Allerdings wird Bill Gates Einfluss auf den Unternehmenskurs auch weiterhin maßgeblich sein: Als Vorsitzender des Verwaltungsrates, Leiter der strategischen Softwareentwicklung sowie Hauptaktionär kann Gates auch weiterhin den Konzern quasi aus dem Schatten heraus steuern. Andererseits bringt der taktische Stellungswechsel den angeschlagenen Magnaten aus der direkten Schusslinie des Kartellverfahrens und ermöglicht es ihm überdies, sich voll auf die Ausgabe zu konzentrieren, Microsofts zukünftiges Engagement auszurichten.
Besonderes Augenmerk richtet Gates dabei auf das Geschäftsfeld des sogenannten "Application Hosting": Bei dieser Technologie werden Anwendungsprogramme nicht auf dem heimischen oder Firmenrechner installiert sein, sondern direkt von speziellen Anbietern aus dem Internet bezogen. Hauptvorteil: Einerseits können die angeschlossenen Computer auf kostspielige Hardware, wie großvolumige Festplatten und hochgezüchtete Prozessoren, verzichten, zum anderen können auch hochspezialisierte Endgeräte derartige Dienste in Anspruch nehmen. Die Entwicklung einer "Application Hosting"-Lösung durch Microsoft kommt allerdings spät, denn Konkurrent "Sun Microsystems" besitzt auf dem Sektor einen beträchtlichen Vorsprung.
Steve Ballmer sieht sich der zukünftigen Herausforderung gewachsen: "Uns stehen rasante Änderungen bevor: Ernstzunehmende Konkurrenten, wie etwa Sun, IBM, Oracle, Linux, AOL Time Warner sowie Tausende neuer Internet-Startups machen klar, dass die Zeit reif ist für einen Wechsel." Gleichzeitig bemühte sich Gates, den Wachwechsel bei Microsoft als logische Konsequenz der Konzernstrategie in den vergangenen Monaten darzustellen: "Während der vergangenen 18 Monate haben wir eine Reihe von Veränderungen vorgenommen. Wir haben Leute zusammengebracht, die wirklich als Team eine neue Strategie formuliert haben." Ziel sei der Entwurf eines Windows-Nachfolgers namens "NGWS", der von jedermann nach Bedarf über das Internet bezogen werden könne.
Inwiefern Gates Rücktritt in die zweite Reihe den laufenden Kartellrechtsprozess beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Eine außergerichtliche Einigung, die vor wenigen Wochen in Chicago noch möglich gewesen wäre, scheint inzwischen nahezu ausgeschlossen.