Früher galt die Lehre, der Hannoveraner Haarmann aus der Strippenstraße Nummer acht habe aus Kindern ohne deren Einwilligung Blutwurst gemacht. Seit dem Kannibalismusfall im hessischen Rotenburg liegt die Sache komplizierter, erfordert eine gründliche Opfer-Täter-Diskussion. Schließlich suchte der Hobbymetzger freiwillige Sonntagsbraten. Und weil er das im Internet tat, wurde er ein Fall für Igor Bauersima.
Der belässt das Delikt nicht unter Männern, treibende Kraft ist – wie einst bei den Gebrüdern Grimm – die "Frau", allerdings keine Waldhexe, eher schon ein hübsches Gretel, mit besten Argumenten für die etwas abseitige Neigung ausgestattet und gar nicht auf den Mund gefallen.
Drei Szenen, drei Dialoge schrieb Bauersima für diese Frau und einen Mann: ein Polizeiverhör, ein virtuelles Gespräch im Netz – nur dort, so sagt der Fachsurfer, lernen sich Kopfjäger und Beute kennen, und ein reales Treffen am Waldrand. In dieser Reihenfolge jedenfalls inszenierte der Autor und sich diesmal technisch zurückhaltende Ausstatter die Uraufführung, kündigt aber für die nächsten Vorstellungen Variationen im Ablauf an. Das wirbelt die Chronik der Ereignisse durcheinander und soll Raum schaffen für verschiedene Interpretation der einzelnen Szenen. Wenn also ein Kripobeamter zunächst die angebliche Menschenfresserin verhört, ist er ihr dann anschließend im Chatroom auf den Leim gegangen? Könnte sein, denn "die Frau" kennt den theoretischen Überbau aller Psychosen, gesellschaftlichen Verwicklungen und Verwirrungen so aus dem FF, dass sich wohl jeder wünscht: einmal unter der 1000-Watt-Lampe sitzen und so reden können! Die Frau ist weniger Angeklagte als Sachverständige, ihr Leben lang auf nichts anderes geeicht, als sich in die letzten Gehirnwindungen der spießigen Staatsanwaltschaft zu bohren. Ein Parforceritt gegen nie zuende gedachte bürgerliche, das heißt, christlich-abendländische Moralvorstellungen. Birgit Stöger macht das fabelhaft – aber wir denken immer nur: was hat Herr Bauersima alles gelesen. Und: was kann jetzt noch kommen – ein veritables Snuff-Video? Ein poetisches Rendevouz-Gewisper, gechattet wird mit und ohne Mikro, ein Projektor wirft hübsche Graphiken rund um die Frage "Can I ball?" auf drei hintereinander gespannte Gaze-Wände, die die Protagonisten schon beim Verhör so grobkörnig wie geheimnisvoll ins Bild setzten. Nun suchen und finden sich zwei Taschenlampen in der Cyberwelt, eine schwarze Kapelle für zärtliche Nekrophilie.
Schon in Igor Bauersimas "Norway.today" verabredeten sich zwei junge Suicidkandidaten im Netz, auch dort, wie im späteren Stück "Tattoo" übernahm die Videokamera den Part des Mediums und der Medienkritik. Nur aufs Bild gebanntes existiert wirklich. Zum Picknick am Waldrand im neuen Stück bringt die Frau eine Kamera mit, es ist weniger strafbar, wenn das "Opfer" der Nachwelt, vor allem der Polizei erklärt, dass es sich aus freien Stücken überm Feuer braten lassen will. Da sitzt "der Mann" vor der düsteren Brandmauer wie Peer Gynt vorm Knopfgiesser, schachert allerdings nicht um sein Leben, das immer das falsche war, sondern um seinen Tod. Soll zwischen dem Erzählen zählen, bis er sich vertut. Bei "69" passiert's – womit nunmehr das Geheimnis des Titels gelöst wäre. Dem guten Michael Abendroth glauben wir keine Sekunde, dass er auch nur den kleinen Zeh hergeben würde. So folgt das recht abstruse Ende auf dem Fuß: Das potentielle Steak entpuppt sich als Bulle, der die Delinquentin überführen soll, sie dann aber – vielleicht, es ist ja alles Fake – erwürgt. Schließlich muss sie, bei umgekehrter Szenefolge, noch ein Verhör absolvieren. Der "Mann" kann sich immerhin damit beruhigen, dass es "die Frau" gar nicht gibt, denn nicht sie, nur ihn hat die Kamera erfasst.
Das Publikum kann sich damit beruhigen, dass Kannibalismus auf der Bühne wohl vorläufig eine ziemlich aseptische Angelegenheit bleibt: kein Okkultismus, kein Sex, keine scharfen Gerüche, kurz. Kein Appetit. So wie in Wirklichkeit eben. Der Fachsurfer weiß: im "Cannibal Café" bleibt’s meistens bei großen Sprüchen.
Der belässt das Delikt nicht unter Männern, treibende Kraft ist – wie einst bei den Gebrüdern Grimm – die "Frau", allerdings keine Waldhexe, eher schon ein hübsches Gretel, mit besten Argumenten für die etwas abseitige Neigung ausgestattet und gar nicht auf den Mund gefallen.
Drei Szenen, drei Dialoge schrieb Bauersima für diese Frau und einen Mann: ein Polizeiverhör, ein virtuelles Gespräch im Netz – nur dort, so sagt der Fachsurfer, lernen sich Kopfjäger und Beute kennen, und ein reales Treffen am Waldrand. In dieser Reihenfolge jedenfalls inszenierte der Autor und sich diesmal technisch zurückhaltende Ausstatter die Uraufführung, kündigt aber für die nächsten Vorstellungen Variationen im Ablauf an. Das wirbelt die Chronik der Ereignisse durcheinander und soll Raum schaffen für verschiedene Interpretation der einzelnen Szenen. Wenn also ein Kripobeamter zunächst die angebliche Menschenfresserin verhört, ist er ihr dann anschließend im Chatroom auf den Leim gegangen? Könnte sein, denn "die Frau" kennt den theoretischen Überbau aller Psychosen, gesellschaftlichen Verwicklungen und Verwirrungen so aus dem FF, dass sich wohl jeder wünscht: einmal unter der 1000-Watt-Lampe sitzen und so reden können! Die Frau ist weniger Angeklagte als Sachverständige, ihr Leben lang auf nichts anderes geeicht, als sich in die letzten Gehirnwindungen der spießigen Staatsanwaltschaft zu bohren. Ein Parforceritt gegen nie zuende gedachte bürgerliche, das heißt, christlich-abendländische Moralvorstellungen. Birgit Stöger macht das fabelhaft – aber wir denken immer nur: was hat Herr Bauersima alles gelesen. Und: was kann jetzt noch kommen – ein veritables Snuff-Video? Ein poetisches Rendevouz-Gewisper, gechattet wird mit und ohne Mikro, ein Projektor wirft hübsche Graphiken rund um die Frage "Can I ball?" auf drei hintereinander gespannte Gaze-Wände, die die Protagonisten schon beim Verhör so grobkörnig wie geheimnisvoll ins Bild setzten. Nun suchen und finden sich zwei Taschenlampen in der Cyberwelt, eine schwarze Kapelle für zärtliche Nekrophilie.
Schon in Igor Bauersimas "Norway.today" verabredeten sich zwei junge Suicidkandidaten im Netz, auch dort, wie im späteren Stück "Tattoo" übernahm die Videokamera den Part des Mediums und der Medienkritik. Nur aufs Bild gebanntes existiert wirklich. Zum Picknick am Waldrand im neuen Stück bringt die Frau eine Kamera mit, es ist weniger strafbar, wenn das "Opfer" der Nachwelt, vor allem der Polizei erklärt, dass es sich aus freien Stücken überm Feuer braten lassen will. Da sitzt "der Mann" vor der düsteren Brandmauer wie Peer Gynt vorm Knopfgiesser, schachert allerdings nicht um sein Leben, das immer das falsche war, sondern um seinen Tod. Soll zwischen dem Erzählen zählen, bis er sich vertut. Bei "69" passiert's – womit nunmehr das Geheimnis des Titels gelöst wäre. Dem guten Michael Abendroth glauben wir keine Sekunde, dass er auch nur den kleinen Zeh hergeben würde. So folgt das recht abstruse Ende auf dem Fuß: Das potentielle Steak entpuppt sich als Bulle, der die Delinquentin überführen soll, sie dann aber – vielleicht, es ist ja alles Fake – erwürgt. Schließlich muss sie, bei umgekehrter Szenefolge, noch ein Verhör absolvieren. Der "Mann" kann sich immerhin damit beruhigen, dass es "die Frau" gar nicht gibt, denn nicht sie, nur ihn hat die Kamera erfasst.
Das Publikum kann sich damit beruhigen, dass Kannibalismus auf der Bühne wohl vorläufig eine ziemlich aseptische Angelegenheit bleibt: kein Okkultismus, kein Sex, keine scharfen Gerüche, kurz. Kein Appetit. So wie in Wirklichkeit eben. Der Fachsurfer weiß: im "Cannibal Café" bleibt’s meistens bei großen Sprüchen.