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"Mich interessiert der Ausnahmezustand"

Für seine Rolle als todkranker Familienvater in Andreas Dresens Film "Halt auf freier Strecke" wurde der Schauspieler Milan Peschel gleich mit zwei großen Preisen ausgezeichnet. Inzwischen übernimmt er auch selbst Regie. In Berlin feiert er jetzt mit dem Theaterstück "Juno und der Pfau" Premiere.

Das Interview führte Camilla Hildebrandt |
    Camilla Hildebrandt: Herr Peschel, Sie wollten immer schon Schauspieler werden, schon als Kind. Dann gab es eine Unterbrechung in der Überzeugung, eine Tischlerlehre, aber dann: die Schauspielausbildung an der Ernst Busch Schauspielschule in Berlin. Dort wurden Sie auch gefragt, warum Sie Schauspieler werden wollten. Die Antwort hatten Sie damals nicht parat. Aber später haben Sie mal gesagt, es sei wohl eine Mischung aus Exhibitionismus, dem Willen, sich auszudrücken und dem Wunsch gelobt zu werden. Ist das heute immer noch so?

    Milan Peschel: Das sieht immer noch so aus, glaube ich. Schauspieler wollen gelobt werden, wollen sich ausdrücken, wollen was von sich erzählen. Ja, so ist es auch bei mir nach wie vor.

    Hildebrandt: Ich habe Sie zum ersten Mal nicht als Schauspieler erlebt, sondern als Sprecher bei Paul Plamper. Und zwar in dem Hörspiel, was ich einfach sehr grandios fand: "TOP HIT leicht gemacht", wie man einen Top Hit fabriziert und dann auch tatsächlich in die Charts bringt. Mit Plamper haben Sie sehr viel gearbeitet, wie war die Zusammenarbeit?

    Peschel: Die ist immer noch sehr gut, das ist mit Paul immer ein großer Genuss, weil er einem auch viel abfordert. Und ich finde, er sucht sich immer tolle Themen. Und die Art, wie er produziert, ist eben auch sehr ungewöhnlich, es hat immer etwas Dokumentarisches, wenn es geht an Originalschauplätzen, ja, der wagt was, das ist toll!

    Hildebrandt: Was ist zum Beispiel das aktuelle Thema?

    Peschel: Da geht es um Leute, die eine Brache in Berlin besetzt haben. Und das Viertel, das dann dort entstanden ist, die wollten nicht, dass das ein Spekulationsobjekt wird, sondern, dass bezahlbarer Wohnraum entsteht, aber wie die dann selber auch zu Spekulanten werden. Aber das Gute bei Paul ist, er zeigt auch immer mehrere Meinungen dazu. Es ist nie so, dass einer nur Recht hat.

    Hildebrandt: Sie haben mal gesagt: ihr künstlerisches Zuhause haben Sie an der Volksbühne Berlin gefunden, unter Frank Castorf, da haben Sie über zehn Jahre gespielt. Können Sie erklären warum? Sie haben mal von Freiheit gesprochen, die Sie dort kennen gelernt haben.

    Peschel: Ja, das ist eine große Freiheit, die man dort hat, genauso, wie man auch eine große Verantwortung hat für eine Inszenierung und für einen Abend. Weil es da nicht um Verabredungen geht, bei dieser Art von Theater, sondern, weil es darum geht, was zu sagen, ob man was zu sagen hat oder nicht, ob man eine Haltung hat. Das finde ich ziemlich einzigartig und ziemlich toll. Das ist es, was ich von da mitgenommen habe als Regisseur. Natürlich sind die Schauspieler auch immer am Rande des Nervenzusammenbruchs wenn es auf die Premiere zugeht, die sind überfordert, ich ändere ganz viel. Aber, ich finde immer dieses Sicherheitsdenken, was ich oft erlebe bei Theaterverabredungen, ein ganz moderater Ton, also, das interessiert mich nicht. Mich interessiert immer der Ausnahmezustand. Theater oder Kunst muss auch immer was Extremes in sich tragen. Extrem heißt ja auch, das sind unsere Extremitäten, man muss sich ausbreiten, auswuchern, die Nadel muss immer ausschlagen, nach oben, nach unten, ab nie so moderat in der Mitte, und das habe ich eben ganz stark da erlebt. Ich habe da ganz starke Anstrengungen erlebt, aber auch ganz große Glücksgefühle.

    Hildebrandt: Ausnahmezustände, ist das auch das, was Sie an der Arbeit von Andreas Dresen schätzen? Mit ihm haben Sie zuletzt zusammengearbeitet in "Halt auf freier Strecke", über einen Familienvater, der an einem Hirntumor stirbt. Er arbeitet vor allem mit Improvisation, lässt tatsächlich die Schauspieler das Stück entstehen. Ist es das, was Sie auch meinen?

    Peschel: Naja, das stimmt so nicht ganz, also Andy hat drei Filme so gemacht. Natürlich ist es diese Art zu arbeiten – da fühl ich mich sehr wohl. Seine Themen, die er sich wählt, gerade auch bei dem Letzten, aber auch bei "Wolke 9", das sind natürlich Themen, die sonst im Kino in der Art nicht behandelt werden.

    Hildebrandt: Ihnen gefällt aber, wenn ich das so sagen darf, der Austausch, bzw. die Abwechslung. Sie spielen mal Komödie, Sie spielen mal für Kinder. Komödie gefällt Ihnen sehr gut, oder?

    Peschel: Ja, ich bin ja auch ein Komödiant. Also, wer mich von der Bühne kennt – also ich bin für's Komische und Tragische. Also immer auch beides nebeneinander.

    Hildebrandt: Sie haben angefangen selbst zu inszenieren, 2006 in der ParkAue, ein Stück für Kinder, dann 2007 im Gorki-Theater – wenn ich richtig informiert bin - "Mala Zementbaum", über einen Stasi-Spitzel. Jetzt kommt Ihre Premiere hier am Deutschen Theater in Berlin. Sie inszenieren von Sean O 'Casey "Juno und der Pfau", das spielt 1922 in Dublin. Es geht um eine Arbeiterfamilie, die sehr an ihrer Lebenssituation leidet, auch am Krieg. Wie sind Sie darauf gekommen?

    Peschel: O'Casey ist ein Autor, der mich schon länger interessiert hat, und als ich wieder auf der Suche war, hab ich da auch mal wieder reingelesen und hab entdeckt: erst mal würde ich es selber auch gerne spielen, weil das sind Figuren, die ich auch schon oft gespielt habe, die mich reizen. Das sind Leute, die in prekären Verhältnissen leben, an denen sie zum Teil auch nicht ganz unschuldig sind. Die Hauptfigur, der Vater der Familie, um den es geht, Captain Boyle, ist ja eigentlich so ein Asi – hätte man früher gesagt - , ein Säufer. Aber er ist auch mehr als das. Er ist auch ein Poet und jemand, der versteht, das Beste aus den Verhältnissen zu machen, und der das Leben, das er da führt, auch genießt, der auch einen Teil Anarchie in sich trägt, wie er das gestaltet, dass er auch keine Lust hat zu arbeiten. Das ist eine hochinteressante Figur. Hochinteressant ist auch Juno, seine Frau, die eben die Familie zusammenhält. Nur, das kostet alles. Sie liebt ihn auch. Aber natürlich bleiben Leute dabei auf der Strecke, weil er sich um seine Familie überhaupt nicht kümmert. Und das ist natürlich verachtenswert. Aber man kann auch sagen: ja, der lebt sozusagen ganz frei nach Schnauze und übernimmt keine Verantwortung für nichts und niemanden. Und trotzdem lieben wir diese Figur, trotzdem steckt da so viel Leben drin, Fantasie und Poesie, dass man mit dem auch mit lacht und ihn auch gern hat.

    Hildebrandt: Michael Schweighöfer spielt die Rolle, Vater von Matthias Schweighöfer. Wie arbeiten Sie? Wenn ich das in der Probe richtig gesehen habe, wird es doch auch als Komödie angelegt, mit einer sehr komischen Seite.

    Peschel: Na, das ist ja auch ein sehr komisches Stück, die Texte sind unfassbar komisch. Das ist ja das Tolle gerade an Sean O'Casey, dass das Groteske, das Tragische, das Komische, das Todtraurige immer nebeneinander steht. Da gibt es überhaupt keine fließenden Übergänge. Da wird ein Mensch zu Grabe getragen, und in der nächsten Minute wird zehn Minuten lange zu Elvis getanzt, und dann geht man wieder auf die Beerdigung. Ja, aber so ist unser Leben. Wir müssen uns da nichts vormachen, wir müssen nicht immer betroffen sein. Das ist man, man ist für einen Moment betroffen, aber im anderen Moment will man auch wieder leben und will das Leben spüren. Und darum geht es ja auch in dem Stück.

    Hildebrandt: Wir arbeiten Sie jetzt mit Ihren Schauspielern?

    Peschel: Fragen Sie mal die Schauspieler. Manchmal sehr streng, ich gebe viel vor, andererseits, ja, ich will die auch in so einen Zustand bringen, wie ich das jahrelang an der Volksbühne Berlin erlebt habe. Verantwortung und Freiheit.

    Hildebrandt: Herr Peschel, Sie haben jetzt noch eine Komödie gedreht und zwar mit Matthias Schweighöfer, der Schlussmacher. Der Name ist Programm. Es geht um einen, der aus dem Schlussmachen in der Beziehung einen Beruf macht. Mit ihm, mit Matthias Schweighöfer verbindet Sie viel, oder?

    Peschel: Naja, wir kennen uns ca. seit sechs Jahren und sind Freunde, sehr gute Freunde geworden. Das verbindet uns, sogar mehr als das. Das ist wie eine Familie.

    Hildebrandt: Ich meinte eher im Witz. Ich glaube, Sie verstehen sich unglaublich gut im Witz, kann das sein?

    Peschel: Ja, auf jeden Fall! Mattias hat einen ähnlichen Humor, wie ihn auch Micha, sein Vater hat, aber auch mein Vater hat diesen Humor, auch Henry Hübchen. Das hat möglicherweise auch damit zu tun, wo man herkommt, wie man aufgewachsen ist. Alles, was ich über das Leben gelernt habe in den ersten 20, 30 Jahren, der Löwenanteil stammt von meiner Mutter. Meine Mutter ist unter aller schlimmsten, prekären Verhältnissen aufgewachsen, ja, wollte aus ihrem Sohn eben einen anständigen Menschen machen, und deswegen habe ich ihr ganz viel zu verdanken.

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