
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat sich ungewohnt hart zu Israels Vorgehen im Gazastreifen geäußert. "Wir sind mehr als besorgt über die Intensivierung der militärischen Aktivitäten der israelischen Armee in Gaza, und wir sind bestürzt über das Schicksal der Zivilbevölkerung und das furchtbare Leiden", sagte er am Rande des Treffens des Nordischen Rats in Finnland. "Die massiven militärischen Schläge der israelischen Armee im Gazastreifen lassen für mich keine Logik mehr erkennen, wie sie dem Ziel dienen, den Terror zu bekämpfen und die Geiseln zu befreien." Was gerade in den vergangenen Tagen passiert sei, "das erscheint mir als nicht mehr zwingend notwendig zur Verteidigung des Existenzrechts Israels und zur Bekämpfung des Terrorismus der Hamas".
Mögliche Konsequenzen aus seiner schärferen Kritik ließ Merz vorerst offen. Aber folgende Schritte werden öffentlich diskutiert: der Stopp der Genehmigung von Waffenlieferungen an Israel sowie die Prüfung des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel. Das Assoziierungsabkommen regelt seit 25 Jahren die Beziehungen der Europäer zu Israel. Auch die Anerkennung eines palästinensischen Staates ist ein Thema.
Die Lage von Zivilisten im Gazastreifen hat international Kritik und Bestürzung hervorgerufen. Hilfsorganisationen mahnen, dass Notlieferungen dringend in den abgeriegelten Küstenstreifen gelangen und Angriffe der israelischen Armee aufhören müssten. Doch auch nach Aufhebung der fast dreimonatigen Blockade durch Israel laufen die Hilfslieferungen bisher schleppend an.
Das sagt Özlem Demirel (Die Linke):
- Die Bundesregierung hätte längst klarere Worte gegenüber Israel finden müssen. Denn es sei schon lange bekannt, dass Israel Kriegsverbrechen im Gazastreifen begehe.
- Israel habe natürlich das Recht auf Selbstverteidigung. Aber was Israel in Gaza mache, habe damit nichts zu tun. Das hätten auch internationale Menschenrechtsorganisationen bereits sehr deutlich gemacht.
- Özlem fordert: Waffenlieferungen an Israel müssten eingestellt werden. Deutschland müsse Palästina als Staat anerkennen. Und: Es müsse der israelischen Regierung „mit allen Mitteln“ klar gemacht werden, dass sie so nicht weitermachen dürfe.
Das sagt Rolf Mützenich (SPD):
- Es sei richtig gewesen, dass Israel das Selbstverteidigungsrecht nach dem 7. Oktober in Anspruch genommen habe. Nun sei dies aber erschöpft. Denn das Existenzrecht Israels sei durch die Hamas nicht mehr bedroht.
- Mit der Regierung Netanjahu sei es offensichtlich nicht möglich, an einem Friedensprozess zu arbeiten.
- Die Waffenlieferungen an Israel sollten eingestellt werden. Am Ende entscheide jedoch der Bundessicherheitsrat über Waffenlieferungen.
Das sagen der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein und Außenminister Johann Wadephul:
- Klein betont: Die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. Deshalb müsste Deutschland weiterhin Waffen exportiert werden. Auch das Assoziierungsabkommen mit Israel sollte nicht aufgekündigt werden.
- Bis vor Kurzem sagte Außenminisiter Wadephul noch, Deutschland würde weiterhin Waffen an Israel liefern. Schließlich sei die Hamas nicht die einzige Gefahr für Israel. Nun verschärfte er seine Rhetorik gegenüber Israel deutlich und sagte: Wo man die Gefahr sehe, dass das humanitäre Völkerrecht verletzt werde, werde die Bundesregierung dagegen einschreiten und schon gar keine Waffen liefern.
Das sagt der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke:
- Die israelische Regierung habe klar gemacht, dass man die Palästinenser aus weiten Teilen des Gazastreifens vertreiben wolle. Das sei eine enorme Zuspitzung. Aufgrund dessen habe Bundeskanzler Friedrich Merz ein „Wendemanöver“ und eine „ziemliche 180-Grad-Wende“ gegenüber Israel eingeleitet.
- Weitere Grund für Merz‘ neuen Kurs gegenüber Israel sei eine zunehmende Isolierung Deutschlands. „Andere europäische Staaten – die Franzosen und anderen – fordern längst eine Anerkennung Palästinas. Sie fordern auch inzwischen jeglichen Stopp von Waffenlieferungen an Israel.“
- Die Stimmung in der Union sei aber noch klar „pro Waffenlieferungen“. Der Druck vonseiten der SPD und vonseiten der Bevölkerung werde aber größer. Merz habe sich noch nicht klar zu dem Thema geäußert.
So wird in der EU über die Prüfung des Assoziierungsabkommens mit Israel diskutiert:
- Etwa zwei Drittel der EU-Staaten fordern, das Assoziierungsabkommen zwischen Israel und der EU auf den Prüfstand zu stellen. Das Assoziierungsabkommen regelt seit 25 Jahren die Beziehungen der Europäer zu Israel.
- Entscheidend ist dabei Artikel 2 des Abkommens. Darin verpflichten sich beide Seiten auf die Wahrung der Menschenrechte. Diese werden jedoch vonseiten Israels durch die Blockadepolitik in Gaza verletzt – so sehen es etwa zwei Drittel der 27 EU-Mitgliedsländer, darunter Spanien, Belgien und Irland. Rund ein Drittel der EU-Länder sieht das anders, darunter auch Deutschland.
- Eine Aufhebung des Abkommens ist unwahrscheinlich, denn dafür wäre ein einstimmiger Beschluss nötig. Eine Verlängerung von Teilen des Vertrags könnte einfacher verhindert werden. Dieser Vorschlag gilt als aussichtsreicher.
- Für Israel steht viel auf dem Spiel, denn die EU ist ihr wichtigster Handelspartner.
lkn