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Menzel als historische Referenz

Seit 1998 findet die Berlin Biennale für Zeitgenössische Kunst statt. Am Freitag öffnet nun die sechste Berlin Biennale für knapp zwei Monate ihre Pforten an sieben Orten der Hauptstadt. Kontextualisiert wird die Biennale durch eine Ausstellung mit Werken von Adolf Menzel. Carsten Probst in Berlin, was hat denn der alte Realismusmeister des 19. Jahrhunderts wie Adolf Menzel mit einer Biennale für zeitgenössische Kunst zu tun?

    Carsten Probst: Ja, Herr Schmitz, das erschließt sich wahrscheinlich schon ein wenig aus der Biografie Menzels, der ja, wie Sie schon eben erwähnt haben, einer der herausragenden Realisten zwar des ausgehenden 19. Jahrhunderts in Berlin war, aber zugleich war er nie ein großer Repräsentationskünstler. Es ist also bekannt, dass das Kaiserhaus beispielsweise sehr, sehr zögerlich war, Menzel offizielle Aufträge zu geben, obwohl man ihn als Künstler im Prinzip ... Man kam nicht an ihm vorbei, trotzdem im Vergleich mit Anton von Werner oder anderen hoch repräsentativen Historismusmalern war Menzel denen eigentlich immer suspekt, weil – und das ist jetzt die Begründung von Michael Fried, der für die Biennale hier in Berlin diese Menzel-Ausstellung mit vor allem zeichnerischen Werk eingerichtet hat –, weil Menzel der Darstellung von Geschichte eine ungeahnte Körperlichkeit vermittelt hat. Also man könne quasi Geschichte bis in jede Faser des eigenen Körpers nachfühlen, also auch das Leiden von Kriegen, von Soldaten und dergleichen mehr. Das ist also keine Repräsentationskunst mehr, sondern eine höchst subjektive körperliche Auffassung. Und nun eben der Brückenschlag, Menzel als historische Referenz – nach dem Willen von Chefkuratorin Kathrin Rhomberg – als historische Referenz für heutige Künstler, für junge Künstler, die eben ja die Gegenwartsrealität in gewisser Weise beackern, bearbeiten, abbilden sollen, aber eben nicht mehr mit den Maßgaben natürlich, die Menzel vorschwebten, mit figürlichen Darstellungen, sondern mit Videos, Performances, Figurationen in Fotografie und dergleichen mehr. Das ist ein Verfahren, das wir übrigens ja auch schon von der letzten documenta 2007 kennen, wo ja auch zum Teil schon sehr, sehr alte Kunstwerke neben ganz neuen gezeigt wurden.

    Schmitz: Also Gegenwartsrealität, das ist der kuratorische Ansatz von Kathrin Rhomberg für diese sechste Biennale?

    Probst: Ja, so kann man es sagen. Sie nimmt auch ein paar kleine Weichenstellungen vor in Bezug auf dieses ganze Festival, das ja in seiner Geschichte, die Sie ja auch eben schon in der Anmoderation erwähnten, eigentlich immer ein bisschen Aushängeschild für die Berliner Republik sein sollte, die sich dann quasi mit junger Kunst in Berlin schmücken wollte, was auch naheliegt. Kathrin Rhomberg hat jetzt diesen ganzen, das Ganze Zentrum zwar teilweise noch in dieser alten Margarinefabrik in Mitte belassen, aber doch aus diesem sehr repräsentativen Politikzentrum mit der Museumsinsel und so weiter mehr nach Kreuzberg in den alten Westen verlagert, wo viele Migranten leben und dergleichen mehr, also mehr in die, ja, globalisierte Realität von Berlin hinein. Und das ganz programmatisch, man möchte quasi diesen nationalen Auftrag der Biennale, den sie bisher so ein bisschen unterschwellig hatte, vermeiden und stattdessen wirklich eine komplette Abbildung von heutiger Realität, wie sie überall zu finden ist, befürworten.

    Schmitz: Nehmen Sie uns doch bitte einmal mit auf einen Rundgang zu den verschiedenen Ausstellungsorten. Was ist Ihnen ins Auge gefallen, wovon Sie uns berichten könnten?

    Probst: Also die Achse neben der Menzel-Ausstellung ist ganz klar diese alte Margarinefabrik in den Kunstwerken in Mitte und natürlich ein riesiges ehemaliges Warenhaus in Kreuzberg, mitten in Kreuzberg am Oranienplatz, wo es sehr viele Videoarbeiten zu sehen gibt. Ich nenne zwei Arbeiten in dieser insgesamt sehr, sehr kleinteiligen Ausstellung, und zwar einmal ein riesiges nachgebautes Haus des Kosovaren Petrit Halilaj, ein Haus seiner Eltern aus dem Kosovo, das im Kosovokrieg zerstört wurde und das er hier aus alten Schachtbrettern nachgebaut hat überdimensional als eine Art Mahnmal für zerstörte Heimat, oder aber der Videokünstler Phil Collins, der per Annonce ehemalige Lehrer und Hochschullehrer der DDR gesucht und gefunden hat und die dann interviewt hat über deren Lebensläufe nach der Wende, wo sehr, sehr viele gebrochene Biografien aufscheinen und dergleichen mehr. So mäandert dieses gesamte Biennale-Programm eigentlich immer über Erzählungen, bruchstückhafte, ja, bits and pieces von kleinen historischen Einblicken in unterschiedlichste Schicksale und Konfliktherde in aller Welt, ohne dass jetzt gewissermaßen ein Kunstwerk als die große ästhetische Offenbarung herausragt.

    Schmitz: Noch ein Wort zur Qualität dieser Biennale: Wie bewerten Sie sie?

    Probst: Sie ist sehr solide durchkuratiert, das zum einen. Aber wie Kathrin Rhomberg es selbst ausdrückt, für mein Gefühl verzichtet sie zu stark auf den Kunstgenuss. Sie möchte das regelrecht vermeiden. An manchen Stellen wirkt es dadurch ein bisschen sehr arg monothematisch, ein bisschen sehr hölzern.

    Schmitz: Carsten Probst über die sechste Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, vielen Dank für das Gespräch!