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Michael Kretschmer in Sachsen
Im Schnelldurchlauf zum Ministerpräsidenten?

Michael Kretschmer galt schon lange als Kronprinz von Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Durch dessen Rücktritt soll der Generalsekretär der sächsischen CDU jetzt noch früher als gedacht Regierungschef werden. Das gefällt nicht allen in der CDU. Auch der Koalitionspartner SPD tut sich schwer mit manchen Positionen Kretschmers.

Von Bastian Brandau |
    Michael Kretschmer, Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen
    Michael Kretschmer, bisher Generalsekretär des CDU-Landesverbandes Sachsen, soll Ministerpräsident werden (imago stock&people)
    "Ich habe da keinen Plan B gehabt."
    Ein sichtlich bedröppelter Michael Kretschmer stellt sich am Tag nach der Bundestagswahl in Dresden der Presse. Die AfD ist in Sachsen stärkste Kraft geworden, vor der CDU. Generalsekretär Kretschmer hat sein Direktmandat im Wahlkreis Görlitz verloren, an einen AfD-Kandidaten ohne politische Erfahrung. Dabei hatte Kretschmer vor vier Jahren in Görlitz noch fast 50 Prozent der Stimmen geholt.
    "Ich habe für meine Heimat gern gekämpft, ich liebe die Gegend, ich liebe die Menschen, und ich war eigentlich auch so ein Stück weit mit mir im Reinen über das, was ich die letzten vier Jahre gemacht habe. Und ich habe erwartet, dass ich da nochmal vier Jahre weiter machen kann. Das geht jetzt nicht, also muss ich mich neu orientieren."
    Orientierungslos und angeschlagen wirken die CDU und ihr Generalsekretär nach der Schlappe in Sachsen, wo sie auf Landesebene seit 1990 stärkste Kraft sind. Bis Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich Mitte Oktober für sich entscheidet: Für den Neuanfang fehlt die Kraft, ein Jüngerer muss ran. Und zwar sein Generalsekretär Michael Kretschmer.
    "Er ist Sachse mit Herz und Verstand, der jung und doch erfahren ist", so der scheidende Ministerpräsident über seinen Wunschnachfolger. "Er ist ein Gewinn für das Land. Als Kreisrat kennt er die kommunalen Belange der kommunalen Familie genauso, wie er sich in der Bundespolitik auskennt. Er hat ein belastbares Netzwerk in Berlin, dass er hierher nach Sachsen mitbringt. Und er hat sich eine hohe Wertschätzung erarbeitet und ist im Land und darüber hinaus sehr geachtet."
    Es gibt schlicht keinen anderen, sagen Kritiker
    Seine Partei achtet ihn, unter den Bürgern aber ist Kretschmer eher unbekannt: Laut einer Umfrage der "Sächsischen Zeitung" wussten Ende Oktober gerade einmal 19 Prozent der Sachsen, wer Michael Kretschmer ist. 42 Jahre alt aus Görlitz, mit Partnerin und Kindern in Dresden lebend. Kretschmer ist ausgebildeter Büroinformatiker, der anschließend noch ein Ingenieursstudium absolvierte und seitdem Politiker ist. Als Jugendlicher ist er zur Sächsischen Union gekommen, seit 2005 ihr Generalsekretär. 2002 zog Kretschmer erstmals in den Bundestag ein und war dort zuletzt stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Und jetzt bald sächsischer Ministerpräsident?
    "Und ich habe sehr gründlich darüber nachgedacht, ob ich diese Kraft habe. Ich habe es ja auch gelesen, die Frage: Kann das jemand, der gerade seinen Wahlkreis nicht gewonnen hat, kann das der richtige Mann sein, habe auch diese Frage mir selber gestellt. Und deswegen war es mir so wichtig, dass diejenigen in meiner Partei, zumindest diejenigen, die in dieser Verantwortung stehen, das so sehen."
    Es gebe schlicht keinen anderen, sagen Kritiker. Als möglicher Kronprinz galt Kretschmer schon lange. Einer, der als Generalsekretär klare konservative Kante zeige, sagen die einen. Der die sächsische CDU nicht ausreichend nach Rechts abgrenze, sagen die anderen. Mit Papieren zur Leitkultur, der Unterstützung für Viktor Orbans Grenzzaun und einer Ablehnung der Ehe für alle im Bundestag. Kretschmer, so erwarteten viele, würde irgendwann aus Berlin nach Dresden zurückkehren, um ein Ministeramt zu übernehmen - und dann an die Spitze zu rücken.
    Nun muss er es früher tun: Am Wochenende soll der Landesparteitag ihn zum Vorsitzenden wählen, kommende Woche der Landtag ihn zum Ministerpräsidenten. Vom langjährigen Generalsekretär zum Ministerpräsidenten im Schnelldurchlauf, ohne Gegenkandidaten: Das gefällt nicht allen an der CDU-Basis.
    "Das hat Vorteile, das hat Nachteile", sagt ein Mitglied. "Aber ich glaube, das wird uns sehr, sehr zum Verhängnis werden, weil genau diese Argumente kommen, denke ich, vor allen Dingen von der AfD. Zu Recht, denke ich. Und das wird auch Leute, wenn wir es nicht schaffen und ich denke, Lehrer kriegen wir so schnell nicht und Polizisten auch nicht, wo sollen die herkommen? Das wird uns Stimmen kosten nochmal, ich scherze immer, wir werden Juniorpartner."
    Zusammenarbeit mit der AfD schließt Kretschmer aus
    Eine Koalition mit der AfD? Europa- und Bundestagsabgeordnete aus Sachsen, aber auch Kommunalpolitiker hatten laut über diese Option nachgedacht. Ausgeschlossen, sagt Kretschmer, eine Zusammenarbeit mit der AfD komme für ihn nicht in Frage.
    "Jeder, der das Personal und der auch vor allen Dingen die politischen Positionen sieht, wird feststellen, das passt nicht zur CDU."
    Dennoch: Auch in den vergangenen Wochen hantierte Kretschmer beim Familiennachzug mit Millionenzahlen, die sonst von der AfD genannt werden und für die es keine seriöse Quelle gibt. Auf seiner Tour durch Sachsen war neben der Flüchtlingspolitik auch der eklatante Lehrermangel im Land ein Thema. Den möchte er angehen.
    Für die Abstimmung am kommenden Mittwoch muss Kretschmer nicht nur seine eigene Partei überzeugen, sondern auch den Koalitionspartner SPD. Dessen Vorsitzender Martin Dulig, stellvertretender Ministerpräsident, klang Ende Oktober noch verhalten:
    "Ich weiß noch nicht, wer Michael Kretschmer wirklich ist. Wofür er wirklich steht. Weil er hatte eine Rolle als Generalsekretär und hat dezidiert Positionen eingenommen, die schwierig für mich sind. Ich glaube, dass er von seinem Lebensgefühl vielleicht anders tickt, aber ich weiß nicht, wofür er steht."
    Koalitionspartner SPD bleibt verhalten
    Gestern war Kretschmer zu Besuch in der SPD-Fraktion. Man habe intensiv über ein breites Themenspektrum diskutiert, hieß es im Anschluss. Und sich besser kennengelernt? Martin Dulig:
    "Mein Vertrauen in Michael Kretschmer ist gewachsen, aber es bleibt die Frage, ob das für die gesamte CDU in Sachsen gilt."
    Über das Abstimmungsverhalten bei der Wahl eines neuen Ministerpräsidenten werde die SPD-Fraktion erst in der kommenden Woche entscheiden.