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Menschenrechtsappelle in der Steppe

Während die deutsche Politik wenige Wochen vor den Olympischen Spielen auf Versöhnungskurs mit Peking eingestellt ist, werden weitab von Chinas Hauptstadt ganz andere Botschaften übermittelt. Der deutsche Objektkünstler Günther Uecker stellt großformatigen Leintücher, auf denen etwa die Menschenrechtserklärung geschrieben steht, in dem "Ordos Museum of Art" in der Inneren Mongolei aus.

Von Eva Mehl |
    Ordos, karge Steppe, Wüstengras, die endlose Weite der Inneren Mongolei. Am Horizont rückt ein scharfkantiger Bau näher, das "Ordos Museum of Art". Es ist das erste private Museum für Gegenwartskunst in China, mitten im Nichts.

    Besucher wandeln durch ein Labyrinth aus großformatigen Stoffbahnen. Es sind Günther Ueckers "Briefe an Peking", beschrieben, bemalt und kalligrafiert mit schwarzer Farbe, Tusche, Sand, Asche und Staub. Textbilder, die Uecker vor zwölf Jahren unter dem Eindruck seiner Erfahrungsreise nach China - in die chinesische Westprovinz Sichuan, dann nach Tibet - niedergeschrieben hat.

    "Wenn ich dann einfache Zeichen oder Schriften entdeckte, wie einfache Leute ihre Häuser anstreichen oder wie sie doch noch irgendeine Liturgie buddhistischer Prägung vollziehen, das habe ich dann aufgenommen und auch mit in diese Tücher eingetragen, im Sinne von Notationen."

    Schwarze, graue, blutrote und gelbe Linienführungen rufen Assoziationen von Zerstörung und Wut hervor. Uecker verarbeitet Spuren der Verfolgung in Tibet, Wunden der Niederschlagung studentischer Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Im Zentrum steht sein "Brief an Peking" Auszüge aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in schwarzer Farbe auf gebleichtem Leinen, durch Überschmierungen unleserlich gemacht.

    Ueckers Klage der "Verletzungen, die der Mensch dem Menschen zufügt", als künstlerische Postsendung an das kommunistische Regime. Vor dreizehn Jahren verschickte sie Uecker nach Peking zur Ausstellungseröffnung. Dort wird sie aufgehängt, dann wieder abgehängt und des Landes verwiesen.

    "Dann haben wir diese Ausstellung Berlin einmal gezeigt und in anderen Plätzen. Und im letzten Jahr wurde es möglich, diese Ausstellung im Nationalmuseum zu zeigen, wo der Direktor sagte: 'Sie sehen, China hat sich verändert.'"

    Ueckers Post verwandelt das "Ordos Museum of Art” zum politischen und ethischen Raum. Erst wenige Wochen ist es her, dass die chinesische Regierung tibetische Proteste in Lhasa und Chinas Westprovinzen brutal unterdrückte.

    Doch der Brief an Peking wird in Ordos nicht als Klageschrift, sondern als hohe Kunst gelesen. Kunst ist längst zum ertragreichen Geschäft geworden in China. Das "Ordo Museum of Art" entpuppt sich als chinesischer Prototyp einer Verquickung von Politik, Wirtschaft und Kulturraum, wie sein Mäzen selbst, Cai Jiang.

    Der schwerreiche Unternehmer, der im Kohlegeschäft tätig ist und unweit von Ordos Bio-Milch produziert, ist nebenbei leidenschaftlicher Kunstsammler. Er hat das Ordos "Museum of Art" aus dem Boden stampfen lassen und Uecker in die Wüste eingeladen. Und es ist erst der Anfang einer Vision der Superlative von Cai Jiang.

    "In Ordos werde ich etwas entstehen lassen, dass es in China und auch im Ausland noch nie gegeben hat. Dabei besinne ich mich auf den ursprünglichen Namen des Ortes, der auf Mongolisch so viel bedeutet wie 'Ort vieler Bauplätze'."

    Gleich neben dem Museum lässt er "Ordos 100" entstehen. Einhundert internationale Architekten bauen einhundert Luxusvillen in einhundert Tagen. Die Architekturbüros wurden von den Schweizern Herzog & DeMeuron ausgewählt. In fünf Jahren soll eine Metropole aus dem Wüstensand ragen, inklusive Konzerthalle, einer Hochschule für Medien, Architektur und Design, Spitzenhotels, Shopping Malls und einer Parteizentrale.

    Doch zuerst verwandelt Cai seine Heimat in einen Hotspot für Zeitgenössische Kunst und setzt mit dem "Ordos Museum of Art" auf einen Austausch zwischen Ost und West. Balkenhol trifft dort auf Fang Lijun, Immendorff auf Yang Maoyuan und in der Verletzlichkeit des Menschen begegnen Ueckers Werke dem Blumenmeer von Wang Yin. Blühende Landschaften, die Mao Zedong seinem Volk versprach.

    "Die Gedanken blühen, aber sie sind alle gleich. Und wenn sie ungleich sind, dann wird wieder geprügelt und oder jemand wird in ein Gefängnis geworfen. Das gibt es ja."

    Für die Ausstellungseröffnung hat Uecker seine "Briefe an Peking" um ein Werk erweitert: "Regen für Ordos." Blauer Niederschlag fällt auf Leinen, drei mal vier Meter groß. Es ist ein Geschenk von Günther Uecker an den Unternehmer Cai Jiang. Möge der Regen in Ordos einen fruchtbaren Niederschlag finden.