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Migranten machen Schule

Ein Drittel aller Schüler, aber nur ein Prozent der Lehrkräfte in Deutschland haben einen Migrationshintergrund. An dieser Schieflage setzt ein neues Projekt der gemeinnützigen Hertie-Stiftung an: "Horizonte" fördert engagierte Lehramtsstudenten mit Migrationshintergrund - finanziell, aber auch durch Seminare und Weiterbildungen.

Von Dana Sindermann | 30.01.2009
    "Für mich ist es wirklich so ein Bildungsstipendium. Ich möchte einfach die Chance haben, wirklich gezielt und engagiert mit Leuten, die wirklich arbeiten wollen, was zu schaffen."

    Martin Guiljamov beginnt im Februar sein Referendariat an einer Berliner Schule. Als Referendar erhält er von der Hertie-Stiftung ein Fördergeld von 1000 Euro jährlich. Studierende Stipendiaten werden mit 650 Euro monatlich unterstützt. Martin ist 26 Jahre alt, kam in Moskau zur Welt und ist in Berlin aufgewachsen. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Usbeke. Damit erfüllt er die Voraussetzungen für das Horizonte-Programm: Der Stipendiat oder ein Teil seiner Eltern müssen außerhalb Deutschlands geboren und später nach Deutschland eingewandert sein. Die ausländischen Wurzeln sieht man Martin an. Von ihnen hat er als Mitarbeiter von interkulturellen sozialen Projekten bereits oft profitiert.

    "Allein dadurch, dass ich anders aussehe, als ein normal Deutscher, hab ich zu Schülern, die sonst teilweise als Problemfälle bezeichnet werden, schon einen direkten Draht. Und das ist eine Chance. Die sollte man nutzen."

    Wofür genau die Stipendiaten sich engagieren, wählen sie selbst. Im Anschluss an die heutige Auftaktveranstaltung findet ein Seminar statt, in dem die Teilnehmer ihre langfristigen Ziele ausmachen. Die 21-jährige Delilah, deren Vater aus Ghana stammt, hat bereits eine Vorstellung.

    "Ich würde mich schon gerne für die Chancengleichheit in Deutschland einsetzen, weil ich seit einigen Jahren das Schulsystem schon nicht so gelungen finden, sagen wir es mal so, und ich fänd es schon wichtig, dass sich dort etas ändert, gerade für Schüler mit Migrationshintergrund."

    Solch anspruchsvollen Ziele nähern sich die Stipendiaten in kleinen Etappen. An erster Stelle steht dabei die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit. Dazu bietet das Programm die Möglichkeit, in Seminaren, Workshops und Sommerschulen die individuellen Anlagen zu entfalten. Nora Boutawi, halb Algerierin, ist seit dem Sommersemester 2008 Stipendiatin des hessischen Horizonte-Programms. Sie hat sich in dem reichen Angebot bereits orientiert.

    "Ich werd ein Praktikum in einem anderen Bereich machen, als dem Lehramtsbereich. Ich hab noch einen Sprachkurs in Frankreich gemacht. Das waren so ganz persönlich von mir gewählte Dinge. Andere haben Theaterworkshops im Sinn gehabt, vielleicht auch Stressmanagementseminare. Es sind auch so ganz individuelle Dinge, die jeder von uns für sich gewählt hat."

    Über ihre Erlebnisse und Pläne tauschen sich die Stipendiaten regelmäßig aus. Einmal monatlich treffen sie sich gemeinsam mit einem Tutor, der in Migrationsprojekten erfahren ist. Kontakte knüpfen, in lockerer Atmosphäre Erfahrungen austauschen, diskutieren - klar wird bei solchen Treffen jede Menge kreative Energie freigesetzt und es entstehen Ideen für neue Projekte. Bei deren Umsetzung können die Stipendiaten mit der Unterstützung durch die Hertie-Stiftung rechnen.
    "Wir haben auch schon mal unseren Tutor kennengelernt und der hat auch seine Finger in vielen Projekten mit Menschen mit Migrationshintergrund. Das heißt, wir können auch da immer wieder anknüpfen und sagen, ja Mensch, das Thema interessiert uns, können wir da nicht mal was organisieren, um uns da auch was genauer anzugucken? Können wir nicht mal sehen, wie wirklich so eine Schule mit 90 Prozent Migrationshintergrund - was die wirklich für Probleme hat und was es da eigentlich für Lösungen gibt?"

    Während es im Studium meist an Praxisbezug mangelt, bietet das Programm die Möglichkeit, eine Brücke zwischen Wissenschaft und Schulpraxis zu schlagen. Für den Umgang mit Schülern, die einen Migrationshintergrund haben, sind die eigenen fremden Wurzeln vorteilhaft.

    "" Ich denke schon, dass wir für die Schüler ein Vorbild sind, einfach indem wir sowieso als Lehrkräfte eine natürliche Vorbildfunktion für Schüler haben und dann gerade auch dadurch, dass wir unsere Migrationserfahrung einbringen können, dass die Schüler sich besser verstanden durch uns fühlen. Man kann natürlich nicht sagen, dass das andere Lehrer nicht könnten, aber wir selber haben da einfach ganz andere Erfahrungen gemacht.""

    Auch wenn die ausländischen Wurzeln mit manch Problemen verbunden sind - heute schätzen die Stipendiaten es, zwei Kulturen in sich zu vereinen. Für ein gelungenes interkulturelles Miteinander werden sie sich auch in den kommenden zwei Jahren in ihren Städten einsetzen.