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Menschliches Antlitz der Weltwirtschaft

Spätestens seit dem Schock der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise steht die globalisierte Marktwirtschaft einmal mehr am Pranger. Dem Siegeszug des Wall-Street-Kapitalismus jedenfalls hat das Desaster an den internationalen Finanzmärkten einen schweren Schlag versetzt – zumindest vorläufig. So sieht es auch Jagdish Bhagwati, Wirtschaftswissenschaftler an der Columbia-University in New York, in seinem jetzt auf Deutsch erschienenen Buch. Darin bekennt sich der 74-Jährige zwar uneingeschränkt zum freien Welthandel, geißelt zugleich aber auch Entwicklungen, die er für gefährlich hält.

Rezensiert von Nikolaus German |
    Die Freigabe der internationalen Kapitalströme, so konstatiert der Autor, führte bereits 1997 zu einer verheerenden Finanzkrise in Asien. Durch kurzfristiges Zufließen und wieder Abfließen riesiger Kapitalmengen wurden die Volkswirtschaften Thailands, Indonesiens, Malaysias und Südkoreas destabilisiert. Die wirtschaftliche Globalisierung, die Bhagwati so befürwortet, zeigte hier sehr negative Seiten. Was aber nicht der Globalisierung selbst anzulasten sei, betont der Wissenschaftler, sondern denen, die unverantwortlich mit ihr umgegangen sind.
    Seine Kontrahenten, die Globalisierungsgegner, sehen das freilich anders. Für sie sind die entfesselten Finanzmärkte in der Logik der globalisierten Marktwirtschaft selbst begründet.
    Bhagwati aber benennt als Schuldige die miteinander verklüngelten Politik- und Finanzpotentaten in Washington und New York. Für diese Seilschaften hat er den Namen "Wall-Street-Finanzministeriums-Komplex" geprägt.
    Zwischen der Finanzwelt New Yorks und der politischen Machtelite Washingtons gibt es ein stetiges Hin und Her, schreibt er. Wall-Street-Leute wechseln in die amerikanische Regierung, den IWF oder die Weltbank - und umgekehrt. Beim "Wall-Street-Finanzministeriums-Komplex" regiert Bhagwati zufolge nicht der Sachverstand, sondern Lobbyismus und Betriebsblindheit.

    Diese Leute tragen nicht nur die gleichen Krawatten, sondern auch die gleichen Anzüge; man sieht sich bei Vorstandstreffen und in Klubs; diese Leute hegen die gleichen Gefühle, in denen man sich durch einander ähnelnde Weisheiten bestärkt. Deshalb brachten sie wie Lemminge andere Lemminge und auch uns in Sachen Kapitalmobilität frohen Mutes auf einen gefährlichen Kurs.

    Bhagwati warnt vor den Gefahren eines, wie er sagt, "wild gewordenen internationalen Finanzkapitalismus", der die Globalisierung in Misskredit bringt und moralische Angriffspunkte für die Kritiker der Globalisierung bietet.
    Auf die aktuelle Welt-Finanzkrise konnte Bhagwati in seinem Globalisierungsbuch nicht mehr eingehen. Er nahm dazu aber kürzlich auf einer Veranstaltung der Körber-Stiftung in Hamburg Stellung:

    "Ich würde sagen: Ein wichtiges Element von dem, was sich jetzt abspielt, besteht darin, dass man Innovationen gemacht hat, ohne sie zu verstehen. Und dass man die Kontrolle darüber verloren hat. Man kann das mit dem Irak-Krieg vergleichen. Da glaubten alle in Washington, in drei, höchstens sechs Wochen hat man das hinter sich – wie beim ersten Irak-Krieg. Niemand hatte sich mit der Möglichkeit beschäftigt, dass da etwas schiefgehen könnte. Und genau darin liegt das Problem: Im Irak-Krieg genauso wie jetzt beim Finanzdesaster verlor man die Kontrolle über die Innovation. Zuerst preist man etwas als "Innovation", und dann gleitet es einem völlig aus der Hand - alle stecken da mit drin."

    Diese finanztechnischen Innovationen – hochriskante Produkte! -, richteten auf den deregulierten Finanzmärkten unvorstellbare Zerstörungen an.

    "Werden wir in der Lage sein, künftige Finanz-Desaster zu verhindern? Ich weiß es nicht. Ich meine, das hängt davon ab, wie gut man die Regulierung hinbekommt, und wer reguliert. Eine Regulierung ohne Sachverstand ist keine Regulierung."

    Ein paar Regulierungen seien jetzt zwar unerlässlich, meint der Ökonom, aber Wunder dürfe man sich davon nicht erwarten:

    "Die Anforderungen der staatlichen Bankenaufsicht, wie wir sie bei den Geschäftsbanken haben, müssen auf die Investmentbanken ausgedehnt werden. Wir müssen auf diese Weise mögliche Finanzkrisen abfedern; ob wir sie je beseitigen können, kann freilich niemand sagen. Ich glaube eher, dass es sich um ein Problem handelt, das zum Wesen des Kapitalismus gehört. Der Kapitalismus regiert den Finanzsektor und produziert entsprechende Ergebnisse. Ich kenne keine Zauberformel, mit der wir dieses Problem aus der Welt schaffen könnten."

    Trotz dieser Skepsis lässt Bhagwati in seinem Buch keinen Zweifel, dass für ihn die wirtschaftliche Globalisierung das Mittel ist, um überall auf der Welt Wohlstand zu schaffen. Die Globalisierungsgegner, schreibt er, haben Unrecht mit ihrer Behauptung, arme Länder würden durch die Globalisierung noch ärmer. Das Gegenteil zeige sich bei Entwicklungs- und Schwellenländern, die sich der wirtschaftlichen Globalisierung geöffnet haben – zum Beispiel Indien und China:

    Nach Angaben der Asian Development Bank nahm der Anteil der Armen an der chinesischen Bevölkerung von 28 Prozent im Jahr 1978 auf neun Prozent im Jahr 1998 ab. Nach amtlichen indischen Schätzungen ging die Armut dort von 51 Prozent in den Jahren 1977/78 auf 26 Prozent in den Jahren 1999/2000 zurück.

    Fürwahr beeindruckende Zahlen, denen aber die vielfältigen Kosten der wirtschaftlichen Globalisierung gegenüberstehen, vor allem soziale und ökologische.
    Allen Einwänden zum Trotz ist Bhagwati davon überzeugt, dass es durch die Globalisierung nahezu überall auf der Welt mehr Vorteile als Nachteile gibt, mehr Gewinner als Verlierer - worin ihm Ex-Außenminister Joschka Fischer in seinem Vorwort zum Buch beipflichtet. Bill Clinton, Gerhard Schröder und Tony Blair hatten einst bemängelt, der Globalisierung fehle es an einem menschlichen Antlitz, weil sie oft mit großen sozialen Härten verbunden sei. Nein, protestiert Bhagwati, das sei "Phrasendrescherei". Die Globalisierung habe ein menschliches Antlitz, es komme nur darauf an, es noch sympathischer zu machen. Eben dies nachzuweisen ist das leidenschaftliche Anliegen Bhagwatis. Er macht das mit klugen Argumenten und auch einer Portion Humor – und der immensen Sachkenntnis eines Anwärters auf den Wirtschafts-Nobelpreis.

    Nikolaus German über Jagdish Bhagwati: Verteidigung der Globalisierung, Pantheon Verlag, 528 Seiten, Euro 16,95.