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Migration, neue Grenzen, grenzüberschreitende Lebenswelten im Film

Globale Wanderungsbewegungen werden auch für das Kino immer wichtiger, das zeigt sich nicht erst seit dem Berlinale-Erfolg von Michael Winterbottoms Flüchtlingsdrama "In this World". Das Festival "Europe in Motion" in Berlin versammelt nun kleine, aber eindringliche Filme, die solche heutige Realitäten abbilden. Der Filmemacher Tuncay Kulaoglu ist einer der Organisatoren des Festival:

Von Holger Zimmer |
    Dass die Filmkunst bestimmten gesellschaftlichen Diskursen voraus ist und in der Lage ist, neue Phänomene neue Perspektiven umzusetzen, auf die Leinwand zu bringen, bevor die Politik reagieren kann und bevor akademische Diskurse entstehen.

    "Europa in Bewegung" - für nicht wenige bedeutet dies gefährliche Wege durch ein Niemandsland zwischen den Grenzen. Der slowenische Film "Ersatzteile" zeigt die dunkle Seite dieser Transiträume. Die Menschen mit ihrer Hoffnung auf ein besseres Leben im scheinbar glücklichen Europa sind skrupellosen Schleusern ausgesetzt und gelten nur noch als "Ersatzteile". Neben dokumentarischen oder fiktionalen Schilderungen solch brutaler Realitäten bildete sich in den letzten Jahren auch das Genre der europäischen Road-Movies heraus: Filme, die Grenzen überschreiten und Sprachen vermischen. Doch im Gegensatz zu amerikanischen Pendants gibt es hier keine Autojagden mit quietschenden Reifen, sondern ruhige poetische Momente.

    So etwa im Film "Donau", wenn ein altes Schiff von Wien aus durch das ehemalige Jugoslawien bis zum Schwarzen Meer zu schweben scheint - Augenblicke, die Europa als einen Raum begreifbar machen, der über die Grenzen der Nationalstaaten hinausgeht, denn die Bewegungen der Menschen hinterlassen Spuren.

    In den Städten Europas treffen Kulturen aufeinander und in den Bezirken der Einwanderer entstehen neue Sprachformen. Viele Filme des Festivals beschreiben diese Spuren in der Straßenkunst des Graffiti und des Hiphop.

    Egal ob in Süd-London oder in Berlin-Kreuzberg, die Protagonisten versuchen, eine eigene Identität zu entwickeln und benutzen Musik als verbindende Klammer. Die Ästhetik dieser Filme ist oft roh, direkt und benutzt ungeschliffene Sprachfetzen.

    So wie den Filmhelden geht es auch den Regisseuren: Die eigene Sprache finden, das ist die Herausforderung für die Filmemacher, die oft in ihrer eigenen Biografie mit Entwurzelung und dem Wandern zwischen verschiedenen Kulturen zu kämpfen haben. Und gerade Deutsch-Türkische Filmemacher wie Ayse Polat und Fatih Akin erzählen mit einer immer größeren Selbstverständlichkeit Geschichten über die eigenen Visionen, ohne die bekannte Gastarbeiterproblematik wieder aufzuwärmen. Tuncay Kulaoglu:

    Das beste Beispiel ist Neco Celiks "Urban Guerillas" , der in Kreuzberg spielt. In "Urban Guerillas" zeigt der Regisseur auch einen Mikrokosmos: Hiphopper, DJs. Aber nicht nur wenn man in Kreuzberg ist, hat man dieses Klischee von Türken. Dieser Film zeigt diese Subkultur auf eine Art und Weise, wo die die Ethnizität keine Rolle mehr spielt. Die jungen Menschen werden über die Kultur, die sie pflegen definiert. Nationale Zugehörigkeit wird unterlaufen, das ist total unwichtig, ethnische Herkunft spielt keine Rolle oder das Land aus dem die Eltern gekommen sind.

    Doch noch allzu oft werden solche Filme mit der engen Meßlatte eines falsch verstandenen Integrationsbegriffs gewertet. Es wird Zeit, dass Kultur von Migranten selbst als mögliche "Leitkultur" wahrgenommen wird. Der goldene Bär für Akins "Gegen die Wand" und ein Festival wie "Europe in Motion" sind Schritte in die richtige Richtung.