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Methusalems auf Diät

Biologie. - Wer am Meeresgrund bestehen will, muss sich bestens anpassen. Jetzt entdeckten Bremer Forscher einen weiteren Tiefsee-Spezialisten, der es überdies auf beachtliches Alter bringen kann. Der Schlüssel dazu liegt offenbar in einer besonderen Diät.

Von Anne C. Preger | 13.03.2006
    Die Expedition beginnt im Frühjahr 2002: Das Bohrschiff JOIDES Resolution kreuzt vor der Küste Perus. Mit an Bord ist Kai Uwe Hinrichs vom Fachbereich für Geowissenschaften an der Universität Bremen. Er und seine Kollegen suchen nach Leben im Pazifikboden am südamerikanischen Kontinentalhang. Um Lebewesen aus der Tiefe zu holen, müssen die Forscher bis zu 5000 Meter Meerwasser mit Bohrgestänge überbrücken und dann noch zehn bis 90 Meter tief in den Meeresgrund bohren.

    "Wir haben eben tief in den Meeresboden reingebohrt und unsere Untersuchungen auf Sedimenthorizonte konzentriert, in denen zwei sehr häufig vorkommende Verbindungen verschwinden, nämlich Methan und Sulfat."

    Das mineralische Sulfat stammt aus dem Meerwasser und gelangt von oben in den Ozeanboden. Das Methan ist ein Gas, es wird tiefer im Sediment gebildet und kommt also eher von unten. Nur in einer bestimmten Zone kommen beide Verbindungen zusammen vor, darüber und darunter jeweils nur eine der beiden. Für dieses Verteilungsmuster müssen Lebewesen verantwortlich sein. Um diese zu identifizieren, haben die Forscher im Sediment nach Spuren von Erbsubstanz gesucht.

    "In unserem Fall haben wir ein Verfahren gewählt, dass sehr spezifisch auf nur aktive Mikroben ausgerichtet ist. Und zwar haben wir die RNA extrahiert. Das wurde jetzt durch unsere Kollegen in Amerika gemacht."

    Die Analyse ergab: Dort unten leben fast nur Archaeen. Das sind bakterienähnliche Einzeller, die häufig in extremen Lebensräumen vorkommen. Diese Organismen unterscheiden sich von anderen Einzellern wie den Bakterien nicht nur durch ihre Erbinformation, sondern auch durch andere kurzlebige Zellbestandteile. Dazu gehören auch fettartige Substanzen aus der Zellhülle, so genannte Lipide. Mit ihrer Hilfe wurde das Ergebnis der genetischen Untersuchung bestätigt. Was die Forscher noch nicht wussten, war, wie die Archaeen dort unten überleben. Julius Lipp von der Universität Bremen benennt die beiden Hauptprobleme:

    "Mikroorganismen brauchen ja einerseits den Baustoff, um die Zellen zu bauen, und andererseits brauchen sie auch Energie zum Leben. Und beides ist im Ozeanboden nur in geringen Konzentrationen vorhanden."

    Um zu klären, wovon sich die Einzeller ernähren, hat Julius Lipp die Lipide genauer untersucht. Er hat sich dabei auf den Hauptbestandteil Kohlenstoff konzentriert. Der kommt in der Natur in unterschiedlich schweren Varianten, den Isotopen, vor, wie Kai-Uwe Hinrichs erklärt:

    "Das Besondere an den Funden ist, dass wir eigentlich zum ersten Mal in der Lage waren, die Isotopenzusammensetzung von lebendigen Organismen der tiefen Biosphäre zu messen. Diese Isotopenzusammensetzung geben uns direkte Auskünfte über die Nahrungsmittel, die diese Organismen aufnehmen. Treu dem Satz: "You are what you eat.""

    Auf gut deutsch: Man ist, was man isst. Und eben da gab es eine Überraschung: Die Forscher hatten vorher angenommen, dass sich die Archaeen in der Sulfat-Methan-Übergangszone allein von Methan ernähren.

    "Stattdessen essen sie das organische Material, was eben in den Sedimenten in relativ hohen Konzentrationen zu finden ist."

    Keine leichte Kost, denn Algenüberreste, Fischkadaver und Co haben inzwischen einen langen Weg durch das Meer und viele Mägen hinter sich und sind teilweise mehrere Millionen Jahre alt. Das Methan lassen sich die Archaeen aber dennoch nicht entgehen. Sie nutzen es aber nicht, um zu wachsen, sondern verwenden es ausschließlich als Brennstoff. Dazu brauchen die Einzeller zusätzlich auch Sulfat aus dem Meerwasser. Beide Substanzen stehen ihnen in besagter Übergangszone zur Verfügung.

    "So wie sich das uns zurzeit darstellt, ist das, als ob man eine Extraportion Energie hat in dieser schmalen Sedimentschicht."

    Deshalb können in dieser Schicht auch wesentlich mehr Einzeller leben als anderswo im Meeresboden. Trotz der Extraportion Energie geht es ziemlich geruhsam zu: Die Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass die Archaeen zwischen 100 und 2000 Jahre brauchen, bis sie genügend Energie und Baustoffe zusammenhaben, um sich zu teilen. Den Lebenswandel der Einzeller bezeichnen die Wissenschaftler als "heterotrophe Methanoxidation". Bisher ist diese Überlebensstrategie einzigartig, aber Kai-Uwe Hinrichs vermutet, dass das nicht lange so bleiben wird. Man muss nur an der richtigen Stelle suchen.

    "Man kann letztendlich davon ausgehen, dass dieser Prozess überall an den Kontinentalrändern eine wichtige Rolle spielt, und wenn man jetzt mal sehr mutig extrapoliert, über weite Bereiche des Ozeans."