ist ein unverwechselbarer Mensch in seiner Persönlichkeit. Und diese Persönlichkeit ist das Glück der Erdenkinder oder das ist die rätselhaft schöne Natur, die uns in ihrer Schönheit überwältigt. Gerade da machen wir die erschreckende Erfahrung, wir können das in Datensätze auflösen.

    Köhler: Zahlungen erfolgen ja eigentlich gerade unter Wegfall von Information und Kommunikation. Ich muss am Bankschalter nicht sagen, wofür, von wem ich das Geld habe, was ich damit vorhabe. Sie wirken in gewisser Hinsicht sozial destabilisierend, aber finanzmarktstabilisierend. Jetzt passiert das Umgekehrte, plötzlich wird das alles öffentlich. Das ist irgendwie auch sehr altmodisch, wenn wir hören, dass der Datenklau auf Mikrofiche archiviert war, dass Kuriere in Paketen die Sachen transportieren von einem Ort an den anderen, und das sei sehr üblich, hören wir. War da der ganz alte Datendieb Hermes am Werk?

    Hörisch: Hermes, der große Hermeneut, derjenige, der alles versteht, ist natürlich die mythologische Schlüsselfigur. Und es ist ja in der Tat erstaunlich, was Sie sagen, wie medienhistorisch dann zurückgeblendet wird, die Daten dann eben auf Mikrofiche. Wer arbeitet heute noch in der Bibliothek mit Mikrofiche, dass auf Mikrofiche in Kartons diese Daten transportiert werden, es ist öffentlich. Ich muss auch zu meiner Schande gestehen, ich hab da kein richtiges Lied drauf, warum nicht in Form irgendwie einer CD, wie das etwa bei den Daten aus Liechtenstein an deutsche Finanzämter der Fall gewesen ist. Vielleicht deshalb, weil wir es gerade in diesem Bereich nicht vermuten. Manchmal kann man die Leute überwältigen, indem innerhalb einer komplexen Mediengesellschaft wieder auf die alten Datenbestände und auf die alten Kommunikationstechniken zurückgreift. Ein hartnäckiges Gerücht will, dass die amerikanische Marine sich Delfine hält und die amerikanische Luftwaffe Tauben, damit für den Fall des Kollapses aller Informations- und Transportdatensysteme man wieder auf diese mythologischen Tiere zurückgreifen kann.

    Köhler: Die Daten kamen auf den Weg von der Servicefirma zur Bank abhanden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar spricht von kriminellem Verhalten. Muss man mit so was eigentlich rechnen? Wer zahlt, legt ja gewissermaßen geruchlose Spuren und Fährten. Sie haben es zu Begin des Gesprächs ja geschildert. Man setzt Zeichen, man legt Leitungen. Kann man sich da gar nicht schützen. Anders gefragt, wer zahlt, willigt in den Missbrauch ein?
    Hörisch: Da würde natürlich jeder schreien, nein, genau das habe ich nicht gemeint. Zugleich wissen wir das aber in dem Augenblick, wo ich dreistellige Zusatznummer auf meiner Kreditkarte eingebe, kann jeder wissen, dass er jetzt voraussetzen darf, dass ich persönlich das gewesen bin. Dann ist das Private öffentlich geworden. Das Private ist aber, dass jemand weiß, wann das Ablaufdatum meiner Kreditkarte und diese dreistellige Ziffernkombination ist. Die Grenzen zwischen privat und öffentlich, die verschwimmen eben. Da würde keiner freiwillig einwilligen. Aber wir alle willigen gewissermaßen implizit ein. Und damit sind wir bei einem Problem, das mit der heiße Kern der ganzen Affäre zu sein scheint. Die Spatzen pfeifen es ja von den Dächern, Vertrauen ist ein absolut knappes Gut heute geworden. Und dieses Vertrauen, dass man keinen Missbrauch mit unseren individuellen Daten treibt, ist ein sehr, sehr knappes Gut. Also kann die Vermutung immer lauten, was knapp ist wie Vertrauen, kann auch gehandelt werden, kann auch missbraucht werden. Und ich komme nicht zu einer klügeren Einsicht als zu sagen, Leute, habt nicht mehr allzu viel Vertrauen in Vertrauen, seid misstrauisch. Aber dann kommt sofort die dialektische Figur, eine Gesellschaft ist auf Vertrauen angewiesen. Wenn man nicht in das Misstrauen ist, wenn keiner mehr dem anderen vertraut, dann fliegt uns der Laden auseinander.

    Köhler: Das Konto im Karton. Über Datenklau und Datendiebe. Der Mannheimer Literatur- und Medienwissenschaftler Jochen Hörisch.