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Menschheitsentwicklung
Spurensuche im Erbgut

Ein 40.000 Jahre alter Fingerknochen sorgte vor rund zehn Jahren für Aufsehen: Eine genetische Analyse zeigte, dass er zu einer ausgestorbenen Menschenform gehörte. Forscher haben nun herausgefunden, dass diese sogenannten Denisova-Menschen mit unseren Vorfahren Nachwuchs bekommen haben.

Von Michael Stang |
    Eine Holztreppe führt in ein graues, mit zum Teil grünen Pflanzen bewachsenes Felsgebilde
    2008 entdeckten Archäologen bei einer Ausgrabung in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge einen rund 40.000 Jahre alten Fingerknochen (dpa/picture alliance/B. Viola)
    Alle heute lebenden Menschen gehören zur Art Homo sapiens. Noch vor 40.000 Jahren gab es mit den Neandertalern eine zweite Menschenart, zudem existierte damals mit den Denisova-Menschen in Sibirien noch eine weitere Gruppe. Zwischen allen dreien, das ist bereits bekannt, war es zu Vermischungen gekommen.
    Spuren dieser Liaisons lassen sich heute noch im menschlichen Erbgut nachweisen. Nach solchen Spuren sucht Sharon Browning von der Universität von Washington in Seattle:
    "Wir suchen im Erbgut heutiger Menschen nach Bereichen, die das Resultat der Vermischung mit anderen, heute ausgestorben Gruppen sind, auch wenn wir deren Erbgut nicht kennen. Von den Neandertalern und Denisova-Menschen haben wir das Erbgut vorliegen, aber vielleicht gab es ja auch noch andere Vermischungen, von denen wir noch nichts wissen."
    Größte Vermischungen mit Menschen aus Asien und Ozeanien
    Bisher konnten Genetiker solche Vermischungsspuren nur finden, wenn sie alle drei menschlichen Genome – das von Homo sapiens, Neandertaler und Denisova- Mensch – übereinanderlegten und miteinander verglichen.
    Mithilfe dieser Methode konnten Forscher bereits belegen, dass heute lebende Menschen in Asien und Ozeanien die größten Vermischungen mit den ausgestorbenen Menschengruppen zeigten. Bei Bewohnern Papua-Neuguineas etwa liegt der Denisova-Anteil bei rund fünf Prozent.
    Die Denisova-Menschen aus Sibirien muss es also irgendwie bis nach Ozeanien verschlagen haben. Der Nachteil dieser direkten Vergleichsmethode ist, so die Theorie, dass man nur etwas finden kann, was man schon kennt. Viele Spuren findet man auf diese Weise aber gar nicht. Die Biostatistikerin wollte einen Schritt weitergehen und alle Vermischungen finden, unabhängig davon, ob klar ist, woher diese stammen.

    "Wir vergleichen dann das Erbgut vieler Populationen miteinander und suchen nach Unterschieden an bestimmten Stellen. Finden wir solche Unterschiede, könnten diese das Resultat einer Vermischung unserer Vorfahren mit einer archaischen Menschengruppe sein."
    Entwicklungsgeschichte der Menschheit komplexer als vermutet
    Für ihre Studie nahm die US-Forscherin die Erbgutsequenzen von mehr als 5.600 heute lebenden Menschen und suchte nach derartigen Unterschieden.
    "Wenn wir solche Genombereiche finden, die von einer Vermischung stammen, dann vergleichen wir sie anschließend mit dem Neandertaler- oder Denisovan-Genom und schauen, ob das zusammenpasst."
    Hier folgt sie dann wieder der bisherigen Methode, dem direkten Abgleich. Passen die Erbgutbereiche zusammen, ist klar, woher sie stammen. Theoretisch sei es auch möglich, dass sie auf Vermischungen von anderen, bisher unbekannten Gruppen stößt.
    Aber ohne Referenz-Genom könne man das nicht benennen. Sharon Browning konzentrierte sich daher auf die Denisova-Spuren und wurde stutzig.
    "Als wir uns die Bereiche der Vermischungen bei Menschen aus Ostasien angeschaut haben, bemerkten wir, dass es zwei verschiedene Einkreuzungen waren. Die Bereiche sind nicht groß, das liegt in der Größenordnung von 0,2 Prozent, aber es reicht aus, um die beiden Gruppen zu unterscheiden."
    Demnach haben die Denisova-Menschen zweimal unabhängig voneinander ihre Spuren im Erbgut unserer Vorfahren hinterlassen. Und die Gruppe aus dem Altaigebirge war genetisch betrachtet vielfältiger als bisher bekannt. Vermutlich haben sich die Ahnen der Menschen aus Ozeanien mit einer südlichen Gruppe von Denisova-Menschen gemischt, während die Vorfahren der Ostasiaten mit einer nördlichen Denisova-Gruppe gemeinsamen Nachwuchs bekommen haben. Damit zeigt diese Studie einmal mehr, dass die Entwicklungsgeschichte der Menschheit viel komplexer war als bisher angenommen.