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Microsoft auf der Suche nach seiner Zukunft

Bill Gates, allmächtiger Kopf des Branchenführers Microsoft, sorgte in der vergangenen Woche einmal mehr für Aufsehen: Zum 27. Januar 2000 gibt er seinen Posten als Chief Executive Officer (CEO) von Microsoft auf. Als Chefarchitekt für Software möchte sich der in letzter Zeit stark in Bedrängnis geratene Manager wieder verstärkt technologischen Fragen widmen. Gates langjähriger Weggefährte Steve Ballmer, bislang als Präsident für das Tagesgeschäft zuständig, soll als Nachfolger die Stellung als CEO übernehmen. Insider der Branche vermuten, dass es sich bei der überraschenden Bekanntgabe eher um einen geschickten taktischen Winkelzug als um einen resignierenden Rückzug von Gates handelt.

Peter Welchering, Manfred Kloiber, Steve Ballmer, Bill Gates |
    Trotz aller Verblüffung in der Branche kam Gates Ankündigung nicht völlig unerwartet, ließ der Microsoft-Chef doch bereits Ende November in einem Gespräch gegenüber Reportern des "Forbes"-Magazins durchblicken, dass er nur mehr wenig Lust an seiner derzeitigen Tätigkeit habe. Hauptgrund sei das schlechte Image, das in Medien und Öffentlichkeit über seine Person aufgebaut worden sei. Die Folge der Veröffentlichung des "Forbes"- Interviews war erneuter, wenig rücksichtsvoller Spott und Hohn angesichts dieses schwachen Auftretens. US-Justizministerin Janet Reno nutzte die Stimmung gegen Microsoft und Gates und überraschte die Konzernleitung mit aggressiven Attacken im Kartellrechtsprozess. Selbst Bill Neukom, Microsofts juristischer Beistand in dem Verfahren, äußerte anlässlich einer Sitzung des Verwaltungsrat offen, dass ein Rückzug von Gates vom Amt des CEOs positive Auswirkungen auf die öffentliche Meinung und damit auf den Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung haben könnte.

    Allerdings wird Bill Gates Einfluss auf den Unternehmenskurs auch weiterhin maßgeblich sein: Als Vorsitzender des Verwaltungsrates, Leiter der strategischen Softwareentwicklung sowie Hauptaktionär kann Gates auch weiterhin den Konzern quasi aus dem Schatten heraus steuern. Andererseits bringt der taktische Stellungswechsel den angeschlagenen Magnaten aus der direkten Schusslinie des Kartellverfahrens und ermöglicht es ihm überdies, sich voll auf die Ausgabe zu konzentrieren, Microsofts zukünftiges Engagement auszurichten.

    Besonderes Augenmerk richtet Gates dabei auf das Geschäftsfeld des sogenannten "Application Hosting": Bei dieser Technologie werden Anwendungsprogramme nicht auf dem heimischen oder Firmenrechner installiert sein, sondern direkt von speziellen Anbietern aus dem Internet bezogen. Hauptvorteil: Einerseits können die angeschlossenen Computer auf kostspielige Hardware, wie großvolumige Festplatten und hochgezüchtete Prozessoren, verzichten, zum anderen können auch hochspezialisierte Endgeräte derartige Dienste in Anspruch nehmen. Die Entwicklung einer "Application Hosting"-Lösung durch Microsoft kommt allerdings spät, denn Konkurrent "Sun Microsystems" besitzt auf dem Sektor einen beträchtlichen Vorsprung.

    Steve Ballmer sieht sich der zukünftigen Herausforderung gewachsen: "Uns stehen rasante Änderungen bevor: Ernstzunehmende Konkurrenten, wie etwa Sun, IBM, Oracle, Linux, AOL Time Warner sowie Tausende neuer Internet-Startups machen klar, dass die Zeit reif ist für einen Wechsel." Gleichzeitig bemühte sich Gates, den Wachwechsel bei Microsoft als logische Konsequenz der Konzernstrategie in den vergangenen Monaten darzustellen: "Während der vergangenen 18 Monate haben wir eine Reihe von Veränderungen vorgenommen. Wir haben Leute zusammengebracht, die wirklich als Team eine neue Strategie formuliert haben." Ziel sei der Entwurf eines Windows-Nachfolgers namens "NGWS", der von jedermann nach Bedarf über das Internet bezogen werden könne.

    Inwiefern Gates Rücktritt in die zweite Reihe den laufenden Kartellrechtsprozess beeinflussen wird, bleibt abzuwarten. Eine außergerichtliche Einigung, die vor wenigen Wochen in Chicago noch möglich gewesen wäre, scheint inzwischen nahezu ausgeschlossen.