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Merkel

Wolfgang Labuhn |
    DLF: Den Start der neuen rot-grünen Bundesregierung, Frau Merkel, den bezeichnen selbst wohlwollende Beobachter als Fehlstart überwiegend, weil es Gerhard Schröder und seiner Mannschaft an Mut zu wirklichen Reformen gemangelt habe, weil man gegenüber den mächtigen Interessengruppen dieses Landes zu nachgiebig gewesen sei. Die Antwort der CDU, also der neuen Opposition im Bundestag, fiel allerdings auch recht verhalten aus und beschränkte sich - jedenfalls in den Worten Ihres neuen Parteivorsitzenden Wolfgang Schäuble - im wesentlichen auf den Vorwurf einer ‚verfälschten Eröffnungsbilanz' seitens der neuen Regierung. Ist der CDU, Frau Merkel, als Oppositionspartei schon die Luft ausgegangen, oder hatten Sie noch gar keine Zeit, überhaupt Luft zu holen?

    Merkel: Also, ich denke mal, daß zu Beginn einer Amtszeit, so wie sie diese neue Bundesregierung jetzt ja hat mit der Regierungserklärung, es natürlich wichtig ist, daß man darüber spricht: In welchem Zustand hat diese Bundesregierung die Bundesrepublik Deutschland vorgefunden? Und da finde ich es richtig, daß Wolfgang Schäuble darauf hingewiesen hat, daß eine geringe Inflationsrate da ist, daß die Finanzen - ich sage mal - überschaubar sind, so wie Theo Waigel das auch für seinen Haushalt 1999 ja vorgestellt hat, und daß unsere Reformschritte, die wir eingeleitet haben, in die richtige Richtung gewiesen haben. Und Oskar Lafontaine hat ja begonnen, zu schreien fast - öffentlich -, daß 20 Milliarden Unsicherheiten im Haushalt seien. Es hat sich jetzt herausgestellt, daß bei der Steuerschätzung die Dinge eher günstiger liegen als ungünstig, und wenn's hart auf hart kommt, wird er zugeben müssen, daß wir solide Finanzen hatten. Unsere Oppositionsrolle beschränkt sich aber natürlich nicht darauf, zu erklären, daß der Eröffnungsstatus geprägt war noch durch die vorherige Bundesregierung, sondern unsere Oppositionsrolle - und das ist aus meiner Sicht in dieser Woche auch klar geworden - besteht darin, daß wir deutlich machen, daß die scheinbare Rücknahme von Reformen im Grunde nur ein Zeitgewinn für die Bundesregierung, die jetzt amtiert, ist - ein Pyrrhussieg, weil letztlich kein einziges Problem der Beitragsstabilität, der Staatsquote mit den Vorschlägen, die wir bis jetzt kennen, gelöst werden kann. Und das ist der eigentliche Vorwurf an diesen Start: Keine Signale, die uns von dem etwas bringen, was ja auch das gemeinsame Anliegen aller Politiker in Deutschland ist, nämlich Arbeitslosigkeit senken, Arbeitsplätze schaffen, Innovation, Technologie fördern und den Staat schlanker machen.

    DLF: Die neue Bundesregierung hat - angefangen mit der Regierungserklärung von Bundeskanzler Schröder - in dieser Woche ihre Reformprojekte ausführlicher vorgestellt. Welche könnte denn die CDU mit tragen, oder anders gefragt: Wo wird man jetzt in dem Fall der parlamentarischen Arbeit entschiedenen Widerstand leisten?

    DLF: Schauen Sie, die Frage ist doch: Wie sieht der Gesamtentwurf aus? Und wir nehmen zur Kenntnis, daß - von der Gesundheitsministerin angefangen über den Herrn Arbeitsminister - die aus unserer Sicht richtigen Reformschritte zur Stabilisierung der Beitragszahlungen zurückgenommen werden, daß man versucht, mit ökologischen Elementen im Steuersystem Rentenbeiträge zu finanzieren - auch ein zumindest systematisch ja nicht unbegrenzt fortführbarer Schritt, daß man aber vor allen Dingen, und das ist unser Hauptvorwurf, keine Entlastungen im größeren Maße schafft. Natürlich haben auch wir - wenn wir mal die Steuerreform uns anschauen - von einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage gesprochen, aber unter einer ganz anderen Prämisse, nämlich der Prämisse, daß insgesamt im gesamten tariflichen Bereich eine Entlastung stattfindet. Die Sozialdemokraten und die Grünen machen jetzt eine kleine Entlastung im unteren Tarifbereich, keine Entlastung jetzt, sondern später erst in den oberen Steuertarifbereichen, und sagen gleichzeitig: ‚Aber wir verbreitern für alle die Bemessungsgrundlage', und dabei entfallen auch noch 80 Prozent der Belastung auf die Wirtschaft. Und dann finden wir eben keine Gemeinsamkeiten, weil man sich nicht einzelne Elemente aus dem Kuchen herauspicken kann und sagen kann: ‚Da könntet Ihr doch mit uns gehen, denn das hattet Ihr ja auch in Eurem Petersberger Steuermodell'. Das geht genau nicht.

    DLF: Nun hat auch Wolfgang Schäuble schon einmal über Energiesteuer nachgedacht, öffentlich, wenn auch damals im Rahmen einer europäischen Lösung, wie er betonte. Also auch hier keine Möglichkeit einer Gemeinsamkeit?

    Merkel: Schauen Sie, das Schwierige ist, daß wir - solange es um Grundsätze geht - natürlich Gemeinsamkeiten finden: Arbeitslosigkeit senken, Rohstoffe stärker besteuern, dafür Arbeitskosten entlasten. Nur, wenn wir dann uns das Detail ansehen - wie wird ein bestimmtes Problem, ein bestimmter Grundsatz einer konkreten Lösung zugeführt -, dann habe ich immer gesagt als Umweltministerin: Wir werden eine Akzeptanz für mehr ökologische Elemente im Steuersystem nur dann bekommen, wenn dies keine zusätzliche Belastung der Menschen bedeutet, sondern vorher Abgaben und Steuern gesenkt wurden. Und genau das passiert nicht. Es werden Elemente eingeführt, sie belasten den ländlichen Teil der Bevölkerung sehr viel stärker als die städtischen Teile, weil die Menschen auf dem Lande stärker auf das Auto angewiesen sind. Sie belasten die neuen Bundesländer stärker als die alten, weil die Stromkosten zum Beispiel dort sowieso höher sind. Und so werden sie die Akzeptanz nicht kriegen, weil der eigentliche Entlastungsschritt als erster Schritt bei dieser Regierung fehlt. Und das ist der ganz große Vorwurf, über den man auch noch ärgerlich sein kann, weil gerade im Sinne der ökologischen Elemente wir ja die Akzeptanz durch die Bevölkerung brauchten.

    DLF: Frau Merkel, die CDU ist nun also nach 16 Jahren wieder Oppositionspartei im Bundestag, die größte Oppositionspartei natürlich. Sie findet sich auf den Reihen der Oppositionsbänke wieder mit der F.D.P., aber auch der PDS. Können Sie sich eine gemeinsame Oppositionsarbeit auch mit der PDS vorstellen?

    Merkel: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Wir werden keine Absprachen irgendeiner Form mit der PDS über politische Inhalte führen, und ich glaube, es ergeben sich da auch sehr, sehr wenig Gemeinsamkeiten. Und ich denk mal, daß die Oppositionsrolle der CDU - teilweise sicherlich gemeinsam mit der F.D.P., teilweise wird es vielleicht auch unterschiedliche Akzente geben, in der Opposition gibt es im übrigen auch keine Koalition, sondern da arbeitet jeder daran, mehrheitsfähig zu werden wieder und sein eigenes Profil natürlich zu schärfen. Wir werden also sicherlich aber Diskussionen mit der F.D.P. haben, nicht aber mit der PDS.

    DLF: Der CDU-Vorsitzende und auch Oppositionsführer im Bundestag, Wolfgang Schäuble, Frau Merkel, scheint ja nichts mehr gegen eine CDU-Mitgliedschaft früherer SED-Mitglieder zu haben. Der neue Bundesinnenminister Otto Schily hat in dieser Woche die Beobachtung der PDS durch Verfassungsschutzbehörden in Frage gestellt, und er verwies dabei auf die Regierungsbeteiligung der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, also in jenem Land, wo Sie selbst CDU-Landesvorsitzende sind. Könnte auch für die CDU der Tag kommen, Frau Merkel, die PDS als eine ganz normale demokratisch legitimierte Partei zu betrachten, deren Spezialität beispielsweise die Wahrnehmung der Interessen der neuen Länder auf Bundesebene sein könnte?

    Merkel: Also, mit Sicherheit wird aus meiner Sicht niemals die PDS sozusagen als die Partei im Parteienspektrum von uns akzeptiert, die diejenige ist, die die Interes-sen der Menschen in den neuen Bundesländern wahrnimmt. Man muß auch ganz klar sagen: Schauen Sie sich selbst bei den - aus meiner Sicht - viel zu vielen Wählerinnen und Wählern der PDS einmal die eigentlichen Stimmenanteile an, dann muß man erst mal sagen, daß 80 Prozent der Menschen eben nicht PDS wählen und sich offensichtlich durch die anderen Parteien auch recht gut im deutschen Bundestag mit ihrer Herkunft aus den neuen Bundesländern vertreten fühlen. Das wird manchmal übersehen. Aus der Tatsache, daß es die PDS eigentlich im Westen überhaupt nicht gibt, kann man nicht im Umkehrschluß folgern, daß sie die einzige Partei ist, die die Interessen der Ostdeutschen vertritt. Das will sie und das versucht sie. Und deshalb weiß sie auch, daß sie immer nur dann besonders gut rauskommt, wenn etwas auf dem Weg zur deutschen Einheit nicht gelingt. Aber die Mehrzahl der Bürgerinnen und Bürger in den neuen Bundesländern möchten, daß die deutsche Einheit gelingt. Und da sind die anderen Parteien ihre Vertreter. Nun bin ich sehr bedrückt, muß ich sagen, daß immer wieder durcheinander gebracht wird die Frage: Darf ein früheres SED-Mitglied Mitglied der CDU werden und unter welchen Bedingungen - mit der Frage: Welche Rolle spielt die PDS heute? Die SED ist 1989/90 sozusagen in der PDS aufgegangen. Wer SED-Mitglied war und nicht PDS-Mitglied war, hat sozusagen mit dem Ende der DDR auch seine Mitgliedschaft dort beendet. Und es sind nun immerhin 8 Jahre her, in der Menschen Zeit hatten, darüber nachzudenken, ob die sozialistische DDR vielleicht als Gesellschaftsmodell - eben aus sehr systematischen Gründen - versagt hat. Und wer zu dieser Erkenntnis kommt und sagt: ‚Ich habe erkannt, daß Demokratie und Freiheit und soziale Marktwirtschaft die Gesellschaftsform sind, für die wir arbeiten und streiten wollen', da muß man doch diesen Menschen die Möglichkeit geben, zu sagen: ‚Mein Programm, mein politisches Programm ist heute ein anderes'. Und deshalb haben wir in - glaube ich - allen Landesverbänden der CDU schon vor mehreren Jahren Beschlüsse gefaßt, daß im Einzelfall - wenn die Orts- und Kreisverbände auch die Personen kennen - die Aufnahme in die CDU möglich ist. Das sind wenige Menschen, die diesen Weg gehen, aber sie müssen die Möglichkeit haben, auch neue Einsichten zu gewinnen. Ein anderer Fall ist, daß die PDS heute noch von einer sozialistischen, kommunistischen, antikapitalistischen und grundsätzlich system-oppositionellen Bundesrepublik Deutschland träumt. Und das ist ungefähr das 180-Grad-Entgegengesetzte zu dem, was wir unter einer fortschrittlichen freiheitlichen Gesellschaft verstehen. Und diese PDS, die heute das gleiche behauptet, wie sie es 1989 sozusagen schon einmal in den Ruin getrieben hat, diese PDS - mit der setzen wir uns auseinander. Und sie ist an vielen Stellen zumindest nicht auf der Ebene des Grundgesetzes: Was die Frage des Eigentums anbelangt, was die Frage der repräsentativen Demokratie anbelangt, und sie ist mit Sicherheit an manchen Stellen auch in ihrer Methodenwahl - wenn man mal an die kommunistische Plattform und andere denkt - außerordentlich kritisch zu beobachten, weshalb es ja auch zu einer Beobachtung durch den Verfas-sungsschutz kommt. Und aus der Tatsache, daß . . .

    DLF: . . . die sollte auch bleiben?

    Merkel: . . . die sollte auch bleiben, wo sie gerechtfertigt ist. Und aus der Tatsache, daß Sozialdemokraten sich in Mecklenburg-Vorpommern entschlossen haben, lieber mit der PDS zu kooperieren als mit der CDU, kann doch nun Herr Schily nicht rück-wärts folgern, daß damit die Notwendigkeit der Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht mehr gegeben ist. Und Nordrhein-Westfalen hat ja sofort erklärt, daß sie daraus nun nicht im Umkehrschluß sehen, daß die Beobachtung durch den Landesverfassungsschutz gestoppt werden muß. Herr Schily hat im übrigen ja auch eine Rolle rückwärts machen müssen in der Frage. Die Logik war wirklich absolut falsch rum, die er genommen hat. Schlimm ist, daß die Sozialdemokraten mit einer solchen Partei kooperieren. Aber nicht notwendig oder nicht notwendigerweise heißt das natürlich, daß man sie nicht mehr beobachten muß.

    DLF: Frau Merkel, die CDU hat die Bundestagswahl nicht zuletzt auch in den neuen Bundesländern verloren. Dort ist sie sogar besonders drastisch eingebrochen und hat durchschnittlich 10 Prozent der Stimmen eingebüßt. Wie will die CDU jetzt in den neuen Bundesländern agieren, um diese Stimmen wiederzugewinnen?

    Merkel: Ich glaube, daß die Verluste der CDU insgesamt und gesamtdeutsch da sind, nur daß die Ausschläge in den neuen Bundesländern noch stärker waren, was damit zusammenhängt, daß die Stammwählerschaft längst nicht so gebunden ist, wie wir das in den alten Bundesländern kennen. Weil die Ausschläge so stark waren, weil die Stammwählerschaft kleiner ist, gibt es aber auch in den neuen Bundesländern die Chance, die Menschen auch wieder von unserer Politik zu überzeugen. Wie wollen wir das machen? Ich denke mal, daß wir vor allen Dingen mehr Mitglieder brauchen, mehr Mitstreiter. Und eine sehr interessante Erfahrung aus der Oppositionszeit jetzt im Bund ist, daß doch viele Menschen bereit sind, sich zu bekennen und zu sagen: ‚Angesichts des Bündnisses von PDS und SPD müssen wir uns vielleicht doch stärker dazu bekennen, daß wir CDU gewählt haben, und vielleicht sollten wir Mitglied werden'. Wir haben in Mecklenburg-Vorpommern jetzt in wenigen Wochen über 150 Mitglieder neu gewonnen. Das ist für die Partei eine gute und ermutigende Erfahrung, und mit mehr Mitgliedern werden wir es auch schaffen, besser präsent zu sein und mehr Streiter vor Ort im vorpolitischen Raum zu haben. Und nur so werden wir es auch wieder schaffen, mehrheitsfähig zu werden, denn das ist ein Punkt, der leider von der PDS eben vor Ort sehr intensiv wahrgenommen wird - nah am Bürger dran. Und dieses muß die CDU genau so schaffen. Das schaffen wir nur mit mehr Mitgliedern, und so werden wir das dann auch wieder politisch umsetzen können.

    DLF: Frau Merkel, die CDU hat seit dem Parteitag am vergangenen Wochenende eine neue Führung mit Wolfgang Schäuble an der Spitze, mit einer neuen General-sekretärin, nämlich Ihnen, und mit - wie erwartet - vier stellvertretenden Vorsit-zenden: Annette Schavan, Volker Rühe, Christian Wulff und Norbert Blüm - letzterer allerdings mit dem schlechtesten Wahlergebnis. Bei der Wahl der übrigen Präsidi-umsmitglieder gab es auch einige handfeste Überraschungen. Rita Süssmuth fiel ebenso durch - als Vorsitzende der Frauen-Union - wie Klaus Escher, der Vorsit-zende der Jungen Union. Rainer Eppelmann, der Vorsitzende der Sozialausschüsse, schaffte es erst im zweiten Anlauf. Die CDU-Führung nach Helmut Kohl also sozusagen ohne organisierte Frauenbeteiligung, ohne Jugend und mit reduziertem sozialen Gewissen?

    Merkel: Nein, also: Mal wird uns vorgeworfen, wir hätten keine Kampfkandidaturen, wir würden alles schon vorher ‚ausgekaspert' haben. Wenn bei 7 Posten fürs Präsidium als Beisitzer 10 Personen kandidieren, dann wird hinterher gesagt, ‚und nun seien ganze Grundströmungen der CDU nicht mehr im Präsidium vertreten': Das kann so nicht sein. Es ist im übrigen mit Klaus Escher und Rita Süssmuth - wenn ich mal die beiden Bereiche nehme - sind Vertreter ganz unterschiedlicher Flügel auch nicht gewählt worden. Das hat also alles sehr sehr differenzierte Gründe, und deshalb glaube ich in keiner Weise, daß hier sozusagen die Partei sich ganzer Strömungen beraubt hat. Ich finde es sowieso sehr komisch, daß es immer sehr schnell geht, daß einzelne Personen für sich ganze Schubladen sozusagen reklamieren können. Das stimmt ja so gar nicht. Für ‚soziales Gewissen' steht Norbert Blüm sicherlich, dafür stehen aber Rita Süssmuth und Erwin Teufel genau so . . .

    DLF: . . . aber nicht im Präsidium . . .

    Merkel: . . . ja, Erwin Teufel ist Mitglied des Präsidiums, und Norbert Blüm ist Stellvertreter. Und insofern kann man doch jetzt nicht sagen: Weil einer nicht gewählt wurde, ist sozusagen gleich die Balance der Partei aus den Fugen geraten. Es ist normal, daß bei 10 hervorragenden Personen, die kandidieren, 3 hervorragende zum Schluß im Präsidium nicht vertreten sind. Und das, was man von uns verlangt hat, daß wir uns auch Kampfkandidaturen zumuten, das hat stattgefunden. Ich persönlich bedaure sehr, daß Rita Süssmuth nicht im Präsidium vertreten ist. Ich hätte das sehr begrüßt.

    DLF: Wolfgang Schäuble betrachtet die jetzige CDU-Führung als Team, Frau Merkel, wobei jeder - nach dem Vorbild der Unionsfraktion im Bundestag - eigen-ständige Verantwortungsbereiche übernehmen soll. Können Sie uns verraten, wer künftig für was zuständig sein wird?

    Merkel: Nein, wir werden im Präsidium darüber sprechen, wie wir auch mit der Arbeit umgehen, denn als Partei in der Opposition haben wir natürlich viele Aufgaben zu bewerkstelligen - gemeinsam mit der Fraktion natürlich: Die Kontakte in dem gesamten vorpolitischen Raum zu den Verbänden, das Auftreten auch der Bundespartei sozusagen bei der Basis, auch an Stellen - so habe ich es in meiner Einführungsrede gesagt -, wo man uns vielleicht schon nicht mehr erwartet. Und ich stelle mir persönlich nicht vor, daß wir da zu schablonenartig vorgehen, wobei natürlich jedes Präsidiumsmitglied auch bestimmte Erfahrungsbereiche, auch bestimmte Aufgaben hat.

    DLF: Sie selbst sind jetzt die Nachfolgerin von Peter Hintze, und der war in den Augen der Öffentlichkeit eigentlich der ‚Mann fürs Grobe' in der Parteiarbeit, der mit seinen Slogans, die oft zündend waren, auch viele vor den Kopf stieß. Welche Waffen werden Sie denn jetzt für die öffentliche Diskussion wählen? Säbel, wie Peter Hintze, oder Florett?

    Merkel: Ich denke, je nach Maßgabe dessen, was notwendig ist, Säbel und Florett. Ich glaube im übrigen auch: Jeder, der Peter Hintze kannte, weiß, daß er auch manchmal mit dem Florett gekämpft hat und nicht nur mit dem Säbel. Jeder hat seine eigene Handschrift. Ich bin Auseinandersetzungen aus der Umweltpolitik gewöhnt und mußte dort oft den Säbel nehmen, und insofern habe ich keine Mühe, wenn jetzt auch gerade die rot-grüne Regierung bestimmte Projekte, wie die Steuerreform, wie die Rentenreform, angeht, da auch mit aller Schärfe zuzuschlagen. Ich glaube, an anderer Stelle wird dann aber auch es notwendig sein, mit den Menschen sehr differenziert zu sprechen, denn die Tatsache, daß uns nur 35 Prozent gewählt haben, zeigt ja auch, daß manch einer unsere Politik nicht verstanden hat. Und da kann man sicherlich nicht immer nur mit dem großen Hammerschlag ausholen, sondern da muß man sicherlich auch das Gespräch suchen, die Fragen der Menschen beantworten. Das heißt also: In der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ‚Säbel' - an manchen Stellen mit Sicherheit. Und auf der anderen Seite bei der Verbreiterung auch unserer Akzeptanz, auch das ruhige Gespräch und vor allen Dingen auch mal das Zuhören- können.

    DLF: Hätte es unter Ihrer Regie Aktionen, wie die ‚Rote-Socken-Kampagne' gegeben?

    Merkel: Schauen Sie: Wir haben 1994 in Mecklenburg-Vorpommern ein ähnliches Plakat verwendet, wie das der sogenannten ‚Roten Hände', also ein Plakat in An-lehnung an das frühere Vereinigungssymbol von KPD und SPD. Wir haben damals im Landesverband auch darüber gestritten und haben uns trotzdem dafür zum Schluß entschieden. Ich glaube, daß die Zeiten inzwischen sich weiterentwickelt haben und daß der Stil der Auseinandersetzung in den neuen Bundesländern mit der PDS immer umfangreicher war als ein einfacher schablonenartiger Stil. Und ich komme aus den neuen Bundesländern, und deshalb werde ich meine Handschrift, auch meine Wahrnehmung der Erlebnisse, daß die PDS zum Teil die einzige Oppo-sitionspartei ist, werde ich hier einbringen und deshalb war das ‚Rote-Socken-Plakat' im Wahlkampf 1994 besonders in den alten Bundesländern mit Sicherheit ein Erfolg. Da gibt es gar keine Frage. Aber ich werde meinen Erfahrungswert einbringen, und der heißt: Klare Auseinandersetzung mit der PDS in der Sache, aber nicht zu scha-blonenartig.

    DLF: Peter Hintze, Frau Merkel, meinte in seiner Abschiedsrede auf dem Bonner Parteitag selbstkritisch, die CDU habe in der Vergangenheit nicht immer den richtigen Ton getroffen. Und Ihre hessische Parteifreundin Erika Steinbach, die wur-de noch deutlicher, als sie davon sprach, die CDU habe die Herzen der Wähler ver-loren, während es der SPD ja andererseits offenbar gelungen ist, die Herzen gerade der vielzitierten ‚Neuen Mitte' zu erobern, die früher bürgerlich-liberal gewählt hat. Wie gedenkt die CDU, dieses Terrain zurückzuerobern?

    Merkel: Ich habe auf dem Parteitag gesagt: Wir müssen eine neue Offenheit wagen, wir müssen die Wirklichkeit in uns aufnehmen. Wir sind in manche Bereiche vielleicht zu lange nicht gegangen, sind auch mancher Diskussion vielleicht aus dem Weg gegangen. Das trifft vor allen Dingen für die Großstädte zu, das trifft auf Verbände zu, mit denen wir sehr viel Ärger auch im Wahlkampf hatten - das muß man sagen -, sehr viel Streit; das heißt also: Zu den Kirchen, zu den Gewerkschaften gehen, wirklich sich öffnen in Bereiche hinein, die vielleicht zum Schluß uns nicht mehr verstanden haben. Ich habe Peter Hintze deshalb auch auf dem Parteitag zitiert mit seiner Antrittsrede 1992. Da hatte er nämlich gesagt, daß wir viel erreicht haben, aber viele nicht mehr erreichen. Und das muß sich ändern. Das war sicherlich eine der Ursachen für unser Wahlergebnis von nur 35 Prozent, allerdings sind das immer noch mehr als 17 Millionen Wähler. Also, auch denen wollen wir dankeschön sagen, dafür, daß sie uns gewählt haben - aber das müssen mehr werden. Und in diesem Sinne: Raus aus den eigenen vier Wänden, rein in die Wirklichkeit, in die gesellschaftliche Wirklichkeit, sich den Diskussionen stellen und dort sein, wo die Menschen Probleme haben.

    DLF: Wo sollen denn die Grenzen liegen? Wolfgang Schäuble will ja keine Partei des Zeitgeistes haben, wie er sagte.

    Merkel: Nein, das geht ja nicht um den Zeitgeist. Sie können sich der Diskussion mit den Menschen stellen und trotzdem Ihre Positionen vertreten. Es geht darum, daß wir eine vernünftige Streitkultur miteinander wieder entwickeln in dieser Bundes-republik Deutschland, daß wir lernen, uns gegenseitig zu überzeugen, und daß damit nicht gleich verbunden wird - wenn man sich einer bestimmten Diskussion stellt -, daß man jede andere Meinung akzeptiert und ihr hinterherläuft. Und dieses Sich-der-Diskussion-stellen, bei den Menschen sein - auch denen, die nicht überzeugt sind -, das heißt schrittweise die Herzen gewinnen und damit vielleicht auch die Bereitschaft, zuzuhören und unseren Ideen zu folgen. Denn von unseren Grundideen sind wir - aus meiner Sicht - auch mit Recht überzeugt, und es geht darum - wie Sie schon zitiert haben Frau Steinbach -, die Herzen der Menschen zu gewinnen.

    DLF: Auf dem Bonner Parteitag wurde eine Frage nicht öffentlich diskutiert und erörtert, nämlich die Frage: Wer trägt eigentlich die Schuld an der verheerenden Wahlniederlage der CDU? Wie sieht jetzt - mit etwas Abstand - Ihre Analyse aus?

    Merkel: Was ich nicht richtig finde, wäre eine Diskussion, die sozusagen personifiziert nun den Schuldigen sucht und ihn an den Pranger stellt. Das gibt es in dem Maße nicht . . .

    DLF: . . . da gäbe es aber einen . . .

    Merkel: ... nein, nein, nein, da gibt es eben gerade keinen, sondern wir haben einen Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl mit voller Überzeugung und Begeisterung auf diesem Parteitag gewählt. Helmut Kohl hat über 25 Jahre eine solche Partei auf dem Pfad der Mitte zusammengehalten, und wir stehen jetzt vor der Aufgabe, ohne ihn - in so herausragender Stellung - diese Leistung in das nächste Jahrhundert zu überführen. Wir haben sozusagen in der Regierungstätigkeit zum Schluß - auch wegen unbequemer Schritte - manche nicht mehr erreicht. Das muß sich wieder ändern. Ich glaube im übrigen, daß Rot-grün auf die Art und Weise, wie sie es jetzt machen, außer Pyrrhussiegen wenig an Vorteilen davonträgt. Und das wiederum bedeutet aber nicht, daß wir nun auf schnelle Art und Weise versuchen, da ein paar Leute irgendwie verantwortlich zu machen. Die Partei möchte wieder mehrheitsfähig werden, und das heißt die Botschaft von Bonn.

    DLF: Eine wichtige Personalie hat die Partei zu klären in nächster Zeit, nämlich ihren Kandidaten oder ihre Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten zu benennen. Wann wird die Öffentlichkeit das erfahren?

    Merkel: Ja, Wolfgang Schäuble hat mit Recht auf dem Parteitag schon darauf hingewiesen, daß wir darüber diskutieren werden. Die Sozialdemokraten haben ihren Kandidaten jetzt benannt. Die Wahlen sind um Pfingsten herum, und wir haben - aus meiner Sicht - wirklich Zeit, uns unsere Strategie hierfür zu überlegen, zusammen mit der CSU. Wir lassen uns in der Frage nun nicht den Zeitplan von den Sozialdemokraten vorgeben, die ja nur aus einem einzigen Grunde jetzt ihren Kandidaten so frühzeitig nominieren mußten, damit sozusagen Versprechungen, die da schon vor geraumer Zeit gemacht wurden, nun auch eingelöst werden konnten. Aber das kann kein Maßstab für das Handeln von CDU und CSU sein.