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Merkel

Stephan Detjen |
    Detjen: Frau Merkel, was verbinden Sie mit dem Begriff des ‚Bösen’?

    Merkel: Mit dem Begriff des Bösen verbinde ich nichts Gutes, das versteht sich von selbst. Aber in meinem politischen Vokabular kommt es eher selten vor, falls Sie auf die amerikanische Bezeichnung der ‚Achse des Bösen’ ansprechen . . .

    Detjen: . . . der Begriff ist ja sehr zentral für die Begründung des Krieges in den USA.

    Merkel: Ich verbinde mehr, wenn Sie von Bösem reden, mit dem Wort etwas Diktatur. Diktatoren – darunter kann ich mir sehr viel vorstellen, auch was das politische Regime bedeutet. Und da gibt es dann auch sehr viele ‚böse’ Komponenten in einer solchen Diktatur.

    Detjen: Der Begriff ist ja im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg deswegen interessant, weil er eine religiös-theologische Motivation der Amerikaner bei diesem Krieg dokumentiert. Präsident Bush hat den Begriff ja sehr bewusst Anfang des Jahres in seine Rede zur Lage der Nation eingefügt, hat den Begriff ‚Achse des Hasses’, der da offenbar ursprünglich im Manuskript vorhanden war, ersetzt, weil er eben eine religiöse Gefühlslage der Amerikaner ansprechen wollte.

    Merkel: Ich bin mir da nicht so sicher. Die Amerikaner neigen in dieser Frage zu sehr harten Bezeichnung insgesamt. Der Präsident Clinton hatte uns damals ja schon überrascht – zum Ende seiner Amtszeit – durch die sogenannten ‚rogue-states’, also die Schurkenstaaten, und deshalb würde ich nicht zuviel da hineinlegen. Ich glaube, dass in Amerika generell der moralische Anspruch der Politik auch in der Argumentation in der Vertretung nach außen sehr viel deutlicher artikuliert wird, dass allerdings die Entscheidungen, die eigentlichen politischen Entscheidungen, auch hoch rational gefällt werden, wie das in allen Demokratien der Fall ist.

    Detjen: Aber macht nicht das, was Sie als die moralische Komponente bezeichnen, was in den USA ja ohne jeden Zweifel sehr stark religiös unterlegt ist, doch die eigentliche Tiefe der transatlantischen Kluft aus, die wir in den letzten Monaten erlebt haben? Es geht ja nicht nur um Handlungsalternativen, es geht um unterschiedliche Denkweisen. Wenn Sie den Präsidenten Bush nehmen, der jede Kabinettsitzung mit einem Gebet eröffnet, und den Präsidenten Chirac als Vertreter eines zutiefst laizistisch geprägten Staates – leben die nicht in unterschiedlichen Glaubenswelten?

    Merkel: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass die Unterschiede viel mehr aus einem unterschiedlichen Selbstverständnis gegeben sind. Und da ist das Selbstverständnis von Deutschland – ich will mich jetzt mal auf Deutschland konzentrieren, ein Land, das es nicht gelernt hat, aus historischer Erfahrung heraus natürlich verständlich, seine eigenen Interessen klar zu definieren, während die Amerikaner mit einem sehr hohen Selbstbewusstsein natürlich, auch einer ganz anderen historischen Erfahrung, selbstbewusst an die Dinge herangehen und ihre Interessen sehr stark vertreten, sicherlich dann auch begründen. Aber das lernen wir ja im Augenblick gerade, darüber geht ja auch ein Teil der politischen Diskussion, dass wir gemerkt haben: Nach der Wiedervereinigung ist Deutschland ein souveränes Land, ein Land, das sehr viel mehr Rechte hat und das damit auch mehr Pflichten bekommen hat. Und wie wir das in unsere eigene Geschichte und auch in die Zusammenarbeit mit den Europäern und Amerikanern einordnen, darüber läuft im Grunde parallel zum Iran-Konflikt im Augenblick eine wichtige Diskussion und eine Diskussion, der wir uns auch ernsthaft widmen wollen. Die ist in den Vereinigten Staaten von Amerika natürlich so nicht zu führen. Das Land ist selbstbewusst, nach dem Ende des kalten Krieges wahrscheinlich noch selbstbewusster, weil man erlebt hat, dass die Freiheit auch gegen die andere große Macht, die Sowjetunion, gesiegt hat – und gleichzeitig unendlich verwundbar nach dem 11. September, weil auch tief getroffen.

    Detjen: Man kann es vielleicht auch in dem Begriffspaar zusammenfassen, das der amerikanische Publizist Robert Kagan gefunden hat: Macht und Ohnmacht. Ich glaube, Sie haben das Buch von ihm nicht gelesen. Der kommt zu dem Ergebnis, dass Europäer und Amerikaner auf ganz unterschiedlichen Planeten leben.

    Merkel: Ja, ich habe dieses Buch gelesen. Die Thesen mit den unterschiedlichen Planeten finde ich etwas überhöht und teile sie deshalb nicht so. Aber ich glaube, dass ein Vielteil des amerikanischen Selbstverständnisses aus diesem Buch durchaus sichtbar wird und dass wir Europäer gut beraten sind, uns einmal auch mit unseren Schwachstellen zu befassen. Und diese Schwachstellen Europas liegen in einer geringen Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung, die seit Jahren hinter dem Wirtschaftswachstum der Amerikaner zurückliegt. Das gilt insbesondere für Deutschland, aber im Grunde für ganz Europa. Und sie liegen darin, dass unsere militärische Stärke der ökonomischen Stärke nochmals hinterherhinkt, und sie liegen in einer sehr hohen Uneinigkeit, wie wir es jetzt leider auch wieder gesehen haben, also sehr viel nationalen Interessen und nicht ausreichendem gemeinsamen europäischen Verständnis, was Außen- und Sicherheitspolitik anbelangt.

    Detjen: Sie haben gefordert, immer wieder gefordert in den letzten Tagen, dass man auf beiden Seiten des Atlantiks sich sehr – wie Sie gesagt haben – offen und schonungslos mit seinem Selbstverständnis auseinandersetzen muss. Sie haben ja in der Tat weder die Bundesregierung noch die eigene Partei mit Ihren Positionsbestimmungen in der Irak-Debatte geschont. Warum sind Sie denn noch so schonend mit den Amerikanern umgegangen?

    Merkel: Ich vertrete grundsätzlich die Meinung, dass ich mich zurückhaltend zur amerikanischen Regierung äußere, dass ich mich zurückhaltend zur russischen Regierung äußere, zur französischen, weil ich nicht glaube, dass es notwendig ist, dass die deutsche Opposition jetzt zu allem und jedem ihren Kommentar abgibt. Ich habe einen Satz in Amerika bei meinem Besuch aus tiefer Überzeugung immer und immer wieder gesagt: Eine Supermacht, mag sie noch so stark sein – und die Amerikaner sind stark, ökonomisch und militärisch -, darf niemals glauben, dass sie als Supermacht alleine die Geschicke der Welt lenken kann. Und der Besuch des amerikanischen Außenministers Collin Powell jetzt in Europa - auf seinen Wunsch hin, nicht auf Einladung der Europäer interessanterweise - zeigt mir, dass die Amerikaner um diesen Tatbestand auch wissen. Allerdings – auch das habe ich immer wieder gesagt, zumal ich das auch selbst mit verhandelt habe: Die Ablehnung von internationalen Abkommen, wie zum Beispiel dem Kyoto-Abkommen, die Alleingänge zum Beispiel im Zusammenhang mit Handelskonflikten, sehen wir mal das Thema Stahlembargo, das sind Dinge, die natürlich diesen Eindruck erwecken, man könne auch alleine seinen Weg gehen. Und der muss natürlich auch kritisch diskutiert werden. Das macht Europa, das macht Deutschland, und das mache ich genauso wie andere.

    Detjen: Aber dieser Eindruck scheint sich ja auch in den letzten Tagen auch in den Reihen der CDU durchaus gehalten zu haben. Helmut Kohl hat in einem Interview Ende der hinter uns liegenden Woche die Amerikaner vor unilateralen Träumereien gewarnt. Er hat ihnen psychologische Fehler vorgeworfen, hat gesagt, sie hätten die europäischen Sensibilitäten nicht verstanden. Friedrich Merz, der auch in Washington war und dort mit zum Teil den gleichen Leuten gesprochen hat wie Sie bei Ihrem Besuch, hat dort eine Bunker-Mentalität beobachtet.

    Merkel: Ich möchte das jetzt nicht weiter kommentieren. Ich habe meinen Eindruck gesagt an der Stelle. Ich glaube nur, wir Deutschen täten gut daran, uns mal mit uns selbst und unseren Interessen zu befassen. Und an der Stelle müssen wir ansetzen, denn sonst werden wir unsere ureigensten Interessen nicht durchsetzen. Und eine der Lehren der Geschichte für Deutschland – und die ist für mich unabwendbar – heißt: Keine deutschen Alleingänge und Sonderwege, sondern der Versuch, als ausgleichender Faktor in Europa zu wirken. Deutschland hat ein riesiges Interesse daran, dass Europa einheitlich ist, weil damit Ängste vor Deutschland als größtem Land in Europa natürlich nicht mehr auftreten und weil gleichzeitig Deutschland seinen politischen Einfluss in einem einigen Europa natürlich auch in der internationalen Szenerie viel besser einbringen kann, als das sonst die Möglichkeit wäre. Frankreich und England haben aus der Nachkriegsordnung heraus - im UN-Sicherheitsrat zum Beispiel - Vetorechte. So etwas kann jetzt nur noch mit deutschem Einfluss untermauert werden, wenn wir eine Europäisierung der UN-Sicherheitsratmandate bekommen für die europäischen Mitgliedsstaaten.

    Detjen: Wir werden darauf sicherlich gleich noch einmal zu sprechen kommen. Ich wollte noch mal bei dem Begriff ‚historischer Lehren, historischer Lebenserfahrung’ anknüpfen. Es wird da in diesen Tagen in Deutschland sehr viel bezug darauf genommen auf allen Seiten, entweder auf die deutsche Lebenserfahrung, die unmittelbare Kriegserfahrung - als Unterschied zu den Amerikanern, genau so auf die Erfahrung der Befreiung durch die Amerikaner vom Nationalsozialismus. Sie gehören der Nachkriegsgeneration an, kommen aus Ostdeutschland, wo sind denn bei Ihnen die biografischen, die autobiografischen Wurzeln Ihres transatlantischen Engagements?

    Merkel: Also, natürlich gehöre ich einer Nachkriegsgeneration an, die aber Eltern hat, die auch vom Krieg geprägt waren, deren Jugend im Grunde durch den Krieg auch nicht so stattgefunden hat, wie meine Jugend unbeschwert stattfinden konnte – immer wieder Bombenangriffe; mein Vater war Flakhelfer noch, also wirklich durch den Krieg sehr schwer geprägt, auch Berufsentscheidungen nach dem Krieg in dem Bewusstsein gefällt, so etwas soll nie wieder vorkommen. Dann bin ich aufgewachsen in der früheren DDR, natürlich in einer Diktatur, in einer ganz anderen Diktatur, als es der Nationalsozialismus war, aber wieder in einer Diktatur. Und deshalb glaube ich, habe ich aus meiner Biografie doch zwei Lehren zu ziehen: Erstens, man muss alles unternehmen, um friedliche Lösungen zu erreichen, das ist überhaupt gar keine Frage. Aber die Erfahrung heißt auch, Diktatoren lassen sich mit demokratischen Mitteln nur dann bezwingen, wenn wirklich einheitlich auch gegen sie agiert wird. Diktatoren haben immer ein Interesse daran, Interessengegensätze unter freiheitlichen Ländern auszunutzen - zu ihren Gunsten und zu ihrer eigenen Stabilisierung. Und das ist das, was mich so unglaublich beschwert hat in der ganzen Phase des Versuchs, die UN-Resolution friedlich durchzusetzen, dass die westliche Welt gespalten war und in dieser Spaltung geschwächt war, und das sozusagen zugunsten von Saddam Hussein ausging, eine Zeit lang jedenfalls, und damit die ganze Frage, schaffen wir es, friedlich ihn zu entwaffnen, geschwächt wurde.

    Detjen: Hat sich die Bundesregierung, die Sie dafür verantwortlich machen, dadurch mitschuldig am Krieg im Irak gemacht?

    Merkel: Schauen Sie, der Krieg ist jetzt bittere Realität. Ich habe meine Einschätzung zu diesen Dingen oft gesagt, und ich sage jetzt: Lasst uns in die Zukunft blicken. Ich wünsche mir für die Zukunft ein einiges Europa, und ich glaube, es darf nie wieder passieren, dass zur Durchsetzung, auch zur Wahrung der Autorität der UNO, militärische Optionen generell ausgeschlossen werden. Wir haben das im Kosovo-Konflikt nicht getan, wir haben es bei Afghanistan nicht getan. Wenn wir Wirkung erzielen wollen, dürfen wir das nicht, und wir dürfen keine einseitigen deutschen Festlegungen haben, wie wir keine einseitigen Festlegungen anderer Länder haben dürfen.

    Detjen: Aber Europa ist gespalten. Der amerikanische Verteidigungsminister Rumsfeld hat da den Begriff vom ‚neuen’ und ‚alten’ Europa geprägt. Helmut Kohl übrigens hat das in dem bereits erwähnten Interview als töricht bezeichnet.

    Merkel: Also, zur Beurteilung, ob es geschickt von einem amerikanischen Politiker war, Europa so aufzuteilen, kann ich nur sagen, dass dies sicherlich einer der Fälle war, wo man gesagt hat, die Sprache ist nicht immer glücklich. Aber aus der Sicht von jemandem, der betroffen ist, der in einem neuen Bundesland aufgewachsen ist - also frühere DDR, aber heute neues Bundesland genannt wird, wir sagen ja auch in Deutschland alte Bundesländer, neue Bundesländer – habe ich auch ein kleines Schmunzeln bei diesem ‚neuen Europa’ und ‚alten Europa’, weil ich es aus meiner deutsch-deutschen Erfahrung nicht als so gravierend empfinde. Der Punkt, der doch uns auch in Europa gefangen hält, ist doch der Punkt, dass jetzt offensichtlich wird, dass die Beitrittskandidaten für die Europäische Union oder die neuen Mitglieder der NATO aus ihrer historischen Erfahrung heraus neue Achsen nicht wollen. Berlin-Paris-Moskau ist für sie keine Option für ihre Sicherheit, das kann ich gut verstehen, das unterstütze ich auch. Und damit haben sich plötzlich in Europa durch die neuen Mitgliedsstaaten natürlich auch neue Kräfteverhältnisse herausgebildet, die ich nicht einfach durch Beschimpfung wieder verändern kann, sondern die das Europa der Zukunft prägen werden. Und ich finde das gut und in Ordnung, und ich glaube, dass Deutschland immer im Sinne des Ausgleichs die Integration, so wie wir es für die deutsche Einheit gemacht haben, auch von Europa vorantreiben muss.

    Detjen: In dem Zusammenhang ist es ja interessant, zu sehen, dass die CDU-Vorsitzende heute in der Irak-Debatte dem postkommunistischen Regierungschef in Warschau näher steht, als dem konservativen Präsidenten in Frankreich.

    Merkel: Ich war vor nicht allzu langer Zeit beim Gründungskongress der ÖNP, bin dort auch sehr wohlwollend empfangen worden. Ich habe sehr, sehr gute Beziehungen . . .

    Detjen: . . . da war die Diskussion aber, glaube ich, noch nicht so heiß, wie sie jetzt ist.

    Merkel: Nein, sie war noch nicht so heiß, wie sie jetzt ist, aber ich will nur sagen, dass sie so, wie manche Narbe aus diesem Disput heilen wird, wenn wir die richtigen Lehren daraus ziehen, doch nicht bedeutet, dass man jetzt überhaupt keine guten Beziehungen mehr entwickeln kann. Ich sehe keine Alternative, als in Europa wieder zu einem gemeinschaftlichen Verhalten zurückzukehren. Ich persönlich bin sicherlich sehr viel deutlicher auf die zwei Säulen ausgerichtet – europäische Einigung und transatlantisches Bündnis in einem, als das vielleicht in der französischen Tradition liegt. Das hat immer ein Spannungsverhältnis auch zwischen Deutschland und Frankreich ausgemacht. Deutschland hat hier eine ganz spezifische Rolle zu spielen, und insofern glaube ich, dass Konstruktionen wie das Weimarer Dreieck – Frankreich, Deutschland, Polen – wichtig sind und dass wir uns da auch mit aller Klarheit miteinander verständigen müssen.

    Detjen: Das ist aber im Vergleich noch eine überschaubare Größe – im Vergleich zu dem, was die Europäische Union in Zukunft sein wird. Ist es denn überhaupt möglich, noch mal zu der Vorstellung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen, wie sie einmal entwickelt worden ist?

    Merkel: Ich glaube, dass an der Stelle die Zahl der Länder weniger gravierend ist als an der Frage, wie wir unsere innenpolitischen Fragen, die Fragen des Binnenmarktes und die Zukunft der Richtlinien in dem Bereich miteinander diskutieren. Denn wenn Sie ganz genau hingucken, so gibt es im Grunde in Europa zwei Lager, aber nicht durch die 25 zukünftigen Mitgliedsstaaten mehr Meinungen, als es sie gegeben hätte mit den 15. Und insofern bin ich an der Stelle der Außen- und Sicherheitspolitik optimistisch, als wenn die Balance zwischen den drei Ländern, die wir eben genannt haben – Frankreich, Deutschland, Polen – gewahrt wird und hier eine Einigung möglich ist, dass sie dann auch zwischen sehr viel mehr Ländern möglich ist. Wichtig sind zwei Grundregeln. Das eine ist, niemals glauben, Europa kann gegen Amerika aufgebaut werden, und zum zweiten, niemals vergessen, dass die großen Länder die kleinen Länder achten müssen und nicht beiseite drängen dürfen.

    Detjen: Lassen Sie uns an der Stelle ruhig einen Blick in die unmittelbare, auch europäisch-amerikanische Zukunft werfen. Der Dissens ist ja jetzt nicht damit beseitigt, dass man sich loyal oder protestierend mit dem Krieg abgefunden hat. Die nächste Auseinandersetzung zeichnet sich schon ab in der Frage, wie der Nachkriegsaufbau im Irak vonstatten geht. Wenn es nach den Amerikanern geht, dürfen die anderen Lebensmittel und Medikamente in den Irak bringen, regieren werden alleine die amerikanischen Generäle und die amerikanischen Statthalter in Bagdad.

    Merkel: Also, erst einmal habe ich mit viel Zustimmung gehört, dass die amerikanische Regierung deutlich gemacht hat, dass der Irak selbst auf die Beine kommen soll, dass dort so schnell wie möglich natürlich politische Selbstbestimmung eine Heimat haben soll, dass dort das Erdöl, die Bodenschätze, die Reichtümer dieses Landes dem Land gehören. Interessanterweise sind gestern die Vorschläge von Collin Powell, der ja ein Stück auf die NATO rekrutiert hat, also gar nicht vom amerikanischen Alleingang gesprochen hat, nicht sofort zurückgewiesen worden. Zum Teil sind sie skeptisch kommentiert worden, aber ich glaube, eine Lehre aus den vergangenen Monaten ist, dass man nicht strikt ‚nein’ sagt an Stellen, wo es noch Verhandlungsspielräume geben muss. Drittens - dass die UN-Blauhelme, wenn wir uns daran mal erinnern, vielleicht am Anfang nicht die einzige Kraft sein können in einem Irak, der mit Sicherheit ja noch viele Risiken in sich birgt. Das wird wohl auch einleuchten. Und wir haben eine bittere Erfahrung in den Auseinandersetzungen um das frühere Jugoslawien gehabt. Das waren die Blauhelm-Soldaten von Srebenica, die völlig wehrlos dem Massenmord zusehen mussten. Solche Erfahrungen dürfen sich niemals wiederholen. Und deshalb glaube ich, sollten in aller Ruhe und unter der Konditio, dass die UNO eine wichtige Rolle spielen soll und dass die Iraker vor allen Dingen von der Befreiung von Saddam Hussein ein besseres Leben erwarten sollen - in diesen Erwartungen sollten wir dann die Aufgaben verteilen. Und ich finde es gut, dass der Bundeskanzler deutlich gemacht hat, unter dem Dach der UNO wird sich Deutschland einem Wiederaufbau auch nicht entziehen. Ich habe die Äußerungen der Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul für ziemlich daneben gehalten.

    Detjen: Aber noch einmal: Wieso sollten die Amerikaner überhaupt auf eine wichtige Mitwirkung der UNO angewiesen sein? Wenn die Amerikaner im Moment beobachten, wie schwer sich die UNO damit tut, im Augenblick überhaupt mal die 2,2 Milliarden Dollar, die sie für die Soforthilfe im Irak bereitstellen will, dieses Geld zusammenzubringen, und wo ja zugleich auch in den USA schon Unternehmen bereit stehen, die die Aufträge für den Wiederaufbau von Infrastruktur und Telekommunikationseinrichtungen für sich haben möchten?

    Merkel: Also, ich finde es falsch, jetzt schon wieder voller Misstrauen auf jede Bewegung zu achten. Jedes Land hat vielleicht auch wirtschaftliche Interessen in dieser Region. Da ist mit Sicherheit Amerika nicht das einzige Land, das sie hat. Ich habe mit der stellvertretenden UN-Generalsekretärin, Frau Frechette, über die Frage ‚Zukunft des Irak’ gesprochen. Und die Vereinigten Staaten von Amerika sind sehr früh an die UNO herangetreten, um genau in dem Bereich Fortsetzung ‚Öl für Lebensmittel’-Programm, Wiederaufbauarbeit, Nutzung der Strukturenkenntnisse auch der UN-Mitarbeiter dort, Anschlüsse zu finden und eine Gemeinschaft von denen zu bilden, die bereit sind, dort etwas zu tun. Die Garantie der Sicherheit in diesem Gebiet, die wird naturgemäß wahrscheinlich denen, die jetzt im Irak kämpfen, auch noch ein Stück weiter obliegen. Ich habe nicht den Eindruck, dass dort ein übermäßiger Run auf risikohafte Unternehmungen stattfindet. Und ich sage es noch mal: Nicht die Europäer haben Herrn Powell gebeten, nach Europa zu kommen, sondern Herr Powell ist zu den Europäern gekommen. Und ich sehe darin eine Chance, vielleicht auch das transatlantische Verhältnis Europa-Amerika ein Stück wieder auf solide Füße zu stellen. Die UNO hat gute Leistungen vollbracht und vollbringt gute Leistungen. Ich nenne ausdrücklich Kosovo. Aber die UNO hat in einem Land wie Ruanda schmählichst versagt. Dort sind eine Million Menschen umgebracht worden, und zum Schluss hat sich der amerikanische Präsident in Ruanda entschuldigt dafür, dass Amerika nicht gehandelt hat. Und ich bitte wirklich, hier auch die Dinge sehr nüchtern zu sehen. Es muss dem Irak geholfen werden, und was immer mit der UNO geht, sollte man versuchen.

    Detjen: Welchen Beitrag könnte Deutschland und welchen Beitrag sollte Deutschland dazu leisten, konkret, um die UNO im Irak zu einem effektiven und für die Amerikaner satisfaktionsfähigen Partner zu machen?

    Merkel: Es wird mit Sicherheit Geld notwendig sein, was die Hilfsprogramme dort anbelangt in allernächster Zukunft. Aber wie man sich dann einlässt und in welcher Konstruktion man arbeitet, das kann ich heute nicht sagen.

    Detjen: Frau Merkel, zum Schluss noch einen Blick auf Ihre Partei, die CDU. Wieviel Führungskraft hat es denn in den letzten Wochen gekostet, die Partei auf ihren pro-amerikanischen Kurs einzuschwören?

    Merkel: Was heißt Führungskraft gekostet? Es ist so, dass ich als Parteivorsitzende das gemacht habe, was die Aufgabe einer Parteivorsitzenden ist, nämlich zusammen mit den Führungsgremien bestimmte Richtungsvorgaben zu machen. Ich weiß, dass es vielen Parteimitgliedern sehr schwer fällt, angesichts der Betroffenheit, angesichts der Bilder, die wir im Irak sehen, angesichts der Erfahrung - wir haben darüber gesprochen - die Menschen selbst im Krieg gemacht haben, hier auch die Gesamtinteressenlage Deutschlands und die Zukunft, gleichzeitig alles im Blick zu haben. Ich glaube, dass ich verantwortlich mit meinen Gremien auch entschieden habe und dass wir uns als Bundesrepublik Deutschland mit diesem Kurs als verlässlicher Partner auch im Ausland sehen lassen können.

    Detjen: Aber das Unbehagen in den eigenen Reihen ist ja in der CDU auch deswegen entstanden, weil Sie mit Ihren Formulierungen zum Teil auch über das hinaus gegangen sind, was in den Gremien, etwa in der Fraktion, beschlossen worden ist. Also die Formulierung zum Beispiel, der Krieg im Irak sei unvermeidbar geworden, stammt alleine von Ihnen.

    Merkel: Ja, selbstverständlich. Wer viel gefragt wird, muss ja auch was antworten. Und auf die Frage, ob ich diesen Krieg rechtfertige, ob ich ihn für richtig halte, habe ich mehrfach in Antworten gesagt, dass er aus meiner Sicht nicht positiv begleitet werden sollte, weil Krieg das nie sollte, sondern Krieg ist immer das Scheitern von Politik und Diplomatie. Und insofern habe ich mich geweigert, eine positive Verknüpfung mit diesen militärischen Auseinandersetzungen zu verbinden und habe dann gesagt, dass er unvermeidbar geworden ist in dem Sinne, dass er ja ganz offensichtlich stattfindet und nicht vermieden werden konnte. Und ich glaube, dass niemand an dieser Frage Anstoß erweckt und nehmen kann, denn er ist traurige Realität.

    Detjen: Aber eine Realität, die Sie durch Ihre Haltung loyal unterstützen. Sie haben ja auch in einem Brief an die Funktionsträger Ihrer Partei geschrieben, eine Partei wie die CDU könne es sich nicht leisten, in dieser Situation neutral zu sein. Sie müsse Partei ergreifen.

    Merkel: Also Entschuldigung. Ich habe als erstes einmal bedauert, dass es zum Scheitern von Politik und Diplomatie gekommen ist. Jetzt stehen wir vor der Frage, wem wir im Irak einen Erfolg gönnen. Und genau aus diesem Grunde heraus haben wir gesagt, wir stehen an der Seite der Amerikaner und der Alliierten. Und alles, was ich in den Bundestagsdebatten der vergangenen Woche gehört habe, weist genau darauf hin, dass es hierüber politische Einigung gibt. Und manchmal ist in den letzten Wochen das Verhältnis des Diktators, der 17 UN-Resolutionen missachtet hat, gegenüber denen, die versuchen, die Autorität der UNO einzusetzen, ein Stück ins Ungleichgewicht geraten. Und ich bin sehr dankbar, dass der Chefinspekteur Blix jetzt auch noch einmal deutlich gemacht hat, dass Saddam Hussein es in der Hand hatte, die UN-Resolution, die allerletzte, dann auch wirklich zu erfüllen.

    Detjen: Warum kann es sich Ihre Schwesterpartei, die CSU, dann dennoch leisten, sich in der Irak-Debatte viel bedeckter zu halten als Sie und die CDU es tun?

    Merkel: Ich denke, dass es erst einmal ein großes Maß an Übereinstimmung gibt, insbesondere auch in der Haltung dessen, was wir jetzt für die Zukunft wollen. Und zum zweiten ist es so, dass die CDU die große Volkspartei ist und die CDU deshalb auch an dieser Stelle sehr klar in Erscheinung treten muss.

    Detjen: Das ist dann Edmund Stoibers Abschied aus der großen Politik und der Rückzug ins Lokale?

    Merkel: Das glaube ich überhaupt nicht. Edmund Stoiber ist wie ich Parteivorsitzender. Und wir haben in den außenpolitischen Fragen, genau so wie in den innenpolitischen, einen engen Kontakt und ein hohes Maß an Übereinstimmung. Im übrigen waren alle Statements und alle Verlautbarungen zu diesem Punkt miteinander auch abgestimmt, denn ich bin auch gleichzeitig Vorsitzende einer Fraktion, in der CDU und CSU gemeinsam handeln.

    Detjen: Vielen Dank Frau Merkel.