Gotthold Ephraim Lessing hat ein witziges "Lob der Faulheit" geschrieben. Wilhelm Buschs Geschichte von Fräulein Ammer und ihrem Hündchen Schnick ist überschrieben mit "Die Strafe der Faulheit". "Faulheit", das ist ein Thema, das viele Schriftsteller, aber auch Philosophen und Soziologen beschäftigt hat. Zum Thema "Recht auf Faulheit – Zukunft der Nichtarbeit" ist jetzt ein Sammelband von Michael Jäger und Gerburg Treusch-Dieter erschienen. Günter Rohleder ließ Faulheit Faulheit sein und las das Buch für uns:
Aber das Proletariat zu überzeugen, dass die Parole, die man ihm eingeimpft hat, pervers ist, dass die zügellose Arbeit ...die schrecklichste Geißel ist, welche je die Menschheit getroffen, dass die Arbeit erst dann eine Würze der Vergnügungen der Faulheit, eine dem menschlichen Organismus nützliche Übung, eine dem gesellschaftlichen Organismus nützliche Leidenschaft sein wird, wenn sie weise reglementiert und auf ein Maximum von drei Stunden täglich beschränkt wird - das ist eine schwierige Aufgabe, die meine Kräfte übersteigt.
So der Gesellschaftskritiker, Satiriker und Humanist Paul Lafargue 1880 in seinem Plädoyer Recht auf Faulheit. Sicher, es sind kürzere Arbeitszeiten erkämpft worden seit 1880, humanere Arbeitsstandards und eine bessere Entlohnung - zumindest in unseren Breiten. Aber bedeuten Nichtarbeit und Muße heute mehr als damals? Im Gegenteil. Mehr denn je setzt Arbeit den Maßstab für die Suche nach Anerkennung, Status und Lebenssinn. Alle Autoren stimmen darin überein - so unterschiedlich sie das Thema angehen -, dass wir es mit einer Strukturkrise der Arbeitsgesellschaft zu tun haben. Dass die fortschreitende Automation Arbeit mehr und mehr überflüssig macht. Wie steht es nun um die Zukunft der Nichtarbeit? Der Publizist Michael Jäger schreibt in seinem Manifest:
Die Arbeitsgesellschaft steht leer und ist ein Objekt der Spekulanten. Die Zukunft der Nicht-Arbeit wird mit ihrer Instandsetzung beginnen. Wenn die Kommandeure der Arbeitsgesellschaft die Faulheit angreifen, werden die anderen, die etwas tun aus sozialer Leidenschaft, sich zur Faulheit bekennen.
Und weiter:
Was ist besser: Faulheit oder die vom Profitstreben erzwungene Gleichgültigkeit gegen den möglichen Fluch der Taten? Schon heute weiß nämlich jeder Mensch, er verdient nicht auch noch Lohn für das Mittun am Bau von Atom-U-Booten oder – Kraftwerken, von noch mehr Autos mit noch mehr Vergasern, an der Züchtung von so viel Rindern, dass weltweit auf zwei Menschen ein Rind kommt, nur damit der reiche Norden sich krank frisst und nur damit man Tausende Rinder vernichtet, um den Markt zu stützen.
Arbeiten, um der Arbeit willen. Egal was. Zum Arbeiten, zum Erwerb verdammt. Der biblische Fluch – im Schweiße deines Angesichts – fällt mit dem Zwang, Geld zu verdienen, zusammen. Aber besteht nicht inzwischen die historische Chance, sich von der Arbeit zu emanzipieren?
Für Gerburg Treusch-Dieter steht die Nichtarbeit gegenwärtig in dreifacher Weise zur Debatte: Einmal als Arbeitslosigkeit. Zweitens als Arbeit ohne Arbeitsinhalt. Und drittens steht Nichtarbeit zur Debatte als Freiheit für Tätigkeiten, die sich nicht durch die Form der Arbeit definieren.
Aber wie findet man zu dieser Freiheit? Auch Freizeit ist weitgehend durch Arbeit bestimmt. Die Freizeitindustrie kann ein Lied davon singen. In seinem Beitrag "Fröhliche Arbeitslager" warnt Alexander Meschnig, dass mit zunehmender Verknappung der Arbeit durch Automation diese Freizeit als Fluch empfunden werden wird.
Morgen wird die Freizeit nicht mehr das als das "eigentliche" Leben gelten, sondern als leere Zeit, als nicht zu bewältigender Zeitbrei, als sinnloses Herumvegetieren – und als solche wird sie verhasst sein. Und selbst wenn es – was ganz unwahrscheinlich ist - gelingen sollte, durch einen totalen Umbau des Gesellschaftssystems die heutige Wohlstandsgesellschaft aufrechtzuerhalten – womit sollen sich denn die Millionen von früh bis spät beschäftigen? Die Frage ist nicht mehr die, wie man die Früchte der Arbeit gerecht verteilt, sondern wie man die Konsequenzen der Nichtarbeit erträglich macht.
Dann muss man es eben lernen, mit seiner Zeit etwas Sinnvolles anzufangen, möchte man entgegenhalten. Guillaume Paoli von den Glücklichen Arbeitslosen jedenfalls findet, dass es längst an der Zeit ist, Arbeit zu vermeiden und sich im Müßiggang zu üben. Und in seinem Manifest fällt der Satz:
Wie die Liebe lässt sich die Muße nicht erklären, sondern lediglich vergegenwärtigen.
Eine Kontroverse löst der Soziologe Oskar Negt mit seinem Plädoyer aus, den Begriff Arbeit nicht rundweg abzulehnen, sondern zu erweitern. Arbeit etwa durch Tätigkeit zu ersetzen, führe zu nichts, findet Negt.
Dieses Jonglieren mit Begriffen führt überhaupt nicht weiter. Lassen Sie mich lieber definieren, was ich unter Arbeit verstehe: das ist gegenständliche Tätigkeit und eine Subjekt-Objekt-Beziehung, ein handgreifliches Abarbeiten an Etwas, bei dem unter Bedingungen nicht entfremdeter, sondern kreativer Arbeit das Subjekt nicht ärmer wird, sondern reicher. Ich unterstelle damit keinen anderen Arbeitsbegriff als Lafargue in seinem "Lob der Faulheit": er kritisiert ja nicht die Arbeit überhaupt, sondern die kapitalistische Arbeit.
Oskar Negt weiß, wovon er spricht, wenn er die Arbeit als Lohnarbeit unter kapitalistischem Verwertungszwang kritisiert. Kürzlich hat er unter dem Titel "Arbeit und menschliche Würde" ein dickes und lesenswertes Buch veröffentlicht. Aber ist es nicht trügerisch, das Ethos der Arbeit immer wieder zu verteidigen? Ist der Begriff von Arbeit nicht unauflösbar mit Lohnarbeit und biblischem Sündenfall verstrickt, so dass man ihn grundlegend in Frage stellen muss? In ihrer Einleitung spricht Gerburg Treusch-Dieter von einer Totalisierung der Arbeit: Zu einem Subjekt wird man, indem man an sich 'arbeitet’ und an der Gesellschaft. Was Wunder, wenn der Verlust von Arbeit heute mit dem Verlust des Selbstwerts zusammenfällt.
In einem Recht auf Faulheit ist radikale Arbeitskritik angelegt. Es ist den Autoren des gleichnamigen Buches gelungen, das Thema zugleich wissenschaftlich, spielerisch, satirisch und lebenspraktisch zu beleuchten und damit die Debatte zu bereichern. Recht auf Faulheit und Muße heißt in der Praxis: Eine Grundsicherung, ein Bürgergeld für alle. - Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Tätigsein. Und Arbeitskritik ist auch Konsumkritik. Die Fragen nach sinnvollem Tun und sinnvollem Leben fallen zusammen. Und trotz aller Zwänge des Systems muss jeder auch für sich selbst entscheiden, inwiefern er sie mit der Arbeit, auf die er sich einlässt, vereinbaren kann.
Günter Rohleder stellte das Buch vor von Michael Jäger und Gerburg Treusch-Dieter (Hrsg): Recht auf Faulheit. Zukunft der Nichtarbeit. Edition Freitag Berlin. 180 Seiten, kostet es 12 Euro.
Aber das Proletariat zu überzeugen, dass die Parole, die man ihm eingeimpft hat, pervers ist, dass die zügellose Arbeit ...die schrecklichste Geißel ist, welche je die Menschheit getroffen, dass die Arbeit erst dann eine Würze der Vergnügungen der Faulheit, eine dem menschlichen Organismus nützliche Übung, eine dem gesellschaftlichen Organismus nützliche Leidenschaft sein wird, wenn sie weise reglementiert und auf ein Maximum von drei Stunden täglich beschränkt wird - das ist eine schwierige Aufgabe, die meine Kräfte übersteigt.
So der Gesellschaftskritiker, Satiriker und Humanist Paul Lafargue 1880 in seinem Plädoyer Recht auf Faulheit. Sicher, es sind kürzere Arbeitszeiten erkämpft worden seit 1880, humanere Arbeitsstandards und eine bessere Entlohnung - zumindest in unseren Breiten. Aber bedeuten Nichtarbeit und Muße heute mehr als damals? Im Gegenteil. Mehr denn je setzt Arbeit den Maßstab für die Suche nach Anerkennung, Status und Lebenssinn. Alle Autoren stimmen darin überein - so unterschiedlich sie das Thema angehen -, dass wir es mit einer Strukturkrise der Arbeitsgesellschaft zu tun haben. Dass die fortschreitende Automation Arbeit mehr und mehr überflüssig macht. Wie steht es nun um die Zukunft der Nichtarbeit? Der Publizist Michael Jäger schreibt in seinem Manifest:
Die Arbeitsgesellschaft steht leer und ist ein Objekt der Spekulanten. Die Zukunft der Nicht-Arbeit wird mit ihrer Instandsetzung beginnen. Wenn die Kommandeure der Arbeitsgesellschaft die Faulheit angreifen, werden die anderen, die etwas tun aus sozialer Leidenschaft, sich zur Faulheit bekennen.
Und weiter:
Was ist besser: Faulheit oder die vom Profitstreben erzwungene Gleichgültigkeit gegen den möglichen Fluch der Taten? Schon heute weiß nämlich jeder Mensch, er verdient nicht auch noch Lohn für das Mittun am Bau von Atom-U-Booten oder – Kraftwerken, von noch mehr Autos mit noch mehr Vergasern, an der Züchtung von so viel Rindern, dass weltweit auf zwei Menschen ein Rind kommt, nur damit der reiche Norden sich krank frisst und nur damit man Tausende Rinder vernichtet, um den Markt zu stützen.
Arbeiten, um der Arbeit willen. Egal was. Zum Arbeiten, zum Erwerb verdammt. Der biblische Fluch – im Schweiße deines Angesichts – fällt mit dem Zwang, Geld zu verdienen, zusammen. Aber besteht nicht inzwischen die historische Chance, sich von der Arbeit zu emanzipieren?
Für Gerburg Treusch-Dieter steht die Nichtarbeit gegenwärtig in dreifacher Weise zur Debatte: Einmal als Arbeitslosigkeit. Zweitens als Arbeit ohne Arbeitsinhalt. Und drittens steht Nichtarbeit zur Debatte als Freiheit für Tätigkeiten, die sich nicht durch die Form der Arbeit definieren.
Aber wie findet man zu dieser Freiheit? Auch Freizeit ist weitgehend durch Arbeit bestimmt. Die Freizeitindustrie kann ein Lied davon singen. In seinem Beitrag "Fröhliche Arbeitslager" warnt Alexander Meschnig, dass mit zunehmender Verknappung der Arbeit durch Automation diese Freizeit als Fluch empfunden werden wird.
Morgen wird die Freizeit nicht mehr das als das "eigentliche" Leben gelten, sondern als leere Zeit, als nicht zu bewältigender Zeitbrei, als sinnloses Herumvegetieren – und als solche wird sie verhasst sein. Und selbst wenn es – was ganz unwahrscheinlich ist - gelingen sollte, durch einen totalen Umbau des Gesellschaftssystems die heutige Wohlstandsgesellschaft aufrechtzuerhalten – womit sollen sich denn die Millionen von früh bis spät beschäftigen? Die Frage ist nicht mehr die, wie man die Früchte der Arbeit gerecht verteilt, sondern wie man die Konsequenzen der Nichtarbeit erträglich macht.
Dann muss man es eben lernen, mit seiner Zeit etwas Sinnvolles anzufangen, möchte man entgegenhalten. Guillaume Paoli von den Glücklichen Arbeitslosen jedenfalls findet, dass es längst an der Zeit ist, Arbeit zu vermeiden und sich im Müßiggang zu üben. Und in seinem Manifest fällt der Satz:
Wie die Liebe lässt sich die Muße nicht erklären, sondern lediglich vergegenwärtigen.
Eine Kontroverse löst der Soziologe Oskar Negt mit seinem Plädoyer aus, den Begriff Arbeit nicht rundweg abzulehnen, sondern zu erweitern. Arbeit etwa durch Tätigkeit zu ersetzen, führe zu nichts, findet Negt.
Dieses Jonglieren mit Begriffen führt überhaupt nicht weiter. Lassen Sie mich lieber definieren, was ich unter Arbeit verstehe: das ist gegenständliche Tätigkeit und eine Subjekt-Objekt-Beziehung, ein handgreifliches Abarbeiten an Etwas, bei dem unter Bedingungen nicht entfremdeter, sondern kreativer Arbeit das Subjekt nicht ärmer wird, sondern reicher. Ich unterstelle damit keinen anderen Arbeitsbegriff als Lafargue in seinem "Lob der Faulheit": er kritisiert ja nicht die Arbeit überhaupt, sondern die kapitalistische Arbeit.
Oskar Negt weiß, wovon er spricht, wenn er die Arbeit als Lohnarbeit unter kapitalistischem Verwertungszwang kritisiert. Kürzlich hat er unter dem Titel "Arbeit und menschliche Würde" ein dickes und lesenswertes Buch veröffentlicht. Aber ist es nicht trügerisch, das Ethos der Arbeit immer wieder zu verteidigen? Ist der Begriff von Arbeit nicht unauflösbar mit Lohnarbeit und biblischem Sündenfall verstrickt, so dass man ihn grundlegend in Frage stellen muss? In ihrer Einleitung spricht Gerburg Treusch-Dieter von einer Totalisierung der Arbeit: Zu einem Subjekt wird man, indem man an sich 'arbeitet’ und an der Gesellschaft. Was Wunder, wenn der Verlust von Arbeit heute mit dem Verlust des Selbstwerts zusammenfällt.
In einem Recht auf Faulheit ist radikale Arbeitskritik angelegt. Es ist den Autoren des gleichnamigen Buches gelungen, das Thema zugleich wissenschaftlich, spielerisch, satirisch und lebenspraktisch zu beleuchten und damit die Debatte zu bereichern. Recht auf Faulheit und Muße heißt in der Praxis: Eine Grundsicherung, ein Bürgergeld für alle. - Voraussetzung für ein selbstbestimmtes Tätigsein. Und Arbeitskritik ist auch Konsumkritik. Die Fragen nach sinnvollem Tun und sinnvollem Leben fallen zusammen. Und trotz aller Zwänge des Systems muss jeder auch für sich selbst entscheiden, inwiefern er sie mit der Arbeit, auf die er sich einlässt, vereinbaren kann.
Günter Rohleder stellte das Buch vor von Michael Jäger und Gerburg Treusch-Dieter (Hrsg): Recht auf Faulheit. Zukunft der Nichtarbeit. Edition Freitag Berlin. 180 Seiten, kostet es 12 Euro.