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Metrologie-Revolution
Neue Referenzgrößen für das internationale Einheitensystem

Die Metrologie, die Wissenschaft vom präzisen Messen, steht vor einer mittleren Revolution: Künftig werden die sieben internationalen Maßeinheiten Kilogramm, Meter, Sekunde, Ampere, Kelvin, Mol und Candela über fundamentale Naturkonstanten definiert. Das Urkilogramm ist damit reif fürs Museum.

Von Ralf Krauter | 02.04.2019
Eine exakt ein Kilogramm schwere, hochreine Siliziumkugel in der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig.
Silizium-Kugel der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. Sie soll vielleicht die Nachfolge des Urkilogramms antreten. (Julian Stratenschulte / dpa-Bildfunk)
"The french revolutionaries were really visionary. They wanted to create units for all the times and all the civilisations …"
Professor Joachim Ullrich ist der Präsident der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt PTB in Braunschweig. In seinem Plenarvortrag in Regensburg rekapitulierte er im Schnelldurchlauf die 5.000-jährige Geschichte der Metrologie - von den alten Ägyptern über die französische Revolution, die der Welt das Urmeter und das Urkilogramm bescherte, bis heute. Und erklärte dann, warum ab dem 20. Mai 2019 alles anders wird: Die sieben internationalen Maßeinheiten Kilogramm, Meter, Sekunde, Ampere, Kelvin, Mol und Candela werden dann alle über fundamentale Naturkonstanten definiert. Für Metrologen der Beginn einer neuen Ära.
"Das ist sozusagen das vorläufige Ende der Bemühungen der Menschheit, seit 5.000 Jahren, wie ich das im Vortrag gesagt habe, Einheiten zu definieren – für Handel, für Wissenschaft, für Gesundheit, Gesellschaft – auf einer sehr abstrakten Ebene. Von Max Planck wurde so um 1900 mal gefordert, dass man eben die Naturkonstanten heranzieht, um daraus Einheiten zu generieren", sagt Joachim Ullrich.
Enorme Bedeutung präziser Maßeinheiten für den Alltag
Joachim Ullrich ist Deutschlands oberster Wächter über Maße und Gewichte. Die rund 2.000 Mitarbeiter, deren Chef er ist, betreiben unter anderem zwei der genauesten Cäsium-Atomuhren, deren Schwingungen der Weltzeit seit 1967 den Sekundentakt vorgeben. Die neuesten optischen Atomuhren der PTB sind sogar noch hundertmal genauer. Wären sie seit dem Urknall gelaufen, würden sie heute weniger als zwei Sekunden falsch gehen. Wie tickt jemand, für den Präzision das A und O ist? Joachim Ullrich ist Anfang 60, er trägt Anzug, Krawatte und eine rahmenlose Brille:
"Ich bin eigentlich ein recht ordentlicher Mensch. Der Schreibtisch ist meistens aufgeräumt. Tagsüber nicht immer. Aber abends versuche ich dann, ihn schon wieder aufgeräumt zu hinterlassen. Wobei: Ich würde mich jetzt nicht als pingelig bezeichnen."
Die Bedeutung präziser Maßeinheiten für unseren Alltag sei enorm, sagt der Physiker. Denn wer im Supermarkt ein Kilo Bananen kauft oder in der Apotheke ein Medikament, das ein Mol eines Wirkstoffes enthält, der muss sich darauf verlassen können, dass eine Masse von einem Kilogramm oder die Stoffmenge ein Mol überall exakt dasselbe bedeuten - ob in Norwegen oder Nigeria. Die Definition aller SI-Einheiten auf Basis von Naturkonstanten soll das sicherstellen. Und zwar dauerhaft und unabhängig von Artefakten wie dem Urmeter oder Urkilogramm, die kaputt gehen können oder ihre Eigenschaften im Lauf der Zeit verändern.
Das Kilogramm wird künftig vom Planck’schen Wirkungsquantum abgeleitet
1983 wurde die Längeneinheit Meter deshalb mit Bezug auf die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum festgelegt. Ein Meter, das ist die Distanz, die ein Lichtstrahl im 300 Millionstel Bruchteil einer Sekunde zurücklegt. Beim Kilogramm war die Sache komplizierter:
"Wir sind jetzt erst technologisch soweit, dass wir das umsetzen können, mit einer Genauigkeit, die die heutige Industrie und die Wissenschaft brauchen. Insofern habe ich große Schwierigkeiten, mir vorzustellen, dass sich das in den nächsten 100 Jahren nochmal ändert, ehrlich gesagt. Und wahrscheinlich auch die 100 Jahre drauf", sagt Joachim Ullrich.
Das Kilogramm wird künftig vom Planck’schen Wirkungsquantum abgeleitet, einer fundamentalen Größe der Quantenphysik. Den Weg zu dieser Neudefinition der Masseeinheit wies die Kombination zweier konkurrierender Messverfahren, von denen eines federführend an der PTB entwickelt wurde. Eine Schlüsselrolle dabei spielt eine glänzende Kugel aus hochreinem Siliziumkristall. Weil sie das rundeste Objekt ist, das Menschen je hergestellt haben, lassen sich die Atome darin extrem genau zählen und so die Masse bestimmen. Allerdings kostet so eine hochreine Referenz-Kugel weit über eine Million Euro. Auf der Tagung in Regensburg hat Joachim Ullrich deshalb eine günstigere Variante im Gepäck:
"Das ist aber schon eine sehr gute, aus natürlichem Silizium, wo aber die Oberfläche auch von uns selbst bearbeitet wird. Die geben wir jetzt auch weiter manchmal, an Kalibrierlabors. Das würde dann so um die 100.000 Euro machen."
Verbraucher werden wenig merken
Eine industriell gefertigte Variante, für viele Zwecke präzise genug, soll künftig für rund 10.000 Euro zu haben sein. Sie könnte dann nach und nach in vielen Kalibrierlabors die bisherigen Referenzmassestücke aus Stahl ablösen. Die Verbraucher dürften wenig davon merken. Genauso wenig wie von der Neudefinition der Stromstärkeeinheit Ampere über die Elementarladung und von der Festlegung der Temperatureinheit Kelvin mittels der so genannten Boltzmann-Konstante, einer fundamentalen Größe der Thermodynamik.
Die Weltgemeinschaft der Metrologen wirkt hinter den Kulissen. Doch mit der Neudefinition der Basiseinheiten stellt sie die Weichen dafür, dass der globale Handel und Warenverkehr auch künftig läuft wie geschmiert:
"Das ist ein weltweites Währungssystem, was keiner so richtig kennt. Was im Hintergrund reibungslos läuft und den gesamten Welthandel letztlich hinterlegt", so Joachim Ullrich.
Wenn Joachim Ullrich mit seinen Kollegen am 20. Mai den Beginn eines neuen Zeitalters der Metrologie feiert, profitieren wir also letztlich alle davon.