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Michel Comte: People and Places with no name.; Sebastiao Salgado: Migranten.; Sebastiao Salgado: Kinder der Migration.

Zum Schluss heute noch ein paar Anmerkungen zu drei Photobänden, die im Steidl-Verlag und bei Zweitausendeins erschienen sind. "People and Places with no name, Namenlose Menschen und Orte", heißt ein 317 Seiten starker Band mit Photos von Michel Comte. Das Rote Kreuz hatte ihm Zugang zu allerhand Orten ermöglicht, an denen die Organisation häufig als einzige tätig sein darf. Es sind Orte des Kriegselends, des Sterbens, der Armut. Beim Durchblättern des 128 Mark teuren Buches wird man leider das Gefühl nicht los, hier schmücken sich Photograph und Verlag mit einer vermeintlich guten Tat. Aber worin besteht diese gute Tat, außer dass jede dritte Mark beim Kauf dem Roten Kreuz zugute kommen soll? Was soll uns dieser Band sagen? Dass Krieg schrecklich ist? Besonders ärgerlich an diesem Buch ist, dass die abgebildeten Menschen zu einer Art Staffage im Elendsszenario degradiert werden. Niemand nimmt sich die Zeit, ihnen eine Geschichte zu geben, ihnen selbst oder dem Ort, an dem sie ausharren müssen, wie es der Titel verspricht, tatsächlich einen Namen zu geben. In einer endlosen Reihe flüchtig festgehaltener Gesichter, Lazarettszenen und Trümmerhaufen erscheint der Schrecken der Kriege wie ein unabwendbares Schicksal. Wo schon nur die Bilder an ein recht abstraktes Mitleid appellieren, sagt uns nicht einmal ein Text, was es mit dem Abgebildeten eigentlich auf sich hat. Stattdessen meint der Verlag in seiner Werbung mitteilen zu müssen, dass dem Photographen Comte, nachdem er ein sterbendes Kind im Moment des Todes abgelichtet hatte, vor Erschütterung die Kamera aus der Hand gefallen sei. Wie man das nicht nur anders, sondern auch besser machen kann, zeigt der Verlag Zweitausendeins mit zwei neuen Photobänden des Brasilianers Sebastiao Salgado zum Thema Migration, ein Phänomen, das im übrigen nicht weniger gewalttätig ist als der Krieg. Die beiden Bücher haben nicht nur jeweils ein erklärendes Vorwort und weitere Erläuterungen, sie haben auch ein politisches Konzept. Im schmaleren der beiden Bände über die Kinder der Migration schreibt Salgado:

Karin Beindorff |
    Es zeigt nichts weiter als neunzig Kinder aus verschiedenen Teilen der Welt an einem bestimmten Tag in ihrem Leben. Sie sehen wunderschön, glücklich, stolz, nachdenklich oder traurig aus. Für einen flüchtigen Augenblick konnten sie sagen: "Ich bin."

    Dieses von Salgado in seinen Photos herausgearbeitete "Ich bin" beschreibt vielleicht den deutlichsten Unterschied zu den Bildern von Comte. Und dabei sind die Kinderbilder eigentlich nur ein Nebenprodukt der Arbeit. Salgado hat sie meistens gemacht, weil er die Kinder, die ihn ständig beim Photographieren belagerten, dazu bringen wollte, ihn wenigstens für eine Weile in Ruhe zu lassen. Der Hauptband Salgados' - "Migranten" - zeigt auf 431 Seiten Photos, die in vier Themenbereiche aufgeteilt wurden. Das erste Kapitel stellt den Überlebensinstinkt von Migranten und Flüchtlingen heraus, die drei weiteren behandeln die Entwurzelung und ihre Folgen auf unterschiedlichen Kontinenten: in Afrika, Asien und Lateinamerika. Alle Photos gehören aber zusammen und erzählen gemeinsam die Geschichte einer in Bewegung geratenen Menschheit, wie Salgado selbst schreibt. "Migranten" ist ein zugleich aufwühlendes und aufrührerisches Buch, weil es zu Urteilen zwingt und dem westlichen Betrachter nicht den gemütlichen Schauer erlaubt, das sei alles weit weg und habe mit seinem Leben nichts zu tun. Es ist die 'eine Welt', die Salgado zeigt, den Slum neben der Börse, die menschlichen Ähnlichkeiten, die exotistischen Regungen zuwiderlaufen. Nebenbei kann man auch einmal wieder lernen , dass wenige gute Photos oft viel eindringlicher und nachhaltiger wirken als zahllose Fernsehfilme. Dem mit einem ausführlichen, erklärenden Anhang ausgestatteten Buch "Migranten" ist ebenso wie dem dünneren Band "Kinder der Migration" große Verbreitung zu wünschen. Mit 99,-- und 35,-- Mark liegen die jeweiligen Preise dazu für Photobände bester Qualität extrem niedrig.