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Menschmaschinen in der Medizin

Prothesen, Hirnschrittmacher, smart drugs - alles scheint möglich in der heilenden Manipulation des menschlichen Körpers: wirklich alles. Warum nicht gesunde Organe durch bessere künstliche ersetzen? Wer jetzt "Android" denkt, liegt nicht falsch - aber ist das ethisch richtig?

Von Peter Leusch | 17.06.2010
    "Man muss unterscheiden zwischen Schnittstellen zum Gehirn, die von außen her Signale hereinbringen können ins Gehirn, und solchen, die vom Gehirn her selbst Signale nach außen tragen können. Von den internalisierenden Schnittstellen kennen wir zum Beispiel das Cochlea-Implantat, das ist ein Implantat, was bei Gehörlosen das Hören wieder ermöglicht, inzwischen gibt es eine Million Nutzer weltweit oder sogar noch mehr, das ist sehr erfolgreich, eigentlich der Renner unter den Neuroprothesen."

    Steffen Rosahl ist Chefarzt für Neurochirurgie am Helios-Klinikum in Erfurt. Er hat Erfahrungen im medizinischen Einsatz von Neuroelektronik, zum Beispiel auch bei Parkinson-Patienten.

    "Das zweiterfolgreichste Implantat ist das bei Parkinson verwendete, also eine Tiefenhirnschnittstelle, sagen wir dazu, ... man stimuliert um Elektroden und unter diesen Elektroden kommt es zu einer Ausschüttung von Neurotransmittern, also Signal- und Botenstoffen, die man normalerweise bei Parkinson-Patienten über Tabletten geben müsste, man schaltet damit Nebenwirkungen aus und wird eventuell noch Patienten helfen, die man medikamentös nicht behandeln kann."

    In der modernen Medizin stützen technische Hilfsmittel aller Art den kranken Organismus, dringen dabei aber auch immer intensiver in den Menschen ein, mittlerweile bis ins Gehirn. Manche fürchten, dass dabei die Natürlichkeit des Menschen auf der Strecke bleibt und die Menschenwürde Schaden nimmt.

    Freilich hat es eine reine Natürlichkeit des Menschen nie gegeben. Schon die Kleidung, das Fell des Frühmenschen, war eine zweite Haut, ein Enhancement, also eine Erweiterung des Organismus. Und der Prozess setzte sich fort: von der Brille zu implantierten Kontaktlinsen, von künstlichen Gliedmaßen und Gelenken über Herzschrittmacher bis hin zu elektronischen Hörhilfen. Das alles sind Errungenschaften, die dem Leben und Überleben dienen - doch zu welchem Preis: Verwandelt sich der Mensch allmählich in ein Mensch-Maschine-Mischwesen, in einen Cyborg?
    Der Rechtswissenschafter Eric Hilgendorf von der Universität Würzburg differenziert:

    "Zur Menschenwürde gehört sicher, dass man über den eigenen Körper grundsätzlich verfügen kann, deswegen wäre es sicher zulässig, dass ein Behinderter eigenverantwortlich bestimmt, eine Prothese tragen zu wollen und niemand darf ihm das verwehren. Wie sieht es aber aus, wenn ein Gesunder erklärt, ich möchte mein gesundes Bein amputieren lassen und eine Prothese tragen, die mich leistungsfähiger macht, die dazu führt, dass ich schneller laufen, höher springen kann, im Sport ist das eine reale Möglichkeit. Sollten wir sagen, jeder kann über den Körper selbst bestimmen? Oder kommt hier so etwas ins Spiel wie ein bestimmtes Menschenbild, das unabhängig ist von der Selbsteinschätzung oder Eigenwertung des Betroffenen, gibt es objektive Schranken für diese Operation? - Das sind die Fragen, die uns hier interessieren."

    Verbesserungen von Geist und Körper, smart drugs fürs Gehirn, implantierte Chips zur Steigerung der Gedächtniskapazität - wären das nicht verlockende Assistenten im Konkurrenzklima der Leistungsgesellschaft? Noch einen Schritt weiter gehen die Vorschläge der sogenannten Transhumanisten. Sie haben die technische Verbesserung, ja Neuerfindung des Menschen auf ihre ideologischen Fahnen geschrieben. So befürworten sie den Austausch gesunder Organe, sofern künstliche überlegen sind - konkret: sich künftig statt des natürlichen Auges ein künstliches implantieren zu lassen, wenn man damit auch im Infrarot-Bereich sehen könnte.
    Peter Schaber, der Ethik an der Universität Zürich lehrt, zieht eine moralische Grenzlinie dessen, was erlaubt sein sollte und was nicht.

    "Ich glaube, dass alle Eingriffe, die mit dem Ziel vollzogen werden, das menschliche Leben zu verbessern, Eingriffe sind, die wir unterlassen sollten, dass allein Eingriffe therapeutischer Art ethisch zulässig sind. ... Und diese Unterscheidung von therapeutisch und Enhancement, wie es im Fachjargon heißt, mag nicht immer klar sein, allerdings ist es eine Trennlinie, an der wir uns orientieren sollten, auch im Umgang mit solchen neuen Techniken."

    Bei der Entwicklung von Mensch-Maschine-Schnittstellen beginnt die harte Grenze zwischen Natur und Technik aufzuweichen. Und auch eine zweite, früher einfache Unterscheidung, die Gattungsgrenze zwischen Mensch und Tier, muss ethisch neu durchdacht werden angesichts der avancierten Forschung, fordert der Rechtswissenschaftler Jan C. Joerden von der Universität Frankfurt/Oder, einer der Leiter der interdisziplinären Bielefelder Arbeitsgruppe.

    "Was heutzutage bereits geschieht, ist, dass man beispielsweise tierische Zellen verwendet, auch Nervenzellen, die man entsprechend präpariert hat und zum Beispiel Alzheimer- oder anderen Patienten, die Gehirnkrankheiten haben, injiziert. Das ist nun noch in einer relativ kleinen Menge, sodass man sagen kann, das ist vielleicht noch nicht so dramatisch, aber man kann sich vorstellen, wenn diese Anzahl an Nervenzellen, die von Tieren gewonnen werden, nun immer mehr werden, - werden dann möglicherweise auch tierische Eigenschaften übertragen?"

    In umgekehrter Richtung werden heute auch menschliche Zellen Tieren implantiert - das dient der Entwicklung und dem Test neuer Medikamente. Aber der naturwissenschaftliche Forschungsdrang geht mancherorts einher mit einer in moralischer Hinsicht gefährlichen Naivität, so Marcus Düwell, Professor für Ethik an der Universität Utrecht:

    "In den USA haben Forscher eine Maus geklont mit 100 Prozent menschlichen Gehirnzellen, und als solches ist das wahrscheinlich nicht gefährlich, die Maus wird das Labor nie verlassen, aber interessant war: Die Forscher haben auf Fragen von Journalisten gesagt, um die Öffentlichkeit zu beruhigen: Sobald diese Maus in irgendeiner Weise menschliche Eigenschaften oder Verhaltensweisen zeigen würde, würden wir sie sofort töten. - Das ist das für mich eigentlich Beunruhigende daran, dass dem Forscher gar nicht aufgefallen ist, dass in dem Moment, wo diese Maus irgendwie menschliche Verhaltensweisen zeigen würde - wie immer man sich das vorstellen soll - hätten wir ihr gegenüber starke Verpflichtungen, wir dürften sie gerade nicht töten."

    Die Bielefelder interdisziplinäre Arbeitsgruppe von Biologen, Ärzten, Philosophen und Juristen zielt darauf, die neuen medizintechnischen Entwicklungen aufzuklären und moralphilosophisch zu bewerten. Denn die Gesellschaft, auch der Gesetzgeber muss hier zu einem ethisch gerechtfertigen Umgang finden.
    Eric Hilgendorf:

    "Die Gesellschaft hat immer versucht, Entwicklungen nicht zu verhindern, aber einzuengen, und so muss es auch mit diesen neuen Enhancement-Techniken passieren, ich denke ein wichtiger Problempunkt ist auch, sicherzustellen, dass die neuen Möglichkeiten gerecht sozial verteilt werden, es kann nicht sein, dass sich nur eine kleine Gruppe von Reichen optimiert und die anderen bleiben auf der Strecke, ... es gibt ja - das gehört fast zur Science-Fiction -, Ideen, die besagen, dass sich die menschliche Gattung zweiteilen könnte, in die Optimierten und die nicht so Optimierten, das sind Aussichten, die es doch angezeigt sein lassen über eine auch durchaus restriktive Gesetzgebung nachzudenken."