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Menschlichere Nutztierhaltung
Huhn im Glück

Schwein, Ziege, Rind oder Huhn gelten als nahrhaft aber geistig beschränkt. Ein Irrtum. Auch Nutztiere können täuschen, logische Schlüsse ziehen, Menschen auf Bildern erkennen und Mitgefühl zeigen. Einige Forscher verlangen, die Tiere als Subjekt anzuerkennen, und leiten daraus Haltungsbedingungen ab, wie Tierschützer sie schon lange fordern.

Von Martin Hubert | 14.01.2018
    Legehennen stehen am 10.09.2014 in einem Betrieb für die Produktion von Eiern aus Freilandhaltung in Bergen im Landkreis Celle (Niedersachsen).
    Wie viel Glück für die Nutztiere ist bezahlbar? (dpa / picture alliance / Julian Stratenschulte)
    Um das Tierwohl zu verbessern, arbeiten Forscher seit geraumer Zeit am intelligenten Stall, der nicht nur für Gesundheit sorgt, sondern Schwein und Huhn auch geistig anregt. Andere meinen, dass man dabei immer auch die finanzielle Situation der Landwirte berücksichtigen müsse. Und Vertreter der Tierrechtsbewegung kritisieren, dass auch der beste Stall nur dazu diene, die Tiere einzuschränken und zu töten. Wie viel Tierwohl verlangen die neuen Forschungsergebnisse - und wie viel Glück für die Nutztiere ist bezahlbar?

    Ein kleines Gebäude am Rand von Celle. Tobias Krause öffnet die Tür zum Legehennenstall. Und schon geht es los. Ein paar Hühner kommen neugierig angelaufen und beäugen mit ruckendem Kopf die Besucher. Die meisten bleiben auf der Stange sitzen und gackern wild vor sich hin.
    "Es gibt keine besten Freunde oder Freundinnen in dem Fall, weil es ja Legehennen sind, sondern es ist eine große Gruppe der Freunde!", so Dr. Tobias Krause vom Institut für Tierschutz und Tierhaltung, Celle.
    Diese Legehennen haben viel Platz und wenig Stress. Sie sollen keine Rekorde im Eierlegen brechen, sondern werden erforscht. Was können sie, wie leben sie, wie muss man mit ihnen umgehen?
    "Natürlich war die Grundmotivation auch, die Lebensbedingungen für die Nutztiere zu verbessern", sagt Prof. Lars Schrader, Institut für Tierschutz und Tierhaltung, Celle.
    Die Vorstellung, Schimpansen in engen Käfigen zu halten, zu töten und zu essen, löst bei den meisten Menschen Empörung aus. Warum hält sich die Empörung in Grenzen, wenn Schweine oder Hühner in engen Käfigen leben? Eine mögliche Antwort lautet: Tiere, die ihm ähneln, will der Mensch menschlich behandeln. Über die Jahre fanden Forscher vor allem bei den Menschenaffen immer neue Fähigkeiten, die sie mit uns teilen. Bei unseren Nutztieren dagegen wollte es niemand so genau wissen. Dabei sind auch die klug und mitfühlend, meint Tierforscher Birger Puppe:
    "Was erstaunlich ist, passiert auch bei mir, was bei vielen Menschen passiert: Je näher einem ein solches Tier gebracht wird vom Verhalten, dann ist das Gefühl, dass wir die Tiere essen oder anderweitig nur nutzen, schon ein Gefühl, was man im Hinterkopf hat."
    Mehr Platz und soziale Kontakte
    Sie schließen Freundschaften wie wir, sie trauern wie wir. Wer das versteht, kann gar nicht anders, als die Nutztiere entsprechend zu behandeln. Der muss ihnen nicht nur mehr Platz und soziale Kontakte bieten, sondern auch Abwechslung.
    "Dann haben wir da auch eine ganz andere Tierwohldebatte."
    Lars Schrader arbeitete früher mit Neuweltaffen. Dann begann er sich für Schweine und Hühner zu interessieren. Inzwischen leitet er das Celler Institut für Tierschutz und Tierhaltung. Es gehört zum Friedrich-Loeffler-Institut, einer selbstständigen Bundesbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Schraders Forschungen untergraben das alte Hühnerklischee:
    "Man denkt ja immer, das ist so eine große Herde und die Hühner sind blöd und gackern dämlich und picken und finden hin und wieder auch mal ein Korn. Wir haben aber Lernversuche mit denen gemacht, das sieht im Grunde so aus, dass die in der ersten Stufe lernen sollten, zwei Symbole zu unterscheiden."
    Erste Stufe des Experiments: Hühner bekommen zwei Symbole gezeigt, die sich in Form und Farbe unterscheiden. Das eine ist ein gelbes Kreuz, das andere ein roter Kreis. Auf der ersten Stufe bekommen die Hühner nur eine Belohnung, wenn sie die Formen unterscheiden und die Farben ignorieren. Kreuz oder Kreis. Die Tiere lernen das.
    Zweite Stufe des Experiments. Die Tiere bekommen keine Belohnung mehr, wenn sie Formen unterscheiden, sondern nur wenn sie die richtige Farbe antippen. Rot oder gelb. Sie lernen auch das.
    Kognitives, also geistiges Vermögen
    "In der dritten Stufe müssen sie dann lernen, dass weder die Form noch die Farbe wichtig ist, sondern plötzlich die Größe des Symbols, und auch das haben die Tiere gelernt, was zum Beispiel Menschen mit einer psychischen Erkrankung nicht mehr lernen können. Und das zeigt uns, dass sie eben lernen, dass plötzlich eine andere Regel, die vorher noch gültig war, jetzt nicht mehr gültig ist und eine neue jetzt gültig ist."
    Farbe, Form und Größe sind für Hühner sehr abstrakte Eigenschaften. Offenbar können sie regelhafte Zusammenhänge zwischen ihnen und der Futtergabe herstellen und flexibel auf Veränderungen reagieren. Ein höheres kognitives, also geistiges Vermögen.
    Auch in Dummerstorf bei Rostock leben Tiere für die Forschung, hier sind es Schweine: Manche liegen einzeln in kleinen Schweinebuchten, andere stehen ruhig zusammen, wieder andere kauen Stroh oder grunzen sich an. Der Stall ist fast so groß wie ein Fußballfeld.
    "Nutztiere, das sind Tiere wie wir auch Hunde haben oder Katzen, zu denen wir eine ganz andere Beziehung haben. Das sind unsere Freunde und wir leben mit diesen Tieren und machen einen unheimlichen Aufwand teilweise, dass es diesen Tieren gut geht. Aber Schweine, die essen wir. Und meine Motivation war eigentlich, zu sehen, was können diese Tiere."
    Birger Puppe leitet das Institut für Verhaltensphysiologie am Leibniz Institut für Nutztierbiologie in Dummerstorf. Als Sohn einer Biologin hat er sich früh für Tiere interessiert und wunderte sich immer mehr darüber, warum wir eigentlich mit Hunden und Katzen so anders als mit Nutztieren umgehen. Heute untersucht er unter anderem, inwieweit sich Mensch und Schwein in puncto Willenskraft unterscheiden.
    Eine Muttersau steht in einem Stall eines Schweinezuchtbetriebes in Mecklenburg-Vorpommern.
    Inwieweit unterscheiden sich Mensch und Schwein in puncto Willenskraft? (dpa/ picture alliance/ Jens Büttner)
    Menschen können ihren Willen kontrollieren. Der deutsch-amerikanische Forscher Walter Mischel stellte in berühmt gewordenen Experimenten zwei- bis sechsjährige Kinder vor die Wahl. Entweder bekommst Du einen Marshmallow sofort oder zwei Marshmallows später. Schon Vierjährige schafften es, sich zu beherrschen.
    In der Lage zur Impulskontrolle
    Birger Puppe bot seinen Schweinen normales Futter und leckere Rosinen an. Auf die Rosinen mussten sie länger warten.
    "Wir haben erste Versuche bei Schweinen gemacht und konnten zeigen, dass die Schweine auch in der Lage sind zu in einem gewissen Maße die Impulskontrolle zu haben. Beispielsweise warten in den letzten Versuchen, die wir gemacht haben, die Tiere fast eine Minute darauf, diese höherwertige Belohnung zu bekommen und auf diese kurzfristige Belohnung zu verzichten. Also sie haben eine gewisse planerische Voraussicht, was kommen wird. Das ist schon eine erstaunliche kognitive Leistung, die diese Tiere haben."
    Und offenbar nicht nur sie allein.
    Bei einer Studie englischer Forscher durften auch Hühner wählen. Entweder bekommt Ihr direkt drei Sekunden lang etwas zu fressen oder ihr dürft zweiundzwanzig Sekunden lang fressen, müsst darauf aber sechs Sekunden warten. Die Hühner bewiesen Geduld.
    Hühnern gelingt wie Schweinen etwas typisch Menschliches. Sie unterdrücken ihren unmittelbaren Impuls und schauen planend in die Zukunft. Beeindruckende Ergebnisse.
    Seit dem 19. Jahrhundert werden Nutztiere in immer größeren Ställen industriell gehalten und in abgelegenen Schlachthöfen getötet. Das hat sich auf die Beziehung zwischen Mensch und Nutztier ausgewirkt. Wir realisieren nicht mehr, dass das lebendige Huhn im Stall und das Fleisch in der Pfanne zusammengehören. Können die neuen Forschungsergebnisse diese Entwicklung wieder umkehren? Birger Puppe würde das freuen.
    Diese Produkte sind Subjekte
    "Ich glaube, wir brauchen dieses Gefühl wieder. Diese Entfremdung zwischen Nutztier, das irgendwo in Ställen lebt, und zwischen dem, was wir dann in der Theke kaufen, diese Nichtbeziehung führt dazu, dass das Tier als ein Produkt gesehen wird, dass möglichst billig zu kaufen ist. Das ist aber nicht so. Alle diese Produkte sind Subjekte, sind Tiere, sie haben Emotionen, sie haben kognitive Fähigkeiten und klar, der Mensch hat sich entschlossen, er musste ja auch sich entwickeln, sie zu essen und durch sie auch zu überleben, aber wir sollten wenigstens Sorge tragen, dass sie in der Zeit, wo sie bei uns leben, entsprechend ihren Bedürfnissen, ihrem Verhalten so gehalten werden, dass es ethischen Ansprüchen auch genügt."
    Das deutsche Tierschutzgesetz verlangt, das "Wohlbefinden" der Tiere zu schützen. Birger Puppe möchte, dass die neuen Forschungsergebnisse in diesen Begriff einfließen.
    "Wir haben eine etwas sehr komplizierte, aber wissenschaftlich wie ich finde sehr valide Definition entwickelt: nämlich Wohlbefinden als einen Zustand der physischen und psychischen Gesundheit von Tieren zu betrachten, der sich vor dem Hintergrund ihrer individuellen, vor allen Dingen aber auch kognitiven Ansprüche und Fähigkeiten ergibt."
    Puppe plädiert für eine Anregung im Stall. Kognitive Umweltanreicherung heißt das Konzept. Nutztiere müssten so gehalten werden, dass sie ihr Mitgefühl, ihre Freundschaften und ihre geistigen Fähigkeiten ausleben können. Solange sie leben wohlgemerkt, denn das Schlachten ist nach wie vor vorgesehen. Weshalb die Philosophin und Tierrechtsaktivistin Friederike Schmitz von der Freien Universität Berlin das Konzept skeptisch sieht:
    "Ich denke, dass die sogenannten Nutztiere natürlich auch an ihrem Leben hängen und gerade wenn sie jetzt ein gutes Leben hätten, gerade dann ist es doch total komisch, zu sagen, dass man ihnen nichts wegnimmt, wenn man sie tötet, oder dass das kein Problem sei. Also gerade dann ist es doch offensichtliches Unrecht, ihnen dieses Leben dann zu nehmen."
    Aspekte ihrer Haltungsumwelt
    Ein Grundsatzstreit, in dem Lars Schrader vom Celler Institut für Tierschutz und Tierhaltung auf die Realitäten verweist:
    "Wenn wir uns einig sind, und das scheint heute noch die Mehrheit der Bevölkerung zu sein, doch, wir wollen Tiere nutzen können, dann können wir über Verbesserung der Tierhaltung reden und die These ist eben, dass sie sich wohler fühlen, wenn sie selber entscheiden können und selber auch Aspekte ihrer Haltungsumwelt selber bestimmen können."
    Hühner
    "Hühnern gelingt wie Schweinen etwas typisch Menschliches" (picture alliance / dpa / Roland Weihrauch)
    Ein selbstbestimmtes, anregendes Leben im Hühnerstall: Ist das das neue Ziel? Oder geht es auch bescheidener? Mit Projekten zum Beispiel, wie sie die Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen fördert, um das Wohlbefinden der Tiere zu verbessern.
    Kühe kauen zufrieden vor sich hin. Sie leben in einem tiergerechten Stall, der an ihre arteigenen Bedürfnisse angepasst ist. Der Stall ist offen. Er lässt also Luft herein und die Tiere können nach draußen auf eine Weide gehen. Sie sind nicht angebunden, sondern können sich frei bewegen. Und wenn sie alleine sein möchten, legen sie sich in kleine, abgetrennte Buchten.
    Der Kuhstall gehört zum "Haus Düsse". Es ist eine Einrichtung der Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen und soll den landwirtschaftlichen Berufsstand in allen Belangen informieren und unterstützen.
    "Wir nehmen erst einmal die wissenschaftlich begründeten Begriffe. Das ist einmal die Tiergerechtigkeit der Haltungsbedingungen, das hießt, ich muss den Anforderungen der Tiere, die sie natürlicherweise an das Verhalten, an die Unterbringung, an die Ernährung, an die Pflege haben, gerecht werden."
    Konsens der Fachwelt
    Dr. Katharina Dahlhoff ist bei der Landwirtschaftskammer NRW zuständig für die Bewertung von Systemen der Tierhaltung und entwickelt sie weiter. Dabei orientiert sie sich an den Standards, über die in der Fachwelt Konsens besteht.
    "Und ich darf die Anpassungsfähigkeit nicht überschreiten, also das Tier kann sich nicht an alles anpassen. Und das zweite ist natürlich Schmerzen, Leiden und Schäden dürfen dem Tier nicht aus den Haltungsbedingungen entstehen, und das versuchen wir natürlich erst einmal zu berücksichtigen."
    Sie liebe die Tiere, betont Katharina Dahlhoff, genauso wie die meisten Bauern, mit denen sie es zu tun hat und die außerordentlich engagiert seien.
    "Das ist ja auch eigentlich ein Spannungsfeld aus Ökonomie, der Ökologie - weil wir haben ja auch Umweltauflagen - und natürlich den erhöhten Ansprüchen an das Tierwohl, dass dem Verbraucher das in dem Sinne gar nicht bewusst ist. Dass wenn er qualitativ sehr hochwertige Produkte haben will, dass das dann auch entsprechend einen Preis bedeutet. Und ich hoffe und denke, dass wir da die Sensibilisierung der Verbraucher auch dahingehend fördern sollten, dass einfach in solchen Erlössituationen, wie wir sie ja auch beispielsweise in der Milch oder auch beim Schweinefleisch hatten, dass es auf Dauer natürlich überhaupt nicht tragbar ist und dass nur aufgrund der hohen Eigenmotivation zum Beispiel der Milchviehhalter der Kuhkomfort nicht zu kurz kommt, obwohl es die Erlössituation eigentlich gar nicht hergibt."
    Katharina Dahlhoff kennt die neuen Ergebnisse der Grundlagenforschung über die Fähigkeiten und sozialen Bedürfnisse der Nutztiere. Aber sie muss den Landwirten praxisnahe Lösungen anbieten, die auch wirtschaftlich funktionieren. Wobei die Größe des Betriebs nach ihren Erfahrungen gar nicht so entscheidend ist. Wichtiger sei das Betriebsmanagement, die Einstellung des Personals und des Betriebsleiters.
    "Hat er eine entsprechende Empathie für die Tiere, erkennt er, was in den Beständen los ist, und das wollen wir natürlich versuchen zu unterstützen, dadurch dass wir ganz spezielle Systeme entwickeln, die Handlungsempfehlungen geben, wie man das anwendet, also Indikatoren aufstellen, die der Landwirt sicher und einfach erheben kann und daraus auch Rückschlüsse auf Verbesserung, Inhalt und Management ziehen kann."
    Daten und übergreifende Schwachstellenanalyse
    Die Landwirtschaftskammer NRW erhielt für ein solches System einen Preis der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft. Berater und Betriebsleiter können in ein digitales Gerät Daten über das Verhalten der Tiere eingeben: wie bewegen sie sich, wie entwickelt sich ihr Gewicht? Das Gerät führt die Daten automatisch zu einer übergreifenden Schwachstellenanalyse zusammen, aus der sich Verbesserungsvorschläge für den Betrieb ableiten lassen.
    Praxisnahe Forschung, die sich am Verhalten der Tiere orientiert und in kleinen Schritten den Zustand im Stall verbessert. Was kann man mehr tun?
    "Das ist unsere Kuh Rosa, und die Kuh Rosa zeigt uns im Detail, welche Informationen wir heute mit den sensortechnischen Möglichkeiten von den Tieren her lernen können. "
    Es scheint eine echte Kuh zu sein. Erst wenn man in der großen Halle am Potsdamer Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie direkt vor ihr steht, wird klar: Hier steht ein lebensgroßes Modell, schwarzweiß gescheckt, an dem eine ganze Menge Sensoren baumeln.
    "Also zum Beispiel die Wiederkauaktivität, das ist die Herzfrequenz, die Herzfrequenzvariabilität, die Atemfrequenz, die Körpertemperatur, wir haben hier Pedometer, die an den Füßen der Tiere uns Informationen geben wie sich die Tiere bewegen, wir erfassen die Oberflächentemperatur mit Wärmebildkameras zum Beispiel und auch das Verhalten der Tiere über Kamerasysteme, was hier eben auch möglich ist."
    Die Messdaten liefern Hinweise, ob eine Kuh eher entspannt ist oder gestresst, erzählt Thomas Amon. Er leitet die Abteilung Technik in der Tierhaltung am Potsdamer Leibniz-Institut.
    Rinder auf einer Wiese am Ort Sorge im Harz, der in unmittelbarer Nähe der innerdeutschen Grenze und damit bis Anfang 1990 im militärischen Sperrgebiet lag.
    Stress gehört wohl nicht zum Leben dieser Rinder (picture-alliance / Reinhard Kaufhold)
    Ein Ventilator in einem mächtigen Windkanal springt an, darin integriert das verkleinerte Modell eines offenen Kuhstalls. Lampen tauchen alles in ein gespenstisch grünes Licht. Es macht feine Partikelwolken sichtbar, die aufsteigen, ihre Richtung ändern und sich vermischen: Wolken aus Keimen, Stäuben und Gasen wie Methan und Ammoniak, die im Kuhstall auftreten. Das Windkanalmodell gehört zu einem Projekt, an dem Wissenschaftler aus verschiedenen Ländern interdisziplinär zusammenarbeiten. Auch das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung gehört dazu. Sie wollen einen Algorithmus entwickeln, der die Prozesse im Stall intelligent steuern kann.
    Eine ganze Fülle von technischen Möglichkeiten
    "Also das ist eine erklärte Herausforderung, den Stall der Zukunft so zu entwickeln, dass er mit den Informationen, die uns die Tiere geben, mit den Informationen, die wir über Wetterprognosen, über Klimamodelle erhalten, das so zu kombinieren, um den Stall der Zukunft intelligent zu machen, auch mit den Möglichkeiten des maschinellen Lernens. Dass wenn klar ist, es gibt eine Warmfront, dass sehr frühzeitig der Stall dann in seinen Zu-und Abluftöffnungen reagiert, oder auch gewisse Möglichkeiten, die man den Tieren anbieten kann, Wärme abtransportieren, hitzestressentlastend zu wirken, es gibt eine ganze Fülle von technischen Möglichkeiten, die aber dann in sich in ihrem Zusammenwirken zeitlich so im Stall umzusetzen sind, dass dann das Stallklima und die Durchlüftung so ist, dass sich Tierwohl bestmöglichst einstellen kann und aber gleichzeitig auch die Emissionen verringert sind, wir müssen ja beides im Auge haben.
    In kleinen praxisnahen Schritten und in großen technischen Zukunftsprojekten wird also bereits daran gearbeitet, den Nutztierstall zu optimieren. Wie viel Platz bleibt da noch für die Ideen der kognitiven Umweltanreicherung?
    Lars Schrader, der Verhaltensforscher aus Celle sieht durchaus Chancen, sie umzusetzen, weil nämlich alle gewinnen könnten. Das intelligente Stallprojekt aus Potsdam etwa kämpft mit seiner Komplexität. Die Tiere würden an unterschiedlichen Stellen im Stall koten und ihre Gase erzeugen, was die Berechnung schwierig macht.
    "Die Idee ist jetzt bei den Rindern die kognitive Leistungsfähigkeit zu nutzen zum Wohle der Umwelt und zum Wohle des Tieres, weil wenn wir die Tiere trainieren könnten, in eine bestimmte Ecke nur zu koten und zu harnen, dann hätten wir schon mal gewonnen, dass die emissionsaktive Oberfläche sehr beschränkt ist. Man könnte an dieser einen Stelle, wenn man so will, ein Klo integrieren."
    Bildung von Ammoniak verhindern
    Das Spezial-Klo für Rinder könnte verhindern, dass sich Kot und Harn vermischen. Damit ließe sich die Bildung von Ammoniak verhindern. Das wäre der positive Umwelteffekt.
    "Der positive Tierwohleffekt wäre, dass die Tiere zum einen eine bessere Klauengesundheit hätten, weil eben Kot und Harn in einer Ecke anfallen, und - das hat dann mit der Kognition zu tun -dieses Training, das Klo zu benutzen und die Erwartung, dass es dann, wenn sie dort koten und harnen, eine Belohnung gibt, das ist eine kognitive Umweltanreicherung für die Tiere, wo wir die Hypothese zumindest erst einmal aufstellen, dass es sich auch auf das Wohlbefinden der Tiere positiv auswirken kann."
    Das Celler Projekt hat gerade erst begonnen. In Dummerstorf ist man schon weiter. Dort hat man zum Beipiel Schweinen Namen antrainiert. Ein Schwein hört auf den Namen Turbino, das andere auf Beate, das dritte auf Adele.
    Entspannte Stimmung im Dummerstorfer Schweinestall. Mehrere Schweine stehen bewegungslos nebeneinander. Plötzlich kommt eine Lautsprecherdurchsage.
    Ein Schwein zuckt leicht, bleibt aber stehen und schaut nach rechts. Dort setzte sich ein anderes Schwein in Bewegung. Es ist – Adele! Adele läuft zu einer Box, deren Türen sich öffnen. Dahinter steht ein Futtertrog, an dem sie sich nun alleine verlustigen kann. Die anderen Schweine bleiben entspannt zurück. Normalerweise gibt es am Futtertrog Zank unter den Schweinen, erzählt Christian Manteuffel, der das Dummerstorfer Namensaufrufsystem betreut. Jedes Schwein will das erste sein, es kommt zu Gedränge und Verletzungen. Wenn die Schweine aber einzeln mit ihrem Namen aufgerufen werden, warten sie artig in der Schlange. Sie lösen nicht nur die Aufgabe "Adele, das bin ich" beziehungsweise "Adele, das bin ich nicht". Sie lernen offenbar auch, dass es stressfreier ist, wenn wirklich nur ein Schwein zur Futterstelle geht. Christian Manteuffel arbeitet inzwischen daran, das Fütterungssystem für landwirtschaftliche Betriebe nutzbar zu machen.
    "Im Moment liegt das bei 1700 € Netto, was schon eine Menge ist, was aber selbst in diesen Größenordnungen nicht unrealistisch ist, dass sich das rentieren kann, wenn man mal überlegt, dass so ein Ferkel, wenn es mal aufgezogen wurde, vielleicht 60 € bringt, eine Sau hat sagen wir mal konservativ kalkuliert zehn Ferkel, dann sind das schon mal 600 €, und wenn so ein Tier trächtig ausfällt, durch eine Verletzung, dann fehlen irgendwie 600 € plus die Sau und dann muss das nur zwei, drei mal passieren, dann hat man die Kosten wieder drin. Also es ist realistisch, dass sich das rentiert über eine gewisse Zeit, wie schnell das geht, das muss man noch feststellen."
    Bis zu sechs verschiedene Motive unterscheiden
    Ziegen gibt es weltweit in vielen Rassen. Im Bild eine Ziege in Wiesenthal, in der Thüringischen Rhön. Wiesenthal, Freistaat Thüringen.
    Können bis zu sechs Zeichen und Motive unterscheiden: Ziegen (picture alliance / dpa / Klaus Nowottnick )
    In Dummersdorf leben auch Ziegen für die Forschung. Vor einem Monitor steht eine mit hellbraunem Fell. Sie sieht vier Felder mit vier unterschiedlichen Symbolen: Pinguin, Dreieck, Kreis und Welle.
    Behende drückt die Ziege mit ihrer Schnauze auf das Feld mit Pinguinknopf. Ein Tonsignal verkündet: die Wahl war richtig. Als Belohnung gibt es Wasser.
    Jan Langbein konnte in mehreren Experimenten in Dummerstorf zeigen, dass Ziegen bis zu sechs verschiedene Motive voneinander unterscheiden können. Sie merken sich, bei welchem sie den Pinguin wählen müssen, um Wasser zu bekommen, und bei welchem zum Beispiel den Kreis. Nicht nur ihr Gedächtnis ist offenbar groß. Sie können auch ziemlich abstrakte Symbole unterscheiden. Und es scheint ihnen sogar Spaß zu machen, solche Aufgaben immer wieder zu lösen:
    "Wir haben einen Versuch gemacht, wo wir die Tiere trainiert haben auf diese Vierfachwahlaufgaben zur Unterscheidung von Mustern und haben Ihnen dann aber auch beigebracht, aus einer ganz normalen Tränke zu trinken. "
    Die Tiere konnten wählen. Will ich testen, ob ich noch das richtige Symbol beim nächsten Muster kenne? Oder will ich einfach bequem trinken?
    "Und dann können wir feststellen, dass etwa 35 % der Ziegen nach wie vor zum Lernautomaten gegangen sind, um sich dort das Wasser, das sie auch gleichzeitig völlig frei und ohne Aufwand hätten haben können, abgeholt haben. Und das ist für uns ein Beleg dafür, dass die Tiere an dieser Lernaufgabe, an dieser Umweltanreicherung wie wir es nennen, ein Interesse über die Belohnung hinaus haben."
    Mehrere Studien in Dummerstorf belegen, wie positiv sich das auswirken kann. Birger Puppe:
    "Wir konnten feststellen, dass Tiere, die erfolgreich Aufgaben lösen, keine erhöhte Stressbelastung haben, ihre Immunreaktivität ist tatsächlich besser, sie hatten eine verbesserte Wundheilung, sie hatten eine erhöhte Bewegungsaktivität, sie zeigten weniger Verhaltensanomalien und auch in bestimmten Tests verringerte Angst- und Furchtreaktionen. Und im Bereich der Herzfrequenz konnten wir zeigen, dass ihr autonomes System ein bisschen in Richtung Parasympathikus, also der Entspannung verschoben war."
    Nur in einer Richtung erhalten sie Futter
    Nutztieren, die sich geistig betätigen, geht es besser, als gelangweilten Artgenossen. Nur: Wie schneidet der kognitiv aufgerüstete Stall im nächsten Vergleich ab?
    Hühner gehen einen Weg entlang, der sich plötzlich gabelt. Sollen sie nach links oder nach rechts gehen? Zuerst machen sie es nach dem Zufallsprinzip, aber dann kommen sie allmählich dahinter: nur in einer Richtung erhalten sie Futter.
    Eine Testgruppe dieser Hühner war isoliert im Stall gehalten worden, bevor sie auf die Gabelungsaufgabe losgelassen wurde. In einer Vergleichsgruppe hatten die Hühner dagegen eine Woche lang Auslauf und konnten die Umwelt selbstständig erkunden.
    "Wenn die eine Woche diese Umweltanreicherung hatten durch den zusätzlichen Auslauf, waren die weniger ängstlich und wenn man sich das eigentliche Lernen angeschaut hat: die Tiere, die den Auslauf, also angereicherte Umwelt hatten, die konnten deutlich schneller lernen."
    Spricht das nicht eigentlich dafür, dass Nutztiere einfach mehr Platz und Natur brauchen? Die kognitive Anregung wäre dafür nur ein magerer Ersatz. Die tierrechtsbewegte Philosophin Friederike Schmitz von der Freien Universität Berlin zieht aus solchen Überlegungen jedenfalls radikale Konsequenzen.:
    "Wir müssen uns gesellschaftlich insgesamt alle die Frage stellen: Wollen wir überhaupt Tiere für unsere Zwecke nutzen? Und ich denke, wenn wir da schauen, was eben Tiere eigentlich für ein erfülltes Leben brauchen, dann kommt raus, dass das mindestens unter kommerziellen Bedingungen eben nicht umsetzbar ist. Und da hilft auch diese Forschung nicht weiter, die halt nur kosmetische Verbesserungen tatsächlich erreichen kann, weil sie eine Forschung für eine kommerzielle Industrie ist, die eben immer nur das umsetzen können wird, was auch wirtschaftlich machbar ist und da stößt auch der höchste Tierwohl-Begriff an seine natürlichen Grenzen, dass alles eben viel mehr Geld kostet, als da Leute bereit sind dafür auszugehen."
    Weiter wie bisher, Freilauf, kognitive Anreicherung oder Ende der Nutztierhaltung? Die neuen Erkenntnisse verleihen auf jeden Fall einer alten ethischen Debatte neue Akzente.
    Tierforscher Birger Puppe: "Ich denke, dass Wissenschaftler hier eine neutrale Instanz sein sollten die einerseits informiert den Verbraucher, wie ist es eigentlich, wissenschaftliche Grundlagen für Gesetze schafft, vielleicht auch in den sehr ideologisch geformten Diskussionen mit sehr extremen Tierrechtsmenschen versucht zu vermitteln. Ich habe nicht den Eindruck, dass wir gesamtgesellschaftlich vollkommen frei von sagen wir mal von Fleischernährung sein werden. Das wollen die meisten auch nicht. Also das ist eine gesamtgesellschaftliche Diskussion, die man da auch führen kann und in die wir uns gerne einbringen, aber wir haben keine Deutungshoheit darüber."