Karin Fischer: Sie war eine pianistisch Höchstbegabte, um das abgegriffene Wort vom "Wunderkind" mal außen vor zu lassen. Yvonne Loriod beherrschte mit 14 Jahren das Wohltemperierte Klavier und alle 27 Klavierkonzerte von Mozart, die 32 Sonaten Ludwig van Beethovens und das Gesamtwerk von Frédéric Chopin. 1949 wurde sie mit 25 Jahren Professorin am Pariser Konservatorium. Da war sie schon zur leidenschaftlichen Anwältin der zeitgenössischen Musik geworden. [...] Am Montag ist Yvonne Loriod bei Paris im Alter von 86 Jahren gestorben. Wir wollen an sie erinnern im Gespräch mit dem Musikwissenschaftler Michael Stegemann. Herr Stegemann, Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens war die Bekanntschaft mit ihrem Lehrer Olivier Messiaen 1941 im Paris Konservatorium.
Michael Stegemann: Mit ihrem Lehrer, Frau Fischer, und ihrem späteren Ehemann: Messiaen und Yvonne Loriod waren eines der großen Künstlerpaare der Neuen Musik. Auf der anderen Seite sollte man allerdings daran erinnern und nicht vergessen, dass sie wirklich eine überragende Pianistin auch auf allen anderen Domänen war. Sie hat zum Beispiel 1964 unter Pierre Boulez und Bruno Maderna alle Mozartkonzerte in Paris aufgeführt. Sie haben schon von Chopin und Beethoven gesprochen, auch ihre Schumann-Interpretationen sind legendär. Auf der anderen Seite wird sie wohl immer die Messiaen-Pianistin bleiben.
Fischer: Das heißt, sie hatte eine Karriere als Konzertpianistin, aber vielleicht können Sie das noch mal erklären: Was machte sie zur bevorzugten Interpretin dieser ganz neuen Musik, was zeichnete ihr Spiel aus?
Stegemann: Sie war die typische Vertreterin der französischen Klavierschule des sogenannten Jeux perlé, eines perlenden, sehr transparenten, sehr auf Klarheit setzenden Klavierklangs, und sie war gleichzeitig eine kartesianische Pianistin, die ganz positivistisch mit dem Notentext umgegangen ist und genau das erfüllt hat, was Komponisten in ihre Partituren geschrieben haben. Und eben das machte sie zur idealen Interpretin für Messiaen und auch zu seiner Muse. Er hat ja alle großen Klavierwerke - ob Solostücke oder konzertante Werke - für seine Frau Yvonne Loriod komponiert. Sie hat sie alle uraufgeführt, seitdem sie zusammen waren, und sie hat eben auch dieses Erbe an ihre Schüler, an die Studenten des Pariser Conservatoire weitergegeben, wo sie bis 1989 unterrichtet hat, zum Beispiel Pierre-Laurent Aimard oder Roger Muraro, zwei ausgezeichnete Pianisten, gerade wenn es um die Musik von Messiaen geht.
Fischer: Sie haben meine Frage eigentlich vorweggenommen: Das Neue braucht ja häufig diese leidenschaftlichen Vertreter und Vertreterinnen. Wie wichtig war sie für die französische Musikszene dieser Zeit, das heißt, wie sehr war sie doch mehr als die Muse Messiaens?
Stegemann: Das ist, glaube ich, aus unserer Perspektive, aus Deutschland heraus schwer zu beurteilen. Sie hat natürlich nicht nur Messiaen gespielt, sie hat auch sich der Werke seiner Schüler angenommen. Sie hat Boulez gespielt, sie hat Xenakis gespielt. Ich glaube, die Bedeutung von Yvonne Loriod weit über Frankreich hinaus liegt darin, dass sie einfach einen bestimmten sagen wir mal ganz allgemein typisch französischen Klavierstil der Neuen Musik geprägt hat und gepflegt hat und dass alle, die sich mit dieser Musik des Messiaen-Kreises und der frühen Serialität beschäftigen, unweigerlich an ihr nicht vorbeikommen.
Fischer: Sie haben es gesagt, von Messiaens zwölf Orchesterwerken sehen immerhin neun auch einen Klavierpart vor, den er extra für sie sozusagen komponiert hat. Was waren die beiden für ein Paar?
Stegemann: Ich habe sie ja nun beide oft und auch relativ nah erleben dürfen. Es gibt verschiedene Dimensionen. Sie waren zunächst einmal als Künstler ein perfektes Paar. Ich habe zum Beispiel eine Aufführung der Visions de l'Amen für zwei Klaviere mit Olivier Messiaen und Yvonne Loriod erlebt, wie es sie in keiner anderen Fasson je wieder gegeben hat, würde ich einmal behaupten. Auf der anderen Seite war sie eine wirklich merkwürdige Mischung aus Grand Dame auf der einen Seite, die typische Pariserin, wenn man so will, auf der anderen Seite hatte sie etwas ungeheuer Mütterliches. Und Messiaen hat sich auch gerne von ihr, ja, etwas flapsig formuliert, betütteln lassen. Wenn sie Schals für ihn gestrickt hat oder Kekse für ihn gebacken hat, kam er in die Kompositionsklasse jeweils mit einem ganz strahlenden Gesicht, reichte die Kekse herum und sagte: Die hat Yvonne gemacht. Und wir mussten oder durften dann eben in die Tüte greifen oder in die Dose.
Fischer: Ganz kurz, Herr Stegemann, was passierte nach Messiaens Tod?
Stegemann: Ja, das ist eigentlich die große musikwissenschaftliche Bedeutung Yvonne Loriods. Sie hat seinen Nachlass natürlich verwaltet, hat eine ganze Reihe von Werken aus dem Nachlass herausgegeben, darunter ein Concert à quatre, und sie hat auch dafür gesorgt, dass die Schriften Messiaens, die er selbst zu Lebzeiten nicht mehr komplett edieren konnte, nun alle bei Leduc, bei seinem Verleger, gedruckt vorliegen, sodass sie also ich glaube auch in dem Bewusstsein, Großes geleistet zu haben, jetzt friedlich ihre Augen schließen durfte.
Fischer: Herzlichen Dank an Michael Stegemann, den Musikwissenschaftler, für diese Erinnerung an Yvonne Loriod. Sie starb am Montag bei Paris.
Michael Stegemann: Mit ihrem Lehrer, Frau Fischer, und ihrem späteren Ehemann: Messiaen und Yvonne Loriod waren eines der großen Künstlerpaare der Neuen Musik. Auf der anderen Seite sollte man allerdings daran erinnern und nicht vergessen, dass sie wirklich eine überragende Pianistin auch auf allen anderen Domänen war. Sie hat zum Beispiel 1964 unter Pierre Boulez und Bruno Maderna alle Mozartkonzerte in Paris aufgeführt. Sie haben schon von Chopin und Beethoven gesprochen, auch ihre Schumann-Interpretationen sind legendär. Auf der anderen Seite wird sie wohl immer die Messiaen-Pianistin bleiben.
Fischer: Das heißt, sie hatte eine Karriere als Konzertpianistin, aber vielleicht können Sie das noch mal erklären: Was machte sie zur bevorzugten Interpretin dieser ganz neuen Musik, was zeichnete ihr Spiel aus?
Stegemann: Sie war die typische Vertreterin der französischen Klavierschule des sogenannten Jeux perlé, eines perlenden, sehr transparenten, sehr auf Klarheit setzenden Klavierklangs, und sie war gleichzeitig eine kartesianische Pianistin, die ganz positivistisch mit dem Notentext umgegangen ist und genau das erfüllt hat, was Komponisten in ihre Partituren geschrieben haben. Und eben das machte sie zur idealen Interpretin für Messiaen und auch zu seiner Muse. Er hat ja alle großen Klavierwerke - ob Solostücke oder konzertante Werke - für seine Frau Yvonne Loriod komponiert. Sie hat sie alle uraufgeführt, seitdem sie zusammen waren, und sie hat eben auch dieses Erbe an ihre Schüler, an die Studenten des Pariser Conservatoire weitergegeben, wo sie bis 1989 unterrichtet hat, zum Beispiel Pierre-Laurent Aimard oder Roger Muraro, zwei ausgezeichnete Pianisten, gerade wenn es um die Musik von Messiaen geht.
Fischer: Sie haben meine Frage eigentlich vorweggenommen: Das Neue braucht ja häufig diese leidenschaftlichen Vertreter und Vertreterinnen. Wie wichtig war sie für die französische Musikszene dieser Zeit, das heißt, wie sehr war sie doch mehr als die Muse Messiaens?
Stegemann: Das ist, glaube ich, aus unserer Perspektive, aus Deutschland heraus schwer zu beurteilen. Sie hat natürlich nicht nur Messiaen gespielt, sie hat auch sich der Werke seiner Schüler angenommen. Sie hat Boulez gespielt, sie hat Xenakis gespielt. Ich glaube, die Bedeutung von Yvonne Loriod weit über Frankreich hinaus liegt darin, dass sie einfach einen bestimmten sagen wir mal ganz allgemein typisch französischen Klavierstil der Neuen Musik geprägt hat und gepflegt hat und dass alle, die sich mit dieser Musik des Messiaen-Kreises und der frühen Serialität beschäftigen, unweigerlich an ihr nicht vorbeikommen.
Fischer: Sie haben es gesagt, von Messiaens zwölf Orchesterwerken sehen immerhin neun auch einen Klavierpart vor, den er extra für sie sozusagen komponiert hat. Was waren die beiden für ein Paar?
Stegemann: Ich habe sie ja nun beide oft und auch relativ nah erleben dürfen. Es gibt verschiedene Dimensionen. Sie waren zunächst einmal als Künstler ein perfektes Paar. Ich habe zum Beispiel eine Aufführung der Visions de l'Amen für zwei Klaviere mit Olivier Messiaen und Yvonne Loriod erlebt, wie es sie in keiner anderen Fasson je wieder gegeben hat, würde ich einmal behaupten. Auf der anderen Seite war sie eine wirklich merkwürdige Mischung aus Grand Dame auf der einen Seite, die typische Pariserin, wenn man so will, auf der anderen Seite hatte sie etwas ungeheuer Mütterliches. Und Messiaen hat sich auch gerne von ihr, ja, etwas flapsig formuliert, betütteln lassen. Wenn sie Schals für ihn gestrickt hat oder Kekse für ihn gebacken hat, kam er in die Kompositionsklasse jeweils mit einem ganz strahlenden Gesicht, reichte die Kekse herum und sagte: Die hat Yvonne gemacht. Und wir mussten oder durften dann eben in die Tüte greifen oder in die Dose.
Fischer: Ganz kurz, Herr Stegemann, was passierte nach Messiaens Tod?
Stegemann: Ja, das ist eigentlich die große musikwissenschaftliche Bedeutung Yvonne Loriods. Sie hat seinen Nachlass natürlich verwaltet, hat eine ganze Reihe von Werken aus dem Nachlass herausgegeben, darunter ein Concert à quatre, und sie hat auch dafür gesorgt, dass die Schriften Messiaens, die er selbst zu Lebzeiten nicht mehr komplett edieren konnte, nun alle bei Leduc, bei seinem Verleger, gedruckt vorliegen, sodass sie also ich glaube auch in dem Bewusstsein, Großes geleistet zu haben, jetzt friedlich ihre Augen schließen durfte.
Fischer: Herzlichen Dank an Michael Stegemann, den Musikwissenschaftler, für diese Erinnerung an Yvonne Loriod. Sie starb am Montag bei Paris.