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Michael Brenner: Geschichte des Zionismus

Am 10. November 1975 fassten die Vereinten Nationen einen denkwürdigen Beschluss. Auf Initiative einiger arabischer Staaten verurteilten sie in einer Resolution den Zionismus als "rassistische und imperialistische Ideologie". Für den damaligen Präsidenten der UNO-Vollversammlung, Gaston Thorn, eine Fehlentscheidung. Er äußerte die Vermutung, die Versammlung habe gar nicht genau gewusst, worüber sie da eigentlich urteile. Dennoch wurde diese Resolution erst 1991 aufgehoben. Im vergangenen Jahr geriet der Zionismus erneut in den Mittelpunkt der Kritik, auf der UNO-Konferenz gegen Rassismus im südafrikanischen Durban. Dort stand das Thema ganz oben auf der Tagesordnung und sorgte für einen Eklat: Die USA und Israel verließen die Konferenz. Bereits im Vorfeld hatten Beobachter kritisiert, die Vereinten Nationen verwechselten den Zionismus mit diskriminierenden Praktiken des israelischen Staates. Sie empfahlen, die historische Gestalt dieser politischen Idee genauer zu betrachten. Eine neue Veröffentlichung von Michael Brenner, seines Zeichens Professor für jüdische Geschichte an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, bietet eben diese Möglichkeit. Sie trägt den simplen Titel: "Geschichte des Zionismus".

Miriam Rossius | 28.10.2002
    Worum es mir ging war, einige der Grundgedanken des Zionismus hier aufzunehmen und vor allem aufzuzeigen, dass der Zionismus eben keine monolithische einheitliche Bewegung war, sondern sehr viele Ecken und Kanten und die unterschiedlichsten Strömungen in sich barg und eben nicht nur mit den unterschiedlichsten Gegnern zu kämpfen hatte im Laufe seiner Entwicklung, sondern innerhalb des Z sehr verschiedene Strömungen immer aktiv waren. Allerdings war ein Ziel, natürlich von Anfang an klar: Es ging darum, eine, wie es damals hieß, Heimstätte für das jüdische Volk zu schaffen um die Wende zum 20. Jahrhunderts eben für eine in Europa nun doch zunehmend in Bedrängnis geratene Minderheit.

    Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Buch von Michael Brenner ist keine wissenschaftliche oder literarische Offenbarung. Es ist nicht mit dem Ziel angetreten, neue Erkenntnisse ans Licht zu bringen, provokante Thesen oder spektakuläre Theorien aufzustellen. Dennoch hat sich der Autor einiges vorgenommen: Die Geschichte des Zionismus auf knapp 130 Seiten zu bringen, das kann man durchaus ambitioniert nennen. Und es ist geglückt. Michael Brenner porträtiert die wichtigsten Persönlichkeiten und führt uns zu den verschiedenen Schauplätzen der zionistischen Bewegung - Wien, Paris, München, Basel, Odessa, Tel Aviv. Dabei beweist er nicht nur große Sachkenntnis, sondern auch eine Fähigkeit, die man bei deutschen Universitätsprofessoren wahrlich nicht voraussetzen darf: Brenner schreibt allgemeinverständlich und ansprechend. Er kann erzählen. So werden die kleinen Geschichten mit der großen Geschichte verwoben, der Autor sieht das persönliche Erleben als Teil des historischen Geschehens. Er übermittelt Daten, Fakten und eine große Dichte an Informationen, bringt dem Leser aber zugleich die Protagonisten nahe - keine orthodoxen Rabbiner, sondern moderne, aufgeklärte Vordenker, so wie Theodor Herzl, geboren 1860 in Ungarn.

    Mit jüdischen Traditionen hatte er wenig am Hut. Bereits seine Eltern hatten sich verweigert, zu seiner religiösen Volljährigkeit im Alter von 13 Jahren eine Bar-Mitzva-Zeremonie in der Synagoge zu veranstalten; er selbst ließ später seinen Sohn nicht beschneiden. Sein Tagebuch berichtet von seinen ursprünglichen Plänen der Lösung der Judenfrage durch die Massentaufe der jüngeren Generation aller Wiener Juden, und als er im Dezember 1895 seine zionistischen Grundgedanken dem Wiener Oberrabbiner schmackhaft machen wollte, schreckte dieser bereits an der Haustür zurück, als er den Weihnachtsbaum im Hause Herzl erblickte.

    Warum richtete gerade jemand wie Herzl den Blick ins ferne Palästina? Die Gründe dafür sind vielschichtig: Nationalitätenkonflikte und Freiheitskampf einerseits; auf der anderen Seite der um 1890 aufkommende politische Antisemitismus, alltägliche Diskriminierungen und Pogrome in Osteuropa. Schließlich: Die persönliche Enttäuschung assimilierter Juden über das Scheitern der Emanzipation. Brenner bewegt sich gekonnt zwischen den verschiedenen Ebenen, macht die Zusammenhänge sichtbar und legt dar, warum Männer wie Theodor Herzl vor diesem Hintergrund ihr Judentum wieder entdeckten: Weil sie begriffen, dass die so genannte "Judenfrage" kein religiöses Problem war, sondern ein nationales. Dass weder Bildung noch Patriotismus, nicht einmal die Taufe aus ihnen gleichberechtigte Bürger machten. So nahmen um 1900 die unterschiedlichsten Konzepte für einen eigenen jüdischen Staat Gestalt an. Die Visionen von Herzl spiegeln sich in seinem utopischen Roman "Altneuland".

    In ihm malte sich Herzl eine idealisierte Gesellschaft aus, in der Juden und Araber friedlich miteinander lebten, es kaum politische Konflikte gab, eine Gesellschaft, die das Beste aus allen europäischen Ländern vereinte: englische Internate, französische Opernhäuser und natürlich österreichischen Kaffee und Salzstangerln.

    So naiv Herzls Ideen heute wirken, so typisch waren sie für den Kreis derer, die sich Herzl anschlossen. Kosmopolitisch denkende, weltoffene Intellektuelle, die sich in vielen europäischen Gesellschaften zu Hause fühlten. Herzl war zwar die zentrale Figur, doch es gab andere führende Köpfe, allen voran Herzls entschiedenster Kritiker, Achad Ha’am. Er stammte aus Odessa, der zweitgrößten jüdischen Gemeinde des Zarenreiches und war, so Brenner, "Zionist, lange bevor Herzl Zion entdeckte".

    Herzl wollte einen Judenstaat, Achad Ha’am einen jüdischen Staat. Beide stimmten überein, dass dies kein religiöser Staat werde sollte, aber während Achad Ha’am eine neubelebte hebräische Kultur als Zentrum der neuen jüdischen Gesellschaft anstrebte, schrieb Herzl: "Kein hebräischer Staat - ein Judenstaat, wo’s keine Schande, ein Jud zu sein." Herzl ging es um die Rettung der Juden vor physischer Bedrohung: "Unsere Bewegung ist aus der Not geboren, aus der Not der Juden in der ganzen Welt", heißt es bei ihm. Wo Herzl die Juden retten wollte, versuchte Achad Ha’am das Judentum zu retten Für ihn bedeute Herzls Plan nichts anderes als eine Assimilation auf kollektiver Grundlage.

    Neben den Anhängern Herzls einerseits und denen Ha’ams auf der anderen Seite gab es noch die sozialistischen Zionisten, die das jüdische Volk zu Arbeitern und Bauern machen wollten; dagegen wehrten sich die Revisionisten, sie vertraten bürgerliche, nationalistische Elemente innerhalb der Bewegung und betonten den militärischen Kampf. Und, nicht zu vergessen: der religiöse Zionismus. Brenner widmet sich auch diesen Richtungen und stellt dabei die verschiedenen Theorien der konkreten Situation gegenüber, wie sie die Siedler in Palästina vorfanden. Er deckt die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit auf und zeigt, wie die Erfahrungen, die die Einwanderer in ihren Ursprungsländern gemacht hatten, der neuen Gesellschaft die Richtung wiesen - unabhängig von pazifistischen Bekenntnissen.

    Es gab, gerade in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts, immer wieder Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung im Zarenreich in Russland. Die Juden standen dem im Prinzip wehrlos gegenüber, da die Behörden, wenn sie sich nicht aktiv dran beteiligten, dem Geschehen den Rücken kehrten, und das hat natürlich psychologisch sehr stark die Einwanderer, die ja aus Russland kamen zumeist, aus Osteuropa, hat sie geprägt. Man wollte sozusagen einen eigenen Staat nicht zuletzt darum, weil man sich in einem eigenen Staat auch selber und auch mit Waffen wehren kann, wie man das eben in der Diaspora nicht konnte. Ein Ende der Wehrlosigkeit, ein Ende der Ghettoexistenz, das waren ja einige der Schlagworte, die den Zionismus geprägt hatten.

    Wo es um den Konflikt zwischen Juden und Arabern geht, hält sich Brenner mit Bewertungen weitgehend zurück. Er registriert die - wie er es formuliert - "palästinensische Tragödie" und "Heimatlosigkeit" infolge des Krieges 1948/49 ebenso wie die Bedrohung des jüdischen Staates, der im Nahen Osten als Fremdkörper empfunden wurde und wird. Mit Fairness und gewisser Distanz zu beiden Seiten zeigt er die unterschiedlichen Positionen auf und lässt dem Leser Raum, sich ein eigenes Bild zu machen. Kritisch setzt er sich mit der Rolle Großbritanniens auseinander, schildert, wie die Briten nach jüdischer und arabischer Seite Zugeständnisse machten und Hoffnungen auf einen eigenen Staat wach hielten, wie Teilungspläne entworfen und wieder verworfen wurden und wie die Briten 1939 schließlich strikte Einwanderungsquoten für Juden festlegten, um die Unterstützung der arabischen Welt gegen die faschistischen Mächte zu gewinnen. Brenners bitteres Fazit:

    Als diese Entscheidungen im britischen Parlament fielen, brannten in Deutschland die Synagogen, und Zehntausende deutscher Juden wurden in Konzentrationslagern eingesperrt. Noch konnten sie frei kommen, vorausgesetzt, es lag ihnen eine Einreiseerlaubnis in ein fremdes Land vor. In dieser Situation jedoch schlossen sich die Tore Palästinas immer weiter. Es entbehrte nicht einer bitteren Ironie, dass das Ende der jüdischen Emigration auf das Jahr 1944 festgelegt wurde, als die Gasöfen von Auschwitz auf Hochtouren liefen und von den großen jüdischen Gemeinden zwischen Wilna und Saloniki, Warschau und Amsterdam so gut wie nichts mehr übriggeblieben war.

    Die Entwicklung nach 1948 wird nur auf wenigen Seiten skizziert. Das ist schade, doch hätte es dafür wohl eines weiteren Bandes bedurft. So endet die Geschichte des Zionismus mit der Gründung des Staates Israel, obwohl ein Schlusspunkt noch nicht erreicht ist und die Bewegung bis heute alles andere als einig ist. Ganz abgesehen davon, dass es inzwischen noch eine weitere Debatte gibt. Die zentrale Frage dabei: Hat sich der Zionismus längst selbst überlebt oder erfährt er - als Folge der zweiten Intifada - eine Renaissance? Die Einschätzung von Michael Brenner:

    Ich denke schon, dass der Zionismus letztlich sein Hauptziel ereicht hat. Und eigentlich auf vieles stolz sein kann, was er erreicht hat. Auf der anderen Seite ist der Zionismus noch nicht da angelangt, wo ihn sein Gründer Theodor Herzl gern gesehen hätte, nämlich als eine Gesellschaft, die auch in Frieden leben kann, auch in Frieden mit ihren Nachbarn und die jüdische wie arabische Bürger selbstverständlich in ihrem Innern aufnehmen kann. Ich denke, da ist noch ein Weg zu absolvieren. Wir sind noch nicht so weit, wie viele sich das wünschen würden.

    Michael Brenner: "Geschichte des Zionismus". Erschienen in der Taschenbuchreihe "Wissen" des C.H. Beck Verlages München, 127 Seiten für 7 Euro und 90 Cent.