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Michael Blumenthal
"Ich wollte eine Heimstätte für jüdisches Leben"

Er war erfolgreicher Unternehmer und US-Politiker gewesen, Wirtschaftsfachmann und Finanzminister unter Jimmy Carter. Als Michael Blumenthal 1998 die Leitung des Jüdischen Museums in Berlin übernahm, war er bereits im Ruhestand. Aus 18 Monaten sollten 17 Jahre werden.

Von Christiane Habermalz |
    W. Michael Blumenthal
    W. Michael Blumenthal, früherer US-Finanzminister und langjähriger Leiter des Jüdischen Museums in Berlin (dpa / picture alliance / Daniel Naupold)
    " Man darf nie stillstehen, das ist in der Wirtschaft so wie auch in einem Museum, wenn man still steht, wird man zurückgedrängt."
    Für einen 88-Jährigen ein erstaunliches Motto, sollte man meinen. Nicht so für Michael Blumenthal. Als er im Jahr 1998 gefragt wurde, ob er, für 18 Monate nur und im Ehrenamt, in kulturpolitisch verfahrener Situation die Leitung des Jüdischen Museums übernehmen wolle, war er bereits im Ruhestand und hatte seine Karriere eigentlich schon hinter sich.
    Er war erfolgreicher Unternehmer und US-Politiker gewesen, Wirtschaftsfachmann und Finanzminister unter Jimmy Carter. Gerade erst hatte er sich seiner deutsch-jüdischen Herkunft zugewendet, hatte ein Buch geschrieben über 350 Jahre seiner Familiengeschichte, mit dem Titel "Die unsichtbare Wand". Aus den 18 Monaten Ehrenamt in Berlin wurden 17 Jahre, aus einem überzeugten Amerikaner ein Wahlberliner, zumindest zeitweise.
    "Daraus entwickelte sich eine 17-jährige Tätigkeit des Hin- und Herfliegens von Amerika, wo ich wohne, bis hierher, und während dieser Zeit natürlich bin ich immer tiefer nicht nur in die Geschichte der deutschen Juden sondern auch in die kontemporäre Zeit Deutschlands, der wiedervereinten Bundesrepublik, gekommen, und das hat mir eine Perspektive eröffnet, die ich vorher gar nicht hatte. "
    Zu Beginn habe er noch regelmäßig das Gefühl gehabt, als Amerikaner nach Berlin zu reisen, und es als Jude wieder zu verlassen, schrieb er einmal. Doch das Nachwende-Deutschland beeindrucke ihn durch seine Art, offen mit der Vergangenheit umzugehen, sagt er heute. Einen neuen Antisemitismus, wie er jetzt vielfach gesehen werde, könne er in Deutschland nicht erkennen. In vielen westlichen Ländern gebe es einen latenten Satz von 15 -20 Prozent von Menschen mit Vorurteilen gegen Juden - leider.
    "Das Schöne dabei ist, dass wir so viel Fortschritte gemacht haben. Dass die Anzahl der Menschen, die solche Vorurteile hegen, immer noch ziemlich beschränkt ist. Man schätzt in Deutschland, dass höchstens 15-20 Prozent der Bevölkerung antisemitische Vorurteile hat. Das waren früher viel mehr. Und dass Antisemitismus politisch höchst unkorrekt ist. Selbst Leute, die diese Vorurteile haben, wagen es oft nicht, sie offen auszusprechen. "
    Das Jüdische Museum in Berlin
    Das Jüdische Museum in Berlin (picture alliance/dpa/Rainer Jensen)
    Problematisch sei allerdings, dass häufig die Kritik an Israel mit Kritik am Judentum vermischt werde.
    "Mir persönlich gefallen auch manchmal gewisse Aspekte israelischer Politik nicht besonders. Deswegen bin ich kein Antisemit, ich bin Jude. Aber diese Vermischung besteht natürlich, so dass man oft den Eindruck haben könnte, dass dadurch ein größerer Hass auf Juden fabriziert wird. Aber im Allgemeinen ist das glaube ich kein riesiges Problem hier.
    Geboren wurde Blumenthal als Werner Blumenthal 1926 in Oranienburg, wo seine Familie schon seit Generationen gelebt hatte. Mit 13 Jahren musste er mit seinen Eltern vor den Nazis fliehen und sich nach Shanghai einschiffen, überlebte dort das Getto. Dort sagt er, habe er gelernt,
    "Dass Titel, Reichtum, Position, Status in einer Gesellschaft vorübergehen ist, dass einem das weggenommen werden kann. Und dass, was wichtig ist im Leben, die eigene innere Energie, die eigenen Werte, die eigene Kraft aus sich selbst heraus das Wichtige ist. Denn ich hab in China gesehen, wie viele Menschen, die Herr Doktor, Herr Professor und so weiter hießen in Europa, in Deutschland, zugrunde gegangen sind. "
    Blumenthal hat dem Jüdischen Museum seinen Stempel aufgedrückt, es zu dem gemacht, was es heute ist: Ein Haus, das mit seiner Ausstellung und der erst vor zwei Jahren gegründeten Akademie zu Toleranz gegenüber Minderheiten und für das friedliche Zusammenleben von Religionen Minderheiten aufruft. Blumenthal war es, der dem Haus die entscheidende Ausrichtung gab.
    Er, der Shoah-Überlebende, legte Wert darauf, dass das Museum sich nicht nur auf die Dokumentation des Holocaust beschränkte, sondern die lange Geschichte deutschsprachiger Juden in Europa von der Römerzeit bis heute darstellt. Das Jüdische Museum, sagte er bei jeder Gelegenheit, solle kein "Haus der Opfer" sein, sondern eine "Heimstätte für jüdisches Leben". Weniger erfährt man in diesem Museum über die jüdische Religion an sich, über Rituale und Traditionen, was durchaus auch Anlass zur Kritik gab. Möglicherweise wird sich dies ändern, wenn mit seinem Nachfolger Peter Schäfer ein Judaist und Wissenschaftler das Ruder übernimmt. Blumenthal ist dies nur recht:
    "Ich bin sehr zuversichtlich, dass ich ihm eine lebendige, gesunde Institution übergebe, nun soll er weiter was draus machen und soll es besser machen, als ich es gemacht habe! Das würde mich am meisten freuen. "