Zu diesem Ergebnis kommt die Zeitschrift "Der Bürger im Staat" nach Auswertung der einschlägigen kriminologischen Forschung. Wie die Angst vor dem Verbrechen in der Architektur, der Sicherheitstechnik und in der Stadtplanung als Verkaufsfaktor genutzt wird, darauf macht der österreichische Architekturtheoretiker Michael Zinganel in seinem Buch "Real crime. Architektur, Stadt und Verbrechen" aufmerksam. Beatrix Novy:
Wollte man Anleitungen für einen sicheren Standort einer Wohnung und eines Eigenheims.ableiten, dann fällt ins Auge, dass gerade die Tendenz zum radikalen Rückzug in eine abgeschirmte vermeintliche "Privatheit" und der damit verbundene Zerfall der Nachbarschaftsbeziehungen und der gemeinsamen Verantwortung für den öffentlichen Raum auch den Einbrechern stark entgegenkommt. Die entlegene Villa im Grünen oder die Abschottung des Eigenheims von den Nachbarn durch eine mannshohe Tujenhecke stellen in diesem Kontext ein reales Sicherheitsrisiko dar. Einmal hinter einer solchen Hecke verschwunden, kann der Einbrecher sicher sein, ungestört seine Arbeit zu Ende bringen zu können.
Von Einbrechern lernen. Wer es täte, würde auf Alarmanlagen verzichten - denn gerade sie fachen Begehrlichkeiten an -, sich allenfalls einen Hund anschaffen und im Haus möglichst viel Leben wenigstens vortäuschen. Aber wem nützen schon einfache Lösungen. Stattdessen wächst ein weitgehend krisensicherer Wirtschaftszweig, tüftelt immer neue und bessere Sicherheitssysteme, Schlösser, Alarmanlagen aus und bedient diffuse Angst mit gezielten Szenarien – dies alles im sportlichen Wettkampf mit der Gegenseite, die nicht minder innovativ und mit den neuesten Einbruchswerkzeugen der Einbruchsverhinderungsindustrie immer eine Nasenlänge voraus ist. Kriminalität ist zweifellos eine Produktivkraft, wie Karl Marx kühl ausgeführt hat: Der Verbrecher, sagte Marx, produziert eben nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht, den Professor, der Kriminalrecht liest, den Verleger, der die Literatur dazu druckt etc.etc.
Es gibt also durchaus ein Interesse an der Existenz des Verbrechens, und in der gegenseitigen Bedingtheit lagert sich über die realen Bedingungen ein Geflecht von Angst, Spekulation und Unsicherheit. Ein leitmotivischer Ort dieser Ängste, die von der Presse schon früh propagandistisch verstärkt wurden, war seit ihrer Entstehung die industrialisierte Großstadt. Die Realität des Verbrechens und die mediale Repräsentation dieser Realität stehen in einem verschwimmenden, austauschbaren Verhältnis, was erklärt, warum in statistisch besonders sicheren Ländern oder Städten die Angst besonders groß ist: nicht mehr nur vor dem Verbrechen selbst, sondern vor allem potentiell Bedrohlichen, Abweichenden, Fremden, das folgerichtig abgedrängt und ausgegrenzt wird. Dabei verlagert sich die kriminelle Energie mitunter, z.B. wenn Investoren in den USA Stadtviertel gezielt verkommen lassen, um sie dann zu vermarkten. Michael Zinganel zitiert dazu ein fiktives Interview aus einem Cartoon des amerikanischen Zeichners Don Trudeau. Dort sagt ein Investor:
Es funktioniert folgendermaßen: Ein Investor kauft ein verfallenes Haus in einem heruntergekommenen Viertel. Er renoviert es und verkauft es an ein junges Paar aus der Mittelschicht. Dieses ermutigt dann auch andere bessergestellte Leute, sich in der Nachbarschaft einzukaufen, und über kurz boomt der Imobilienmarkt auch dort, wo es vorher keinen gab.
Was passiert mit den einkommensschwachen Mietern, die verdrängt wurden, fragt der Interviewer, kümmert sich jemand um sie?
Wir kümmern uns selbst um sie. Denn diese Leute sind für den Gesamtprozess wichtig! Diese Leute ziehen dann ja weiter, um in einem anderen Stadtteil das Vermögen und die Grundstückspreise zu entwerten. Ohne ihre Hilfe würde das komplette System der Gentrification zusammenbrechen!
Seine Grundthesen dekliniert Michael Zinganel, eine modische Kategorisierung benutzend, von small bis x-large durch: von der Türkette über die Sicherung privater Wohnanlagen bis zu Zugangskontrollen in Großbauten und schließlich zur militärstrategischen Befestigung von Stadt und Infrastrukturen vor allem gegen die neueste Bedrohung, den Terror. In Actionfilmen wie zum Beispiel "Die Hard" werden die Szenarien aufgeblättert, die heute nicht mehr nur Fiktion sind.
Wie in "Die Hard" verfügen moderne Bürohochhäuser heute in der Regel über zentral verwaltete, computergesteuerte Zugangskontrollen, die mit Haustechnik, Videoüberwachung, Brandmeldern, Sprinkleranlagen, Einbruchsalarmanlagen und besonderen Schließsystemen gekoppelt sind. Alarmmeldungen jeglicher Art werden am Computer angezeigt und gegebenenfalls sofort und selbsttätig an Servicefirmen, Wachdienste, Polizei, Rettung oder Feuerwehr weitergeleitet. Die Benutzung der Lifte wird nur für Befugte und nur innerhalb ihres eingeschränkten Befugnisbereichs freigegeben: Die Wahlschalter für die Geschosse in der Liftkabine sind heute obsolet. Sie werden von einem Code oder einer Magnetkarte abgelöst, die Mitarbeiter völlig automatisiert und ausschließlich zu dem Geschoss führen, für das ihnen eine Zugangsberechtigung zugewiesen wurde.
Es könnte zum Gruseln sein. Aber das Problem dieser Darstellung ist, dass auch sie die Repräsentation von Realität mit Realität mitunter verwechselt. Michael Zinganels lange Reise durch die Welt der gebauten Abwehr ist untermalt von einem paranoiden Tonfall, dem sich die Inhalte unterzuordnen haben: ob feministische Planungstheorie, ob Hochhausgestaltung: alles läuft auf Fortifikation und Ausgrenzung hinaus. Alle sind Teil des Verschwörungsapparats. So legt er eine direkte Kausalitätsspur von der ersten Kritikerin der amerikanischen Städtekommerzialisierung, Jane Jacobs, über die Bewegung des New Urbanism zu den "gated communities", den abgeschotteten Stadtsimulationen wohlhabender Amerikaner. Jane Jacobs schrieb ihr Buch "Leben und Tod großer amerikanischer Städte" 1961, da kann man ihr nicht über 40 Jahre später die Forderung nach "sozialer Kontrolle" um die Ohren schlagen, einen Begriff, der, befreit von Hysterie, auch als Bürgersinn oder Solidarität erscheinen mag – wie Jane Jacobs ihn meinte. In bewusster Einseitigkeit argumentiert Zinganel so, als gäbe es keine Fortschritte des aufgeklärten Bewusstseins, keine Kritik, keine mit sich selbst diskutierende politische Korrektheit, keine Debatten mit und über die Randgruppen, die von Ordnungsinstitutionen und Immobilienmaklern en bloc als Kriminelle, Migranten, Deviante definiert werden. Zinganel kritisiert diese infamen Zuordnungen. Und übernimmt sie.
Man muss Abstand gewinnen von dieser paranoischen In-Szene-Setzung, um die verblüffende Sammlung von Fakten würdigen zu können, die schließlich doch einen neuen Blick auf die gebaute Umwelt verschaffen können. Denn wer weiß schon, dass britische Firmen nach dem Schock des 11. September begonnen haben, betont unauffällige Parallelarchitekturen bereitzuhalten, in denen ihre Mitarbeiter im Fall eines Terrorangriffs verschwinden und weiterarbeiten können.
Beatrix Novy über Michael Zinganel. "Real crime. Architektur, Stadt und Verbrechen" Der Band ist bei der Wiener "edition selene" erschienen, umfasst 360 Seiten und kostet 25 Euro.
Wollte man Anleitungen für einen sicheren Standort einer Wohnung und eines Eigenheims.ableiten, dann fällt ins Auge, dass gerade die Tendenz zum radikalen Rückzug in eine abgeschirmte vermeintliche "Privatheit" und der damit verbundene Zerfall der Nachbarschaftsbeziehungen und der gemeinsamen Verantwortung für den öffentlichen Raum auch den Einbrechern stark entgegenkommt. Die entlegene Villa im Grünen oder die Abschottung des Eigenheims von den Nachbarn durch eine mannshohe Tujenhecke stellen in diesem Kontext ein reales Sicherheitsrisiko dar. Einmal hinter einer solchen Hecke verschwunden, kann der Einbrecher sicher sein, ungestört seine Arbeit zu Ende bringen zu können.
Von Einbrechern lernen. Wer es täte, würde auf Alarmanlagen verzichten - denn gerade sie fachen Begehrlichkeiten an -, sich allenfalls einen Hund anschaffen und im Haus möglichst viel Leben wenigstens vortäuschen. Aber wem nützen schon einfache Lösungen. Stattdessen wächst ein weitgehend krisensicherer Wirtschaftszweig, tüftelt immer neue und bessere Sicherheitssysteme, Schlösser, Alarmanlagen aus und bedient diffuse Angst mit gezielten Szenarien – dies alles im sportlichen Wettkampf mit der Gegenseite, die nicht minder innovativ und mit den neuesten Einbruchswerkzeugen der Einbruchsverhinderungsindustrie immer eine Nasenlänge voraus ist. Kriminalität ist zweifellos eine Produktivkraft, wie Karl Marx kühl ausgeführt hat: Der Verbrecher, sagte Marx, produziert eben nicht nur Verbrechen, sondern auch das Kriminalrecht, den Professor, der Kriminalrecht liest, den Verleger, der die Literatur dazu druckt etc.etc.
Es gibt also durchaus ein Interesse an der Existenz des Verbrechens, und in der gegenseitigen Bedingtheit lagert sich über die realen Bedingungen ein Geflecht von Angst, Spekulation und Unsicherheit. Ein leitmotivischer Ort dieser Ängste, die von der Presse schon früh propagandistisch verstärkt wurden, war seit ihrer Entstehung die industrialisierte Großstadt. Die Realität des Verbrechens und die mediale Repräsentation dieser Realität stehen in einem verschwimmenden, austauschbaren Verhältnis, was erklärt, warum in statistisch besonders sicheren Ländern oder Städten die Angst besonders groß ist: nicht mehr nur vor dem Verbrechen selbst, sondern vor allem potentiell Bedrohlichen, Abweichenden, Fremden, das folgerichtig abgedrängt und ausgegrenzt wird. Dabei verlagert sich die kriminelle Energie mitunter, z.B. wenn Investoren in den USA Stadtviertel gezielt verkommen lassen, um sie dann zu vermarkten. Michael Zinganel zitiert dazu ein fiktives Interview aus einem Cartoon des amerikanischen Zeichners Don Trudeau. Dort sagt ein Investor:
Es funktioniert folgendermaßen: Ein Investor kauft ein verfallenes Haus in einem heruntergekommenen Viertel. Er renoviert es und verkauft es an ein junges Paar aus der Mittelschicht. Dieses ermutigt dann auch andere bessergestellte Leute, sich in der Nachbarschaft einzukaufen, und über kurz boomt der Imobilienmarkt auch dort, wo es vorher keinen gab.
Was passiert mit den einkommensschwachen Mietern, die verdrängt wurden, fragt der Interviewer, kümmert sich jemand um sie?
Wir kümmern uns selbst um sie. Denn diese Leute sind für den Gesamtprozess wichtig! Diese Leute ziehen dann ja weiter, um in einem anderen Stadtteil das Vermögen und die Grundstückspreise zu entwerten. Ohne ihre Hilfe würde das komplette System der Gentrification zusammenbrechen!
Seine Grundthesen dekliniert Michael Zinganel, eine modische Kategorisierung benutzend, von small bis x-large durch: von der Türkette über die Sicherung privater Wohnanlagen bis zu Zugangskontrollen in Großbauten und schließlich zur militärstrategischen Befestigung von Stadt und Infrastrukturen vor allem gegen die neueste Bedrohung, den Terror. In Actionfilmen wie zum Beispiel "Die Hard" werden die Szenarien aufgeblättert, die heute nicht mehr nur Fiktion sind.
Wie in "Die Hard" verfügen moderne Bürohochhäuser heute in der Regel über zentral verwaltete, computergesteuerte Zugangskontrollen, die mit Haustechnik, Videoüberwachung, Brandmeldern, Sprinkleranlagen, Einbruchsalarmanlagen und besonderen Schließsystemen gekoppelt sind. Alarmmeldungen jeglicher Art werden am Computer angezeigt und gegebenenfalls sofort und selbsttätig an Servicefirmen, Wachdienste, Polizei, Rettung oder Feuerwehr weitergeleitet. Die Benutzung der Lifte wird nur für Befugte und nur innerhalb ihres eingeschränkten Befugnisbereichs freigegeben: Die Wahlschalter für die Geschosse in der Liftkabine sind heute obsolet. Sie werden von einem Code oder einer Magnetkarte abgelöst, die Mitarbeiter völlig automatisiert und ausschließlich zu dem Geschoss führen, für das ihnen eine Zugangsberechtigung zugewiesen wurde.
Es könnte zum Gruseln sein. Aber das Problem dieser Darstellung ist, dass auch sie die Repräsentation von Realität mit Realität mitunter verwechselt. Michael Zinganels lange Reise durch die Welt der gebauten Abwehr ist untermalt von einem paranoiden Tonfall, dem sich die Inhalte unterzuordnen haben: ob feministische Planungstheorie, ob Hochhausgestaltung: alles läuft auf Fortifikation und Ausgrenzung hinaus. Alle sind Teil des Verschwörungsapparats. So legt er eine direkte Kausalitätsspur von der ersten Kritikerin der amerikanischen Städtekommerzialisierung, Jane Jacobs, über die Bewegung des New Urbanism zu den "gated communities", den abgeschotteten Stadtsimulationen wohlhabender Amerikaner. Jane Jacobs schrieb ihr Buch "Leben und Tod großer amerikanischer Städte" 1961, da kann man ihr nicht über 40 Jahre später die Forderung nach "sozialer Kontrolle" um die Ohren schlagen, einen Begriff, der, befreit von Hysterie, auch als Bürgersinn oder Solidarität erscheinen mag – wie Jane Jacobs ihn meinte. In bewusster Einseitigkeit argumentiert Zinganel so, als gäbe es keine Fortschritte des aufgeklärten Bewusstseins, keine Kritik, keine mit sich selbst diskutierende politische Korrektheit, keine Debatten mit und über die Randgruppen, die von Ordnungsinstitutionen und Immobilienmaklern en bloc als Kriminelle, Migranten, Deviante definiert werden. Zinganel kritisiert diese infamen Zuordnungen. Und übernimmt sie.
Man muss Abstand gewinnen von dieser paranoischen In-Szene-Setzung, um die verblüffende Sammlung von Fakten würdigen zu können, die schließlich doch einen neuen Blick auf die gebaute Umwelt verschaffen können. Denn wer weiß schon, dass britische Firmen nach dem Schock des 11. September begonnen haben, betont unauffällige Parallelarchitekturen bereitzuhalten, in denen ihre Mitarbeiter im Fall eines Terrorangriffs verschwinden und weiterarbeiten können.
Beatrix Novy über Michael Zinganel. "Real crime. Architektur, Stadt und Verbrechen" Der Band ist bei der Wiener "edition selene" erschienen, umfasst 360 Seiten und kostet 25 Euro.