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Metergenaue Videoauswertung

Olympia 2006. - Skispringer fliegen von Rekord zu Rekord, doch einfach zu messen sind ihre Weiten nicht. Ohne technische Unterstützung wäre man schlecht dran. Tatsächlich werden Springer heute vollautomatisch bei Landung gefilmt und Video-Sequenzen gleich am Computer ausgewertet.

20.02.2006
    "Also, was vor uns steht, ist eigentlich jetzt ein großer schwarzer Kasten, ja."

    Das war noch in Leipzig, kurz bevor Enrico Richter nach Turin entschwand, mitsamt dem schwarzen Kasten.

    "Ein mobiles Gerät, komplett mit Tastatur, die ausklappbar im Prinzip ist, und einer Maus. Gleich der Bildschirm mit eingebaut."

    Über die Mattscheibe flimmert eine Video-Sequenz. Richters Kollege Dirk Heinrich überfliegt sie mal eben:

    "Der ist jetzt noch im Flug, etwa bei der 90-Meter-Linie. Mit der Maus kann man jetzt immer die Bilder weitergehen. Jetzt ist er bei 96 Meter. Und man kann eben hier wirklich schön unterscheiden: Welche Bilder sind Landebilder? Also, hier ist er eben noch oben. Hier kommt er langsam runter. Hier ist er gelandet. Für die Weite sind das also dann 96 Meter."

    "Ah, der war ein bisschen zu kurz."

    Enrico Richter und Dirk Heinrich sind beide Informatiker. Und ihr ominöser Koffer ein tragbares Video-Weitenmesssystem für Skisprung-Schanzen. Es ist das erste, das offiziell zertifiziert worden ist: entwickelt in Leipzig, heute vertrieben von der Firma Wige Data und jetzt auch bei den Olympischen Winterspielen im Einsatz.

    Alle fünf Meter eine Linie aus Reisigzweigen im Aufsprunghang und am Rand Weitenmesser aus Fleisch und Blut: Kampfrichter, die die Hand heben, um anzuzeigen, bis wohin ein Athlet gesegelt ist:

    "126 Meter. Das ist zu wenig!"

    So war es früher beim Skispringen. Heute ist die Landung videoüberwacht. Matthias Kindler, Ingenieur am Leipziger Institut für Angewandte Trainingswissenschaft und in Turin Chef der Video-Weitenmessung:

    "Wir arbeiten zur Zeit in der Regel mit vier Videokameras. Diese Kameras sind also leicht erhöht senkrecht zur Bewegungsrichtung im Gelände anzubringen. Das können Bäume sein. Das können Masten sein. Teilweise müssen auch Masten aufgestellt werden, an denen dann die Kameras montiert werden."

    Den vier Spionen entgeht so schnell nichts. Die Kameras sind im Abstand von 20 Metern postiert. Zusammen haben sie 80 Meter Landebahn im Blick.

    "Er war kurz nach dem Aufkommen mit der Skispitze auf der unteren roten Linie, die 134-Meter-Marke. Nein, 132 Meter!"

    "Also, das sind ganz normale Videokameras, das heißt wir benutzen die gebräuchliche PAL-Fernsehnorm. Das bedeutet: Ich habe 50 Bilder pro Sekunde, die ich aufnehmen kann. So dass der Sportler in etwa alle halbe Meter eine Abbildung erzeugt. Insofern resultiert auch die erreichbare Messgenauigkeit des Systems mit ungefähr einem halben Meter."

    Irgendwo im Zielsprungbereich sitzt dann auch der Messweiten-Operator, wie er genannt wird - der Mann mit dem schwarzen Koffer. Der Bildschirm vor ihm ist in vier Quadranten unterteilt: einer für jede Kamera. Binnen Sekunden muss der Operator erkennen, in welchem Quadrant - also in welchem Kamera- und Hangabschnitt - der Springer mit seinen Skiern aufsetzt:

    "Zu diesem Zeitpunkt muss er die Aufzeichnung im Rechner anhalten und muss dann das Bild aus der Sequenz herausfinden, / in dem die Landung stattgefunden hat. Und in diesem Bild kann er durch Mausklick und durch das eingemessene Messraster / die Weite bestimmen."

    "Ah, da hat er eine richtige Böe erwischt von der Seite."

    Kräftige Winde können Chef-Weitenmesser Kindler in diesen Olympia-Tagen nicht beunruhigen. Selbst wenn sie den einen oder anderen Springer weiter hinaus tragen sollten als sonst:

    "Heute richten wir die Kameras eigentlich so ein, dass also durchaus fünf Meter über dem bestehenden Schanzenrekord noch gemessen werden können."

    Und selbst wenn plötzlich Nebel aufkommen sollte und den Blick der Kameras trübt: In der Not gibt es ja immer noch die Kampfrichter der alten Schule. Man bemerkt sie heute kaum mehr. Aber sie stehen immer noch im Hang - für den Fall, dass die moderne Technik einmal versagen sollte.

    "124,5 Meter sind es! Was für ein knappes Ding!"