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Menschenopfer in Militärlagern

Schon in den ersten Inszenierungen an der Berliner Komischen Oper hat der Australier Barrie Kosky seinen spätpubertären Fantasien auf der Bühne freien Lauf gelassen. Jetzt inszenierte er dort "Iphigenie auf Tauris" von Christoph Willibald Gluck. Diese gilt wiederum als Oper heftigster Kontraste, überwältigender Leidenschaften, als Glucks kompromisslosestes Werk. Kosky machte daraus ein Theater-Blutbad.

Von Georg Friedrich Kühn |
    Bedeutungsschwanger-bedrohlich beginnt es. Über die Saallautsprecher ertönt die Vorgeschichte: Wie und warum es die Agamemnon-Tochter Iphigenie nach Tauris verschlagen hat, was sie in dem skythischen "Barbarenland" seit 15 Jahren tut - alle fremden Männer abschlachten, die die Insel betreten. Der Inselherrscher Thoas hat eine Phobie. Ihm ist geweissagt, dass ein Fremder ihn einst töten werde.

    Und schon beginnt das Theater-Blutbad. Ein Mann, der kopfüber im Lendenschurz durch die Bühne pendelt, wird herabgelassen, von der stämmigen Priesterin Iphigenie mit dem Küchenmesser bearbeitet, in einen Trog gesteckt und zu Serum verdickt. Gleich stolpern noch weitere Männer herein, gefesselt an Händen und mit Tüten über den Köpfen, angetrieben von Soldaten in GI-Uniform. Das Ritual geht weiter, dann auch mit Orest und Busenfreund Pylades.

    Das ganze Abu-Ghraib-Bildprogramm wird abgespult. Die Soldaten verhöhnen die Gefangenen, treiben mit ihnen ihre sadistischen Spielchen, ritzen ihre Rücken, bepinkeln sie, machen ein Foto davon mit Polaroid oder Handy. Shocking? Oder nur Gähnen machende Ödnis?

    Der australische Regisseur Barrie Kosky ist bekannt dafür, dass er seinen spätpubertären Fantasien auf der Bühne gern freien Lauf lässt. Schon in seiner ersten Inszenierung an der Berliner Komischen Oper, mit der er sich eine gewisse Berühmtheit verschaffte, präsentierte er als Höhepunkt eine Figur, die genüsslich auf einem von brauner Brühe überquellenden Klo ihre Notdurft verrichtet.

    Jetzt lässt er in endlosen Einstellungen Blut aus menschlichen Körpern tropfen. In großen Bratpfannen wird dies dann wie in einer Plasma-Aufbereitungsanlage hin und her gewälzt. Wenn von Iphigenies Mutter die Rede ist, färbt sich die Flüssigkeit muttermilchweiß. Eine Gruppe von Senioren, Männlein und Weiblein nur mit Höschen bekleidet, bevölkert die Bühne. Die ihrer Eltern gedenkenden Kinder, Iphigenie und Orest, dürfen sich an sie schmiegen.

    Wenn die Geschwister am Ende sich zu erkennen gegeben haben, Freund Pylades den blutrünstigen König Thoas erschossen hat und das allgemeine Gemetzel von der blutgesättigten Göttin Diana beendet wurde, sitzen Iphigenie, Orest und Pylades einsam wie in einem Ruderboot und fahren zum happy endenden Schlusschor Richtung Heimat - ein wie in einen Bilderrahmen gegossenes Stück Felsen, mit dem Bühnenbildner Klaus Grünberg die Bühnentiefe auf Sandkastenformat halbiert.

    Unmutsäußerungen über diese "ab 16 Jahren" empfohlene Inszenierung gab es bei der Premiere schon auf halber Strecke der auf freundliche hundert Minuten eingedampften, gleichwohl länglich wirkenden Aufführung. Dann sickerten Zuschauer immer wieder Richtung Saaltüren. Die Gebliebenen spendeten dem gesamten Team am Ende fast einhelligen Applaus.

    Dabei hatte man sich zumindest musikalisch einiges erwartet. Doch Paul Goodwin am Pult dirigiert einen zwar gut aufpolierten aber doch sehr glatt gebürsteten Gluck. Von den Sängern konnte eigentlich nur der Pylades von Peter Lodahl mit seinem hellen Tenor überzeugen. Kevin Greenlaw als Orest wirkte etwas hohl, Geraldine McGreevy als Iphigenie leicht quäksig in der Stimme. Vom Text verstand man in der deutsch gesungenen Fassung von Bettina Bartz und Werner Hintze nur Bruchstücke.

    Ein langes Leben dürfte dieser Produktion nicht beschieden sein. Das Verfallsdatum ist ihr schon durch den Versuch, die Realität so platt nachstellen zu wollen, eingeprägt. Es fehlt dieser Inszenierung an die Wirklichkeit durchdringender und übersetzender Fantasie. Das Grauen dieses antiken Mythos mit nachgestellten Fernsehbildern einfangen zu wollen ist nachgerade kindisch.