Archiv


Metapher für das Leben von heute

"Sunken Condos" könnte auch ein "Steely Dan"-Album sein, allein schon wegen Fagens markant-schneidender Stimme, swingt aber noch ein bisschen mehr und lässt mehr Raum für Fagens Spiel auf dem E-Piano.

Donald Fagen im Gespräch mit Christiane Rebmann |
    Christiane Rebmann: Mr. Fagen, Sie haben Ihr neues Album "Sunken Condos" genannt, also versunkene Eigenheime. Worauf bezieht sich dieser Titel?

    Donald Fagen: Das ist ein Symbol unserer Zeit. Ich fand auch, dass es eine gute Metapher für das Leben von heute ist. Das passt auf verschiedenen Ebenen. Damit kann die Finanzkrise gemeint sein oder die Kultur, die ja heute im Allgemeinen auch irgendwie abgesoffen ist. Oder auch die Lebensphase, in der ich mich jetzt befinde. Viele Dinge sind nicht so gelaufen, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Und dann ist da noch Claude Debussys Werk "Die versunkene Kathedrale." Auf das beziehe ich mich auch. Für viele der Jazz-Harmonien standen ja diese französischen Komponisten Pate. Vor allem Ravel. Und Strawinsky, der zwar Russe ist, aber auf eine Art auch als französischer Komponist gesehen werden kann.

    Christiane Rebmann: Sie selbst haben schon sehr früh Jazzmusik gehört. Das hat Sie sicher von den anderen Kindern abgegrenzt. Waren Sie in der Schule ein Außenseiter?

    Donald Fagen: Das war sehr ungewöhnlich, weil ich wirklich noch ein Kind war. Mein Partner Walter Becker war auch schon als Kind Jazz-Fan. Wir waren beide ein bisschen früh dran. Keiner meiner Mitschüler mochte Jazz. Die standen eher auf Frankie Vallie und "The Four Seasons".

    Christiane Rebmann: Die waren offensichtlich nicht so Ihr Ding. Wie sind Sie denn damals zum Beispiel auf die Musik des US-amerikanischen Jazzpianisten Dave Brubeck gestoßen?

    Donald Fagen: Ich hatte ein paar ältere Cousins und Cousinen, die mit Brubeck befreundet waren. Meine Cousine Barbara war ein wenig älter als ich. Sie sah sehr gut aus und sie war damals mit Miles Davis zusammen. Und dazu war sie noch sehr eng mit Thelonius Monk befreundet. Sie hatte eine großartige Plattensammlung. Bei ihr zuhause habe ich zum ersten Mal Jazz gehört. Sie hat uns Kids immer Jazzplatten vorgespielt, wenn wir sie besuchten. Ich war damals vielleicht 9 oder 10. Und sie war ein Teenager, so 18 oder 19. Ich kann mich noch erinnern, dass sie uns Thelonius Monk und Johnny Griffin vorspielte. Und sie hatte einige Platten von Miles Davis. So bin ich früh zum Jazz-Fan geworden.

    Christiane Rebmann: In Ihrer Musik ist das jazzige Element immer ein wichtiger Bestandteil gewesen. Aber eben nur einer von vielen.

    Donald Fagen: Für die meisten Leute sind am Jazz ja die Improvisationen wichtig. Mich haben immer hauptsächlich die Arrangements interessiert. Ich war ein großer Duke-Ellington-Fan. Vor allem seine Platten aus den 20er-Jahren fand ich toll. Für mich war wichtig, wie ein Stück strukturiert ist, wie die Bläsersätze geschrieben sind, die Saxofonpassagen. Und ich glaube, ich habe diese Art zu schreiben für meine Arbeit übernommen.

    Christiane Rebmann: Sie und Ihr Kollege Walter Becker wurden in den 70er-Jahren vom US-Musikmagazin Rolling Stone als perfekte musikalische Antihelden der 70er-Jahre gefeiert. Für Ihre Musik, die Sie damals mit Steely Dan auf den Markt brachten. Mit Songs wie "Do It Again" oder "Rickie, Don't Lose That Number" kamen Sie damals sogar in die Charts, ganz nach vorne. Aber Außenseiter waren Sie auch als Musiker trotzdem immer. Insofern hatten Sie dasselbe Schicksal wie Ihre Kollegen vom Jazz.

    Donald Fagen: Jazzmusiker kommen ja vom Mars. Sie passen in keine Subkultur. Sie sind eigentlich nie Teil der Kultur gewesen. Jedenfalls nicht bei uns in den USA. Die Amerikaner mögen keinen Jazz. Sie mochten ihn mal kurz, in den 40er-Jahren, als sie dazu noch tanzen konnten. Aber dann wurde der Bebop populär. Und zu dieser Musik konnten sie nicht mehr tanzen. Sie fanden sie zu hirnlastig. Und das hat sie vom Jazz entfremdet.

    Christiane Rebmann: In vielen Ihrer Songs geht es um dysfunktionale Beziehungen. Zum Beispiel in "Miss Marlene". Da torkelt eine liebeskranke junge Frau betrunken vor ein Auto und wird überfahren. Wie kommen Sie auf diese Art von Geschichten?

    Donald Fagen: In den 50er- und 60er-Jahren gab es viele Rock'n'Roll-Songs, in denen der Held des Songs umkam, zum Beispiel "Leader oft he Pack". Das waren ziemlich melodramatische Songs. Dazu kommt: Ich kenne hier in New York viele neurotische Menschen, die mit dem Auf und Ab in ihrem Leben nicht klarkommen und daran zugrunde gehen.

    Christiane Rebmann: Wie den etwas schmierigen älteren Herrn im Song "Slinky Thing", der sich eine wesentlich jüngere Freundin hält?

    Donald Fagen: "Slinky Thing" ist einer von vielen Songs auf diesem Album, in denen es um einen älteren Mann geht, der sich eine sehr junge Freundin hält. Aber die Beziehung macht ihn paranoid. Er hat Angst, dass ihm ein jüngerer Mann die Freundin ausspannt.

    Christiane Rebmann: Wie viel davon ist autobiografisch? Spiegeln die Texte in irgendeiner Weise Ihr Leben mit Ihrer Partnerin, der Musikerin und Songschreiberin Libby Titus, wieder?

    Donald Fagen: Ich bin seit über 20 Jahren glücklich verheiratet. Das heißt, viele dieser Geschichten habe ich mir ausgedacht oder sie stammen aus meiner Vergangenheit. Oder es sind Szenen, die ich bei anderen Menschen beobachtet habe.

    Christiane Rebmann: Neben den Beziehungsgeschichten gibt es einige skurrile Personen, wie den Gangster in "Good Stuff". Was fasziniert Sie daran?

    Donald Fagen: Ich habe mich schon immer für jüdische Gangster interessiert. Gangster aus den 30er-Jahren. Ich habe viele Bücher über das Leben der Gangster in dieser Zeit gelesen. Und darunter auch die Vorlage für den Sergio Leone Film "Once Upon A time in America". Da geht es ja um einen jüdischen Gangster, der im Knast gesessen hat. Es ist kein wirklich gutes Buch. Aber das Leben in den 20er- und 30er-Jahren ist darin sehr detailliert beschrieben. Und auch wie dieser Typ Noodles auf die schiefe Bahn geriet.

    Christiane Rebmann: Was fasziniert Sie so an diesem Mann?

    Donald Fagen: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass ich Jude bin.
    Der Gedanke, dass Juden auch tough sein können, hat mich als Kind fasziniert. Wir jüdische Jungs waren nämlich damals immer diejenigen, die die Prügel einsteckten. Die Nation, in der die Juden heute leben, ist ja mittlerweile so tough geworden, dass es einem schon wieder Angst macht.
    Ich glaube, dadurch, dass sie sich immer von Feinden umgeben sahen, haben sie sich zu einer paranoiden Gesellschaft entwickelt, aus deren defensiver Haltung eine offensive Haltung geworden ist.

    Christiane Rebmann: Sie werden immer als Neurotiker porträtiert. Sie haben selbst bestätigt, dass Sie sich mit Ihren psychischen Problemen oft selbst im Weg stehen. Ist das im Laufe der Jahre besser geworden?

    Donald Fagen: Ich war in den 80er-Jahren in Therapie. Damals hatte ich Probleme, Songs zu schreiben. Und ich wurde depressiv. Dann ging ich neun oder zehn Jahre in Therapie. Und das hat mir geholfen. Als ich wieder anfing, mich gut zu fühlen und zu funktionieren, habe ich damit aufgehört. Ich habe viele Neurosen. Aber ich finde, Neurosen sind das, was eine Person ausmacht. Neurosen haben also auch eine positive Seite. Ich habe viele von ihnen verarbeitet. Ich habe mich früher immer selbst bestraft. Ich hatte damals wenig Selbstvertrauen. Und ich habe mich selbst bemitleidet. Aber mithilfe der Therapien habe ich es jetzt immerhin bis zum Alter von 64 geschafft. Und ich habe weniger Neurosen als früher.

    Christiane Rebmann: Am Anfang Ihrer Karriere mit Steely Dan haben Sie sich bei Konzerten auf der Bühne nicht vors Mikro getraut. Da musste dann immer jemand anders für Sie einspringen. Wie ist das heute?

    Donald Fagen: Ich habe jetzt mehr Selbstvertrauen, was meinen Gesang betrifft, weil ich Gesangsunterricht genommen habe. Außerdem ist es mir jetzt nicht mehr so wichtig, wie ich klinge. Nein, das stimmt nur teilweise. Ich bin auch sehr viel auf Tournee gewesen. Ich bin also gut in Übung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.