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Miesmuschelzucht auf hoher See

Meeresforschung. - Der Betrieb von Aquakulturen im flachen Seewasser vor den deutschen Küsten ist kein einfaches Geschäft: Zu heftig sind die Strömungen und außerdem liegen große Gebiete in Nationalparks. Warum also nicht aufs Meer hinausgehen, dachte sich der Biologe Bela Buck vom Bremerhavener Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Er hat untersucht, ob die Zucht von Muscheln oder Algen in Off-Shore-Windparks möglich ist.

Von Folkert Lenz |
    Noch sind die Mega-Windparks auf hoher See Zukunftsmusik. Doch schon in wenigen Jahren dürften sich an mehreren Stellen in der Deutschen Bucht Hunderte von Propellern drehen. Die Flächen zwischen den Rotoren werden für die Schifffahrt gesperrt sein, damit keine Unfälle passieren. Doch sie ließen sich für die Zucht von Meeresfrüchten nutzen, so die Idee des Bremerhavener Biologen Bela Buck. Der Forscher am Alfred-Wegener-Institut will lange Leinen zwischen den Fundamenten der Propellermasten verspannen – und so Algen und Muscheln anlocken.

    "Das kann man sich so vorstellen, dass man an diesen Gründungstrukturen dort ein Seil dranhängt und das Seil verspannt wird zum nächsten Pylon. Das ist untergetaucht, fünf Meter unter der Wasserlinie. Damit wir die geballte Kraft der Wellen nicht abkriegen, sondern ein bisschen geschützt sind. Und zum anderen dient es auch dazu, dass die Wartungsschiffe, die durch die Windparks fahren, nicht behindert werden."

    Vor allem Miesmuscheln hat der 37-jährige Bela Buck bei seinen Planungen für Off-Shore-Aquakulturen ins Visier genommen. Die jungen Muschellarven suchen während des Wachstums knapp sechs Wochen lang einen Untergrund, auf dem sie sich ansiedeln - sprich festkrallen - können. Wie ein Spinnennetz sehen die Konstruktionen von Buck zwischen den Propellerpylonen aus. Von jedem Seil hängen weitere Taue in die Tiefe hinab – ähnlich einer Gardine. Die Oberflächen der Leinen müssen nur rau genug sein, damit sich die Muscheln dort auch wohl fühlen, sagt der frisch gebackene Biologie-Doktor:

    "Es gibt Polypropylen. Es gibt Polyethylen, Hanf oder Kokos. Ganz normale, einfache Seile. Das kann zwischen einem Zentimeter und 3,2 Zentimeter stark sein. Und hat dann aber noch fransige Strukturen dran. Das können lamellenartige Lappen sein. Das können aber auch verfranste, aufgetüddelte Kardeele eines Seiles sein. Hauptsache, die Oberfläche ist groß und bietet Ansiedlungspotenzial."

    Erste Praxisversuche hat Buck in einem Testgebiet in der Außenweser gemacht – mit Erfolg. Zwischen zwei Experimentierpfählen hat er die Langleinen unter Wasser verspannt. Nach ein paar Monaten waren die Seile oberschenkeldick mit Miesmuscheln bewachsen. Die Larven hatten sich beim Treiben einfach daran festgesetzt.

    Auch manche Algen scheinen die Seile zu interessieren, hat Buck beobachtet. Der Zuckertang zum Beispiel – eine Braunalge – kommt sonst allein rund um Helgoland vor, weil er nur dort in der Nordsee einen felsigen Sockel zum Festkrallen findet. Wenn man dem Zuckertang aber die Leinen schmackhaft macht, dann lässt er sich auch darauf nieder. Das verlangt zuvor einen kleinen Trick im Labor.

    "Eine Suspension von Sporen kann man in ein Becken geben, das man mit Seilen total auskleidet. Und diese Sporen – ähnlich wie die Miesmuschel – wollen sich ganz gerne ansiedeln. Das Erste, was sie machen: Sie gehen nicht ins Längenwachstum, sondern sie bilden eine Haftkralle aus. Die gehen also sofort in das Seil rein. Dann muss man da ein bisschen Strömung draufsetzen, damit die sich an diese harschen Bedingungen schon gewöhnen. Und dann kann man das Seil nehmen, in die Länge ziehen und aufhängen."

    Das passiert an einer ringförmigen Unterwasserkonstruktion, die an den Windradmasten befestigt wird. Mit dem patentierten System hat der Bremerhavener Biologe aus den mikroskopisch kleinen Pflänzchen in einem halben Jahr schon zwei Meter lange Algen gezüchtet. Der Zuckertang findet Verwendung in Arzneien, Textilfarben und Rasierschaum oder dient als Dickungsmittel in Sahne.

    Wirtschaftlich – so glaubt Buck – lohnt sich der Betrieb von Off-Shore-Aquakulturen allemal. Fünf Kilogramm Miesmuscheln habe er pro Meter Leine ernten können, das würde einen Ertrag von 20 Tonnen pro Hektar ermöglichen, so Bucks Hochrechnung. Und das ist mehr als eine vergleichbare Ernte auf den Muschelbänken direkt vor der Nordseeküste.

    "Das hängt damit zusammen, dass die zum einen auf dem Sand liegen, auf dem Boden. Dort haben wir viel Sedimentfracht, mehr Räuber, wir haben mehr Material, das in der Wassersäule bewegt wird. Dagegen muss sich die Miesmuschel schützen und bildet eine dickere Schale aus. Das braucht die Muschel, die in der Wassersäule hängt, nicht. Und deswegen kann die schneller ins Längenwachstum gehen."

    Die Bremerhavener Forschungen zur Off-Shore-Zucht von Meerestieren sind schon in Japan, Kanada und Island auf Interesse gestoßen. Eine Realisierung von Aquakulturen in der Nordsee dürfte dagegen noch etwas dauern. Denn die Windparks, an denen die Zuchtleinen festgebunden werden sollen, müssen erst noch gebaut werden.