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Michelle David & The Gospel Sessions
Gospel-Rock für Gläubige und Ungläubige

Zwei Gitarren, ein Schlagzeug und die mitreißende Stimme der New Yorkerin Michelle David: Musik, die so klingt, als ob John Lee Hooker oder die White Stripes mit einer Gospelsängerin jammen. Mit zwei Alben und umwerfenden Live-Shows hat das Quartett The Gospel Sessions viele Fans begeistert.

Von Michael Frank | 17.12.2017
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    Die Gospel-Tradition hat Michelle David schon seit ihrer frühen Kindheit aufgesogen (Jonathan Hielkema)
    Diese Sendung finden Sie nach Ausstrahlung sieben Tage in unserer Mediathek.
    Michelle David: "My being here this long – it just happened." Geplant war es nicht. Aber Michelle David, aufgewachsen in New York, lebt nun in den Niederlanden.
    Musik: "Need Your Help"
    "Ich hatte eigentlich immer damit gerechnet, dass ich irgendwann einmal Musicals am Broadway in New York singen würde, oder irgendetwas zwischen Gospel und R'n'B." Der Gitarrist und Produzent Onno Smit ist einer der Musiker, mit denen Michelle David in den Niederlanden Songs schreibt. Oft sehr spontan: on the spot.
    Onno Smit: "Meistens haben wir ein Riff oder eine Akkordfolge und die spielen wir dann immer weiter, und wenn sich das gut anfühlt, arbeiten wir weiter an dem Song, und wenn nicht, dann lassen wir es und fangen etwas Neues an."
    Michelle David: "That's on the spot."
    Musik: "Need Your Help"
    Michelle David & The Gospel-Sessions mit "Need Your Help", dem Eröffnungstitel von ihrem Debutalbum aus dem Jahr 2015. Der Song klingt so, als ob sich John Lee Hooker oder die White Stripes zu einer Session mit einer Gospelsängerin getroffen hätten, um dem Teufel nicht die besten Songs zu überlassen. Wenige Akkorde genügen als harmonische Grundlage, und frenetisches Händeklatschen macht den Viertel-Groove der Bassdrum unwiderstehlich. Zwei Gitarren, ein Schlagzeug und die mitreißende Stimme von Michelle David genügen, um eine ganz eigene, minimalistische Alternative zu traditioneller Gospelmusik zu kreieren. Mit seinen zwei Alben und umwerfenden Live-Shows hat das Quartett seit 2015 in den Niederlanden und Belgien schon viele Fans begeistert.
    Musik in der Kindheit
    Michelle David wurde 1966 geboren und kam mit ihrer Mutter aus North Carolina nach New York. Die Gospel-Tradition hat Michelle David schon seit ihrer frühen Kindheit aufgesogen. Aber nicht nur diese Musik.
    "Ein Leben ohne Musik kenne ich gar nicht. Musik war bei uns allgegenwärtig – durch Freunde meiner Tante, die mich großgezogen hat, oder über Freunde meiner Mutter. Jeder hatte mit Musik zu tun. Klar, die Grundlage war Gospel-Musik. Das kam ganz natürlich. Du gehst in die Kirche,und die meisten Leute erfüllen in der Gemeinde irgendeine Aufgabe: als Platzanweiser in der Kirche, oder als Teil der Küchenbelegschaft. Mir blieb gar keine andere Wahl, ich war mit meiner Tante im Chor. Aber bei uns zuhause gab es nicht nur Gospel-Musik. Das Haus, in dem wir lebten, steht jetzt Gott sei Dank unter Denkmalschutz. Nat King Cole wohnte da, Noble Sissle, Moms Mabley kam zu Besuch, ich glaube, sie war eine Freundin meiner Tante. Aber ihre Platten durfte ich mir nicht anhören. Dafür war ich noch zu klein."
    Musik: "By And By"
    In ihrer Kindheit und Jugend bekam Michelle David zuhause alles Mögliche zwischen Calypso-Musik, Jazz, Rock, R'n'B und Hip Hop mit, und eine Orgel gab es zuhause auch.
    "Ich habe sogar ein paar Tage lang Klavierunterricht bekommen. Alles, was mit Musik zu tun hatte wurde bei uns zuhause unterstützt. Wenn Du bei uns abends um acht Uhr ins Wohnzimmer kamst, konnte es passieren, dass meine Tante und ich gerade den Lindy Hop tanzten. So was war ganz normal. Sie fand es wichtig, dass ich die Tänze von früher kannte. Was ich damals alles an Musik mitbekam, war einfach toll. Die Musik hat mir auch durch den Kummer und Ärger der Teenagerzeit geholfen. Ich habe mit 14 angefangen, selber Songs zu schreiben und vor mich hinzusingen, oder manchmal habe ich es wie meine Mutter gemacht: Ich habe eine Platte von Teddy Pendergrass aufgelegt und mir dabei die Seele aus dem Leib geheult. Ich habe Gospel-Musik also viel zu verdanken."
    Das erste Solo in der Kirche
    Zur Kirchengemeinde oder und dem Freundeskreis der Familie gehörte Anfang der 70er-Jahre auch ein unglaublich guter, heutzutage aber nur Insidern bekannter Gospel- und Soul-Sänger mit einer vier Oktaven-Stimme: Carl Hall. Er wählte für Michelle David ein ganz besonderes Lied aus, das sie bei ihrem ersten Solo-Auftritt in der Kirche singen sollte: "Tradewinds", komponiert von Ralph McDonald und William Salter.
    Dieser Song muss Michelle David besonders viel bedeuten – sie nahm ihn nämlich 45 Jahre später zusammen mit den Gospel-Sessions für ihr zweites Album auf. "Tradewinds" beschreibt die Welt in düsteren Farben: um sich herum sieht das Lyrische Ich in unglückliche Gesichter hinter unechtem Lächeln. Und Sünde, Schande, Hass und Eifersucht. So etwas wie Brüderlichkeit und Solidarität verschwindet. Liebe ist zwar die passende Antwort, aber darauf lassen sich nicht mehr allzu viele Leute ein. Der Song endet mit den Zeilen: "Die Entscheidung liegt ganz bei Dir. Wir sind Gefangene der Passatwinde unserer Zeit."
    "Tradewinds" war der Song, den ich bei meinem ersten Solo in der Kirche gesungen habe. Ich war damals fünf Jahre alt. Ich habe den Song zuerst von einer Kassette gehört - Roberta Flack hat ihn gesungen, ganz wundervoll. Und Carl Hall sagte mir, Du wirst "Tradewinds" singen. Ich habe auch verstanden, worum es in dem Song geht. Aber heute, als Erwachsener frage ich mich schon, warum sollte man ein Kind so ein tiefgründiges Lied singen lassen. Als sie dann anfingen, die Melodie zu spielen, hatte ich das Gefühl - mein Gott, ich habe die passenden Worte für die Melodie, egal, ob sie jetzt von mir sind oder nicht. Und als ich dann "Tradewinds" im Studio aufnahm, war ich wieder da, wo ich angefangen habe."
    Musik: "Tradewinds"
    Ausblildung als Tänzerin
    Der Alan-Parker-Film "Fame" beschreibt den Werdegang von Jugendlichen an der New Yorker High School für darstellende Künste. Inspiriert davon bewarb sich Michelle David im Alter von 13 oder 14 Jahren und lernte dort noch mehr Musik kennen, diesmal aus der Tradition des Ballets von Tschaikowsky & Co. Nach einem Pflichtjahr mit klassischem Ballett wählte sie den Studiengang moderner Tanz, weil es ihr im klassischen Ballett zu viele Regeln und Einschränkungen gab. Sie wollte in ihren Bewegungen freier sein. Heute sieht sie das als eine Fortführung, ihrer Art zu singen.
    Die dynamische Bühnenpräsenz der kleinen Person mit der sich auftürmenden Afro-Frisur dürfte auch hier ihre Wurzeln haben. Natürlich steckt auch eine Menge Gospel-Tradition und Soul-Showbusiness in den Gesten, mit denen sie Kontakt zum Publikum aufnimmt. Und dass ein Mikroständer nicht nur gerade und unbeweglich auf der Bühne stehen muss, haben vor ihr auch schon diverse Sängerinnen und Sänger entdeckt. Aber wer kann schon in engem Blickkontakt mit dem Publikum am Bühnenrand auf und ab stolzieren und gleichzeitig Tambourin im doppelten Beat spielen?
    Musik: "It's Gonna Be Alright"
    Michelle David zog sich eine Verletzung zu und sah mit 17 Jahren trotz abgeschlossenem Studium keine Perspektive mehr für sich als Tänzerin. Sie wechselte zur Medizin, wo sie acht Jahre als medizinisch-technische Assistentin arbeitete. Es gab aber auch Anzeichen dafür, dass es sie trotzdem zurück zur Bühne und Musik zog. 1992 bekam sie kurzfristig ein Angebot, bei einer Gospel-Musical-Tournee durch Japan mitzumachen. Nach zwei Monaten in Japan tourte sie mit einem Gospelchor vier Wochen durch Deutschland. Deutschland gefiel ihr so gut, dass sie kurz daran dachte, mit ihrem Mann nach Deutschland zu übersiedeln. Bis sie Holland entdeckte. Irgendetwas lag da in der Luft, das sie an New York erinnerte.
    Musik: "Can't No Grave"
    Willkommen in den Niederlanden
    Michelle David tourte 1994 das erste Mal durch die Niederlande. Die beiden Gitarristen Onno Smit und Paul Willemsen lernte sie allerdings erst viel später kennen – als beide in der Garage-Funk-Band Lefties Soul Connection aus Amsterdam spielten. Die Band war 2001 von Onno Smit und dem Organisten Alvin Bartels gegründet worden. Lefties Soul Connection erspielte sich zuerst mit fulminanten Live-Shows einen guten Ruf in der Retro-Soul-Szene. Schließlich wurde auch der einflussreiche englisches DJ Gilles Peterson auf die Band aufmerksam, und im Rockpalast des WDR trat die Band auch auf, im Jahr 2008.
    Onno Smit gehört mit Paul Willemsen zum Songschreiber-Team um Michelle David, die beiden haben auch die beiden Alben der Band produziert. Neben der Zusammenarbeit mit Michelle komponiert Onno Smit Musik für Werbeclips, Film und Fernsehen. Er wurde 1973 geboren, und hatte als Teenager andere Dinge im Kopf als Musik.
    "Ich habe erst spät angefangen, Musik zu machen, mit Anfang, Mitte 20. Vorher hatte ich nur Interesse an Sport. Ich habe mir dann eine Gitarre gekauft, und irgendwann merkte ich, dass ich kein technisch versierter Gitarrist werden würde, also habe ich mich darauf konzentriert, Songs zu schreiben. Während des Acid-Jazz-Booms war ich in einer Band mit dem Keyboarder Alvin Bartels, damals haben wir uns an der Band Jamiroquai orientiert. Das ging so etwa vier Jahre lang und dann gründeten wir die Band Lefties Soul Connection. Wir haben hauptsächlich Instrumentals gespielt und waren anfangs oft in Deutschland auf Tournee. Nach ungefähr eineinhalb Jahren bekamen wir in Holland einen Plattenvertrag und tourten dann auch hier. Irgendwann entdeckte Alvin Michelle bei einem Auftritt in Amsterdam und meinte, die ist unglaublich, wir müssen unbedingt mit ihr zusammenarbeiten. Sie kam dann zu einer Session in unser Studio, und das war es dann. Die nächsten fünf Jahre gingen wir dann mit Michelle auf Tournee."
    Musik: "U Got Me"
    Zusammenarbeit mit Onno Smit und Paul Willemsen
    Die holländische Band Lefties Soul Connection, so benannt nach dem hohen Anteil von Linkshändern in der Band. "U Got Me" ist einer von vier Songs auf dem Album "One Punch Pete"mit Michelle David als Gesangssolistin. Die Platte erschien im Jahr 2011. Etwa zwei Jahre danach luden Onno Smit und Paul Willemsen Michelle David zu einem besonderen Gospel-Projekt ein.
    Michelle David hatte aber zunächst deutliche Zweifel. Sie war in den vergangenen zehn Jahren in den Niederlanden mit dem Gesangstrio "Big, Black and Beautiful" und Cover-Versionen alter Soul-und Disco-Hits erfolgreich gewesen. Sie war gerade an einem Punkt, wo sie sich sagte, nein, Gospel-Musik ist nicht meine Berufung. Aber Onno Smit und Paul Willemsen waren so voller Leidenschaft für das Projekt, dass sie schließlich ihre Meinung änderte. Sie gewann bei der Zusammenarbeit eine ganz neue Wertschätzung für die Musik, mit der sie aufgewachsen war. Onno Smit hatte bis dahin andere Musik gespielt, aber die hat eine Menge Wurzeln im Gospel.
    "Paul und ich haben in unserem Leben hauptsächlich Rhythm'n'Blues und Soul-Musik gespielt, Paul steht auch auf old school Rock'n'Roll und die Beatles. Und besonders beim ersten Album haben wir auch versucht, uns ein wenig an der Musik aus West-Afrika zu orientieren, z. B. bei manchen Riffs oder mit pentatonischen Tonleitern. Wir wollten all diese Elemente miteinander verbinden, aber kein typisches Gospelalbum mit Hammond-Orgel und großem Chor machen. Anfangs wussten wir nicht, wie wir die Songs arrangieren und aufnehmen sollten, aber dann hat uns ein befreundeter Journalist das Album von Shirley Ann Lee gegeben, mit dem Song "There's A Light". Die Platte ist wirklich seltsam, so als ob das 14 Demos mit Klavier sind, und jemand spielt im Zimmer nebenan dazu Schlagzeug. Ganz eigenartig, untypisch für Gospel, aber cool. Als ich diese Platte hörte, wusste ich, wohin die Reise gehen sollte."
    Musik: "There's A Light"
    Shirley Ann Lee mit einem der Songs, die das Projekt von Michelle David & The Gospel-Sessions inspiriert haben. "There's A Light", aufgenommen Ende der 60er-Jahre. Das erste Album von Michelle David & The Gospel Sessions wurde im Jahr 2015 bewusst als eine minimalistische Alternative zu groß angelegten Gospel-Musicals und -Shows konzipiert. Das hatte unter anderem auch mit den Produktionsumständen in einem kleinen Aufnahmestudio zu tun.
    Onno Smit: "Ich kannte bis dahin nur die laute Michelle, hatte sie nur live auf der Bühne erlebt. Aber als siedann hier in dem kleinen Studio anfing zu singen, klang sie ganz anders: nicht so laut natürlich, und tiefer, irgendwie. Paul hat dann vorgeschlagen, diese besondere, stille Atmosphäre beim Songschreiben zu dokumentieren und die Songs gleich hier aufzunehmen. Deshalb haben wir bei der ersten Platte alles für sehr kleine Besetzung arrangiert.
    Michelle David: "Das erste Album sollte intimer klingen, und rückblickend fällt mir dazu ein altes Sprichwort aus meiner Kindheit ein. 'Du musst Dich in ein geheimes Kämmerchen zurückziehen, um mit Jesus zu reden.' Damit war gar nicht ein echtes Zimmer gemeint: Du musst Dich sammeln und in Dich gehen, um mit Jesus zu sprechen. Um den Vorstellungen von Onno und Paul zu entsprechen, musste ich bei den Aufnahmen zum ersten Album im Sitzen singen. Wenn ich singe, bin ich glücklich und enthusiastisch. Und manche Songs machen mich sehr glücklich. Und dann singe ich lauter und mit noch mehr Energie. Aber darum ging es beim ersten Album nicht. Ich musste mich beim Singen also etwas zurücknehmen, und eben dabei sitzen, anstatt im Stehen zu singen und einfach 100 oder 200 Prozent zu geben. Ich habe dabei gelernt, leiser zu singen, aber in dieser Stille sehr eindringlich zu sein."
    Musik: "I Want To Know"
    Der Schlagzeuger Toon Omen ist der dritte Musiker hinter Michelle David. Er ist zwar bisher nicht als Komponist oder Produzent beteiligt, aber seine bodenständigen, unaufgeregten Rhythmen sind fast ebenso charakteristisch für den Sound wie der Gesang von Michelle David. Nach dem Schlagzeug-Studium in Amsterdam ging er mit Anfang 30 für zwei Jahre nach New Orleans, um von Meistern des sogenannten "Second Line Drumming" zu lernen. Einem polyrhythmischen Schlagzeugstil, der seinen Ursprung in den Beerdigungsparaden in New Orleans hat.
    Komponieren im Team
    Wenn sich Michelle David mit ihren Mitmusikern zum Schreiben von Songs trifft, improvisieren die beiden Gitarristen meistens anfangs. Michelle David spürt eine besondere Chemie zwischen sich und ihren Songwriter-Kollegen Onno Smit und Paul Willemsen. "Wirklich jedes Mal, wenn sie einen Akkord spielen oder sowas, löst das in mir etwas aus. Und plötzlich fallen mir auch die passenden Worte dazu ein. Es ist ein tolles Gefühl, wenn Du Dinge aufschreiben und Songs singen kannst, die etwas mit dem zu tun haben, was Dich schon sehr lange beschäftigt hat. Vielleicht hast Du noch keinen gefunden, mit dem Du darüber sprechen kannst, oder vielleicht willst Du niemanden mit Deinen Gedanken belasten, aber trotzdem gibt es sie ja noch in Deinem Inneren. Und deshalb ist es so wunderbar, wenn Du öffentlich darüber singen und dich mitteilen kannst. Und vielleicht hat ja jemand dieselben Fragen wie Du, oder sogar Antworten auf Deine Fragen."
    Onno Smit: Hallelujah.
    Michelle David: Hallelujah. We need a talk show.
    Onno Smit: Yeah, yeah.
    Musik: "Where I'm Going"
    In einem Song vom Album Michelle David & The Gospel Sessions Volume Two tauchen die Begriffe "Soldat" und "Armee des Herren" auf". Der Song "Soldier" will aber nicht zu neuen Kreuzzügen anstiften, erklärt Michelle David. "Es gibt soviele Kämpfe, die gar nichts mit der physischen Welt zu tun haben – spirituelle Auseinandersetzungen, Kämpfe, die auf einer Gefühlsebene ausgetragen werden, und ich glaube, dass es Kräfte gibt, die versuchen, Dich dazu zu bringen, Dinge zu tun, bei denen Du Dich nicht wohlfühlst, die versuchen, Dich von Dingen abzubringen, die Du sonst immer positiv gesehen hast. Und gegen so etwas musst Du Dich total schützen, dann musst Du zum Soldaten werden und kämpfen, für Deine Gesundheit. Ich muss kämpfen, damit nicht ganz normale Lebensumstände so viel Macht über mich gewinnen, dass ich mir selbst etwas antue, oder etwas tun will, was gar nicht meinem Charakter entspricht, zum Beispiel jemanden zu verletzen. Ich kämpfe jeden Tag darum, mir selber treu zu bleiben, eigentlich sollten wir alle dafür kämpfen, ein positiver Mensch zu sein. Von diesem Soldaten handelt der Song. Es geht ganz bestimmt nicht darum, jemanden anderes zu bekämpfen, weil er einen anderen Glauben hat als ich. Hier geht es um einen inneren und spirituellen Kampf."
    Musik: "Soldier"
    "Soldier", ein Track von "Michelle David & The Gospel Sessions Volume Two", also dem zweiten Album des niederländisch-US-amerikanischen Projekts. War "Volume One" als Vorstellung des minimalistischen Gospel-Formats gedacht, entwickelte sich die zweite Platte zu einer Sammlung von Songs, die verschiedene Erfahrungen und Erlebnisse Michelle Davids spiegelten – ohne dass das ursprünglich geplant war. Den Song "Tradewinds" hatte sie erstmals als Fünfjährige in der Kirche gesungen, und zu "My Praise" hatte Onno Smit z.B. schon drei Viertel des Textes geschrieben, aber nachdem Michelle David dann die fehlenden Zeilen geschrieben hatte, merkte sie: der Song handelt ja von mir. Er war tatsächlich ihr persönliches Glaubensbekenntnis geworden. Ihre Herangehensweise an Soul- und Gospel-Musik ist eigentlich ein und dieselbe, meint Michelle David, sie behandelt alle Musik gleich: mit Ehrlichkeit und Leidenschaft. In weltlicher Musik ist mehr Fantasie im Spiel, man kann über etwas singen, was gar nicht passiert ist. Aber bei Gospel-Musik geht es für Michelle David darum, etwas genauso auszudrücken, wie es ist, worum es geht.
    "Es ist nicht mein Auftrag, irgendwen zu retten oder zu bekehren. Ich glaube, Gott hat dafür schon Menschen mit dieser Aufgabe auf die Erde gebracht. Ich will einfach nur meine Erfahrungen mithilfe von Musik ausdrücken und mit anderen teilen. Ich bin froh, dass man mich darum gebeten hat, bei diesem Projekt mitzumachen. Und aus diesem Projekt entsteht auch noch viel Neues: religiöse Menschen werden uns zuhören, und auch Leute ohne Glauben. Und an die wende ich mich. Ich glaube, mein Auftrag ist es, zu zeigen, dass diese Musik für alle da sein kann. Jeder kann etwas davon haben, Du musst nicht unbedingt ein Katholik oder Baptist sein, Du kannst einfach ein Mensch sein, der etwas Trost braucht. Und ich glaube dafür bin ich da. Und was die verschiedene Herangehensweise an weltliche und Gospel-Musik angeht: Ich muss fast ein bisschen über mich selber lachen (lacht) - alles, was ich singe, singe ich mit Leidenschaft, aber bei der einen Musik ist Fantasie im Spiel, und bei der anderen geht es um nichts als die Wahrheit."
    Für Michelle David kommt das größte Kompliment ausgerechnet von Atheisten. "Oft kommen Leute auf mich zu und lassen mich wisen, dass ich es ihnen sehr schwer mache, Atheisten zu sein. Und dann sage ich, Gott segne Euch. (lacht) So was ist großartig. Ich finde, Musik sollte ganz allgemein die Menschen zum Denken anregen, und unsere Musik wird die Leute dazubringen, ihren Glauben zu hinterfragen, oder ihren fehlenden Glauben. Aber auf eine eine positive Art und Weise, und nicht so, dass sich Deine Seele verdammt fühlt. Manche Leute spüren in der Kirche, dass man ihnen predigt, wenn Du Dich nicht so und so verhältst und mitmachst, kommst Du in die Hölle. Darum geht es überhaupt nicht. In so einem Fall sag ich dann: die Hölle ist genau hier auf Erden."
    Musik: "Carry On"
    Michelle David und Co schreiben gerade an den Songs für ihr drittes Album, das im Frühjahr 2018 erscheinen soll. Im neuen Jahr wird die Band auch wieder oft auf Tour sein, und diesmal wollen sie auch in Frankreich, England und Deutschland auftreten. Bei einem Festival-Auftritt in Leiden im Sommer 2017 verkündete Michelle David von der Bühne: "Das hier ist keine typische Gospel-Musik, wir sind funky, und wir können frech und sexy sein." Sie ist damit weit entfernt von jeglichem missionarischen Eifer. Aber sie spürt einen deutlichen Unterschied, wenn sie nach einem Konzert mit Gospel-Musik von der Bühne kommt.
    "Du kannst Dir irgendetwas aus unserer Musik nehmen und auf das beziehen, was Du gerade fühlst und denkst. Und wenn Du Dich deshalb dann auf die Suche machst nach etwas, dann ist das wunderbar, dann ist die Musik nicht nur zur Unterhaltung da. Ich kenne mich mit dieser Seite von Musik aus: man ist bloß ein Entertainer – ich bereite dir für zwei Sekunden Spaß, bringe Dich dazu, herumzuspringen und 'yeah' zu rufen. Das ist schon ganz nett, die Leute gehen heim und fühlen sich für kurze Zeit wohl, und ich verdiene mein Geld damit und gehe nach Hause. Aber was passiert danach? Mir gefällt es, wenn die Leute mehr mit nach Hause nehmen. Dann habe ich selber nämlich auch mehr davon. So etwas ist für beide Seiten ein Gewinn."
    Musik: "Baptized"