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Menschliche Stammzellen als Versuchkaninchen

Medizin. - Exakt heute vor fünf Jahren veröffentlichte das US-Wissenschaftsmagazin ''Science'' erstmals einen Artikel über im Labor gezüchtete, embryonale Stammzellen des Menschen. Hierzulande verbietet das Embryonenschutzgesetz die Gewinnung solcher Zellen. Seit 2002 erlaubt ist dagegen die Einfuhr von menschlichen Stammzellen aus dem Ausland. Bislang wurden insgesamt fünf Importgenehmigungen für Forschungseinrichtungen erteilt. Eine davon erhielt unter anderem ein Mainzer Biotech-Unternehmen, in dem Forscher jetzt gespannt auf die ersten Zellen aus den USA warten.

06.11.2003
    Martina Klemm ist eine erfahrene Dompteurin von mitunter widerspenstigen kleinen Wesen – nämlich jungen Zellen: "Es werden dazu unterschiedliche Bedingungen erzeugt: Die Zellen müssen in so genannten hängenden Tropfen kultiviert werden, damit sie zusammenrutschen und Aggregate bilden. Daraus können dann verschiedene Zelltypen differenziert werden, wie etwa Herzmuskelzellen oder Nervenzellen." Bislang umhegt die Leiterin der Zellbiologie bei der Firma Proteosys in Mainz nur embryonale Stammzellen aus Mäusen, doch bald sollen auch die ersten menschlichen Stammzellen aus den USA in den Mainzer Labors eintreffen. Bis dahin wird Martina Klemm die nötigen Techniken zu Vermehrung und Steuerung der sensiblen Zellen in Wisconsin in den USA erlernen. Denn dort sitzen die Pioniere einer Forschungsrichtung, die vor fünf Jahren mit der Züchtung der ersten menschlichen embryonalen Stammzellen begann.

    Noch immer ist die Arbeit mit diesen noch unentschlossenen Zellen eine knifflige Sache – selbst für erfahrene Zellbiologen wie Klemm: "Menschliche, embryonale Stammzellen benötigen sehr viel mehr Zeit für die Kultur und sind schwieriger in der Handhabung. So soll es sehr viel schwieriger sein, sie im undifferenzierten Zustand zu halten." Denn weil die begehrten Zellen nicht beliebig nachgeliefert werden können, müssen sie vor Ort vermehrt werden und dürfen daher keinesfalls ihren jungfräulichen Zustand hinsichtlich des Zelltyps verlieren. Aber auch die gezielte Differenzierung dieser vielseitigen Zellen in ein bestimmtes Gewebe wie etwa Nervenzellen, sei komplizierter als bei Mauszellen. Alle jene Faktoren, die bei dem Modell Maus dazu bereits eingesetzt werden, seien beim Menschen weitgehend unerforscht. Mit der Lieferung der Stammzellen gegen Ende des Jahres beginnt viel Arbeit für die Proteosys-Wissenschaftler. Im Gegensatz zu den anderen Gruppen, die ebenfalls Importgenehmigungen für embryonale Stammzellen erhielten, suchen die Mainzer nicht nach bestimmten Heilmethoden für bislang unheilbare Krankheiten, sondern will die biologischen Alleskönner als Versuchskaninchen für die Medizin gewinnen.

    Forschungsleiter André Schrattenholz kann sich vorstellen, dass den Stammzellen in diesem Bereich eine große Karriere bevorsteht: "Obwohl Tierversuche und tierische Zellkultur eine breite Basis für Medikamentenentwicklung sind, sind sich Experten bewusst, wie unzulänglich diese Modelle sind. Es besteht daher ein großer Wunsch nach präklinischen und humanen Zellkultursystemen." Überdies besitzen menschliche, embryonale Stammzellen viele Vorteile: Sie vermehren sich immer weiter, sind alle genetisch identisch und die Ergebnisse lassen sich beliebig wiederholen. Außerdem handelt es sich um menschliche Zellen, und für Menschen sind die zu erprobenden Medikamente schließlich gedacht. Im Labor bei Proteosys sollen sich die Stammzellen zu Nervenzellen entwickeln, wobei sie unterschiedlichen Substanzen ausgesetzt und anschließend molekular untersucht werden sollen. Eine besondere Rolle dabei spielt die Proteomik, also die Aktivität einer riesigen Anzahl verschiedener Eiweiße in den Zellen. "Die Firma Proteosys ist das erste Unternehmen weltweit, das diese Kombination von molekularen Analysen bei humanen, embryonalen Stammzellen einsetzt", so Schrattenholz.

    [Quelle: Michael Lange]