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Migrantinnen zwischen Heimat und Fremde

In ihrem aktuellen Theaterprojekt haben die Regisseurin Eos Schopohl und ihre Truppe "Fisch&Plastik" zwei Theaterstücke zusammengespannt. "Koppstoff" von Feridun Zaimoglu, in dem er nach "Kanaksprak" junge Türkinnen der zweiten und dritten Generation zu Wort kommen lässt, und "Susn" von Herbert Achternbusch, ein Buch aus dem Jahr 1979, das von der "Landflucht" eines bayerischen Mädchens aus der Provinz handelt. Es geht also um Integration und Leitkultur, um Heimat und Fremde.

Von Rosemarie Bölts |
    Die Goethestraße ist fest in türkischer Hand. Jede Menge Supermärkte, Cafés, Spielsalons, Internet-Cafés, aufgemotzte Autos. Und gegenüber die "Derby-Bar", das Hotel "Schweiz", das italienische Reisebüro. Draußen treibt die Männerwelt, drinnen spielt sich das Leben der Frauen ab. Auf begrenztem Raum, mit zugeklebten Fenstern, eng:

    "Es gibt immer wieder Momente, wo Sie stehen müssen, oder jüngere Leute können sich auf den Boden setzen. Das war der Kompromiss, den wir eingehen mussten, weil wir nicht für so viele Platz haben."

    Treffender hätte Regisseurin Eos Schopohl sich den Spielort für ihre Aufführung von "Koppstoff/Susn" nicht ausdenken können als hier, im ersten Stock eines leer stehenden Geschäftshauses aus den siebziger Jahren, mitten im Ausländerviertel der bairischen Metropole. Außen die glatte Fassade mit der monotonen Regelmäßigkeit Guckkastengroßer Fenster, innen vier leere, kahle Räume, in denen die Biografien türkischer und deutscher Frauen, allesamt Migrantinnen zwischen Heimat und Fremde, ablaufen. Vier Generationen in fünf Szenen, immer im Doppelpack dieses Doppelstücks, obwohl sie sich nie berühren, sich nie treffen werden, die blonde Deutsche und die dunkelhaarige Türkin, egal, in welchem Alter, in welcher Szene. Sie bilden immer Parallelwelten, und haben doch viel gemeinsam:

    "Ich bin blind verheiratet worden - wenn ich älter werde, ist meine Blüte vorbei – ich war 17 Jahre alt und hatte von nichts eine Ahnung. Ich konnte meinen Mann nicht anschauen. - Ich hab viel geweint in der Hochzeitsnacht, sehr viel – Weinen bringt nichts, deshalb hat Gott Frauen das Weinen gegeben, sie haben sonst nichts."

    Kennen wir das nicht? Das Aufbegehren wollen gegen Konventionen und Tradition? Unabhängig werden wollen vom Mann? Ein eigenes Leben leben wollen? Und trotzdem nie dem Anspruch gerecht werden, soviel die Frauen sich auch bemühen? Zwischen Herbert Achternbuschs Monolog der "Susn" und Feridum Zaimoglus Kanaksprachigen Protokollen in "Koppstoff" liegen zwanzig Jahre. Verrückte Zeiten, und überall Widersprüche. Aber durch das geniale, dramaturgische Reißverschlußprinzip aus beiden Stücken ergibt sich eine frappante Ähnlichkeit dieser scheinbar vollkommen fremden Lebenswelten in einander angeblich so fremden Kulturen:

    "Ich wer mal offen reden. Sie halten sich ja für die größten, wenn sie mal über ihre " Ottos" denken, weil das steht in den Statistiken – Du willst mich nur beherrschen – Die Frauen sollen sich immer beherrschen, heißt es – Du hast einen Putzlumpen aus mir gemacht – Ein türkisches Sprichwort sagt, eine Frau hat neun Begierden und kann sie alle beherrschen – Willenloses Arbeitstier - Ein Mann hat eine Begehr und kann sie nicht beherrschen –Gnade und auf Befreiung hoffen - So sind wir erzogen worden – Ich tu es vielleicht irgendwann gewährn – Und, - wenn du eine andere hast – hat er etwa eine Medaille bekommen? Nein, höchstens einen Tritt in den Arsch!"

    Und wieder zieht das Publikum in den nächsten Raum mit. Bewegung ist immer, nur kommen die Frauen symbolisch nicht vom Fleck. Nackte Glühbirnen, blitzsaubere Kloschüsseln in Reih und Glied. Die alt gewordene, hagere Necla in Kittelschürze und Kopftuch putzt, was die Mittel hergeben – und Susn, ebenso alt, aber breit geworden, hockt auf dem öffentlichen Klo und trinkt heimlich einen Flachmann nach dem anderen aus. Ein deprimierendes Bild, das in der letzten Szene durch die türkische Frauenrunde konterkariert wird. Aber sie bleiben unter sich, und die Frage stellt sich: wie kommen sie zueinander, die deutschen und die türkischen Frauen? Der Reiz dieser Aufführung liegt eindeutig in ihrer Konzeption und dem authentischen Spielort. Auch das Spiel mit der Typologie der Schauspielerinnen – die türkische Sportskanone, das deutsche, putzende Muttchen – ist geglückt. Richtig spannend hätte es werden können, wenn sie in Kontakt gekommen wären. So blieb es ein interessantes Lehrstück. Trotzdem: am Ende viel Beifall auf kleinstem Raum.