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Methusalem der Tiefsee

Paläontologie. - Auf dem kargen Boden der Tiefsee gibt es einige Oasen, an denen sich außergewöhnlich viele Organismen tummeln: abgesunkene Walskelette oder heiße Quellen. Bislang konnten Forscher nicht klären, wie alt die Tiere dort sind, da sie in ihrer Isolation weder von globalen Ereignissen wie dem Klimawandel noch von lokalen Krisen wie Dürren oder Konkurrenzkämpfen betroffen sind. Ein deutscher Paläontologe bringt jetzt Licht in das Dunkel der Altersbestimmung.

Von Michael Stang | 06.09.2006
    Schwarze Raucher bieten zahlreichen Muscheln, Schnecken und Röhrenwürmern in der Tiefsee ein gutes Leben. Denn diese Quellen spucken 400 Grad Celsius heiße Schwefelwasserstoffe aus ihrem Schornstein in das nur wenige Grad kalte Wasser. Ihre Nährstoffe sind für die Tiere in mehreren tausend Meter Tiefe lebenswichtig in der sonst so lebensfeindlichen Tiefsee. Durch ihre Abgeschiedenheit waren die Methan- oder Schwefelquellenbewohner nicht von den Aussterbewellen der Erdgeschichte betroffen. Deshalb rätseln viele Forscher wie Steffen Kiel von der Universität Leeds über das Alter dieser Tiere. Da es dort unten kein Licht gibt, wachsen auch keine Pflanzen, die den Tieren als Nahrung dienen können. Aus diesem Grunde ernähren sich viele von ihnen von Methan und Schwefel, das sie aber nicht ausschließlich über die schwarzen Raucher beziehen, sondern auch aus Holz und abgesunkenen Walskeletten.

    " Ein Stück Holz macht im Schnitt nicht länger als fünf Jahre, ein Walskelett kann bis zu 100 Jahre auf dem Tiefeseeboden liegen und Sulfide abgeben, und das ist schon eine ganz schön lange Zeit. Man hat ausgerechnet, dass es eigentlich schon seit 20 Millionen Jahren zu jedem gegebenen Zeitpunkt etwa 600.000 tote Wale auf dem Tiefseeboden gegeben haben muss und das ist ja schon eine Basis. "

    Schiffbohrwürmer fallen Holz im Wasser an. Die Ausscheidungen dieser wurmförmigen Muscheln bilden einen Teppich aus organischem Material. Bakterien bauen dieses ab und so entsteht Schwefelwasserstoff, also Nahrung für die Tiefseebewohner. Auch Walkadaver setzen beim Verrotten durch Bakterienbefall Schwefelwasserstoff frei. Es gibt zwei Hypothesen, die versuchen, das Alter der Tiefseebewohner zu klären. Die erste Hypothese geht davon aus, dass sich die Tiefseebewohner erst mit der Auftreten der Wale ausgebreitet haben.

    " Und es wurde behauptet, dass diese Wale, die dann auf dem Tiefseeboden liegen und vor sich hinrotten, zu einem submarinen Inselhüpfen von diesen Methan- und Schwefelquellenbewohnern genutzt werden können. Und Wale sind erst vor etwa 40 Millionen Jahren entstanden und da hat man halt gedacht: "Na gut, seitdem konnten die sich erst so richtig schön über die Weltmeere in der Tiefsee ausbreiten." Und das konnte ich eindeutig widerlegen, indem ich mir fossile Wale angeguckt hab und wer darin gelebt hat und da sind bei den ersten Walen einfach keine von diesen typischen Methanquellenbewohnern aufgetaucht. "

    Steffen Kiel untersuchte Fossilien von 29 Gattungen dieser Schnecken, Muscheln und Röhrenwürmer aus dem US-Bundesstaat Washington aus Tiefseesedimenten, alle zwischen 55 und 23 Millionen Jahre alt. Da einige Exemplare deutlich älter als die erste Wale sind, müssen sich die Tiefseebewohner also unabhängig von den Walen entwickelt und verbreitet haben. Wenn sie aber schon seit so langer Zeit existieren, besteht die Möglichkeit, dass es sich bei den Tieren um so genannte lebende Fossilien handelt - Formen, die nahezu unverändert die Jahrmillionen überstanden haben.

    " Die zweite Hypothese ist, dass [sich] die Tiere schon bereits im Paläozoikum, also vor mehr als 250 Millionen Jahren, an diese heißen Quellen und an die Schwefelquellen angepasst haben und sich seitdem kaum noch verändert haben, weil das ein Lebensraum ist, der sich auch nicht mehr verändert hat. Und auch das konnte ich dadurch widerlegen, dass ich zeigen konnte, dass eigentlich kontinuierlich durch die Erdgeschichte immer wieder neue Arten, immer wieder neue Gruppen sich an dieses Ökosystem angepasst haben. "

    Demnach sind nicht nur einmal vor Jahrmillionen Tiere aus dem Flachwasser in die Tiefsee gestoßen und haben sich dort angepasst, sondern wahrscheinlich mehrfach. Obwohl die Tiefsee einerseits eine isolierte Gegend ist, die abgeschottet von globalen Aussterbeereignissen existiert, ist sie anderseits ein funktionierendes Ökosystem, in dem viele Tiere in direkter Konkurrenz stehen und sich dadurch ständig verändern.

    " Überrascht hat mich das schon, weil die haben ja dort unten eine Nahrungsquelle, die ihnen eigentlich nicht auch versiegt. Also, sonstige Tiere sind halt von allem abhängig, was auf der Meeresoberfläche passiert oder überhaupt auf der Erdoberfläche. Und diese Methanquellenbewohner, die haben eine Nahrungsquelle, die sprudelt einfach aus der Erde und deshalb ist es eigentlich schon plausibel anzunehmen, dass die dann eben eine ganz eigene Evolutionsgeschichte haben, aber ich konnte halt zeigen, dass das einfach anscheinend nicht der Fall ist, sondern dass die wahrscheinlich anderen Umwelteinflüssen genauso ausgesetzt sind, wie der Rest der Tiefseebewohner auch. "

    Obwohl die Muscheln, Schnecken und Röhrenwürmer vom Rest der Welt abgeschieden in ewiger Dunkelheit existieren, verläuft das Leben in der Tiefsee wie überall, nur manchmal etwas langsamer.