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Migration und Krankheit

Medizin. - Die Verbreitung von Infektionskrankheiten unter Migranten steht im Mittelpunkt einer internationalen Tagung am Robert-Koch-Institut. Migranten sind überdurchschnittlich empfindlich für Infektionen, daher sind spezille Aufklärungsangebote nach Ansicht von Epidemiologen wichtig. Der Wissenschaftsjournalist Volkart Wildermuth erläutert die Problematik im Gespräch mit Monika Seynsche.

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Monika Seynche |
    Seynsche: Menschen reisen um die Welt, und zwar reisen immer mehr Menschen an immer mehr Orte. Mit ihnen reisen manchmal Krankheiten. Früher wurden die Einwanderer meist aus dem Süden verdächtigt, die Pest mitgebracht zu haben. Heute werden sie verdächtigt, Aids und Tuberkulose mitzubringen. Welchen Zusammenhang es wirklich zwischen Migration und Krankheit gibt, das wird heute auf der Europäischen Tagung zur Angewandten Infektionsepidemiologe in Berlin diskutiert. Volkart Wildermuth war für uns dort. Herr Wildermuth, stimmt es, dass Migranten im Durchschnitt kränker sind als Alteingesessene?

    Wildermuth: Nein, also so einfach ist die Sache nicht: Die Migranten sind ja keine einheitliche Gruppe, die haben ganz verschiedene Hintergründe. Innerhalb der EU ist es sowieso so, dass die meisten Migranten aus anderen EU-Ländern stammen. Also es ist durchaus möglich oder nötig, dass dabei auch Krankheiten mitgebracht werden. Bei Anthroposophen gab es dieses Jahr zum Beispiel die Masern, die wurden von der Schweiz nach Österreich und von da weiter nach Deutschland und Norwegen weitergereicht. Es ist auch so, dass Tuberkulosekranke von den baltischen Staaten nach Westen wandern. Aber natürlich kommen auch viele Menschen aus Afrika, aus Asien, Ländern, in denen HIV und Tuberkulose viel verbreiteter sind als bei uns. Kein Zufall: Die Armut ist die Ursache der Migration und dieser Krankheiten. Aber es ist auch so: Migranten, die es tatsächlich bis nach Europa schaffen, die sind meist jung und meist relativ gesund, also so groß ist das Problem dann auch wieder nicht.

    Seynsche: Sie haben gerade die Tuberkulose schon angesprochen: Wie sieht denn da die Situation aus?

    Wildermuth: Man muss sagen, die Tuberkulose ist in Europa im Allgemeinen, in Deutschland auch, relativ selten geworden. Nach 2006 hat das Robert-Koch-Institut gerade noch 5400 Fälle gezählt, von denen war aber fast die Hälfte bei Menschen, die nicht in Deutschland geboren wurden, also die aus der Türkei stammen, aus Russland, dem früheren Jugoslawien. Und damit erkrankten Migranten tatsächlich fünfmal so häufig wie alteingesessene Deutsche. Aber man muss sich klarmachen: Die absoluten Zahlen sind immer noch sehr niedrig. Von 100.000 Migranten sind nur etwa 24 betroffen. Problematisch ist aber, dass gerade unter den multiresistenten Tuberkulosekeimen, dass die vor allem bei Migranten vor allem aus der früheren Sowjetunion zu finden sind. Das ist tatsächlich ein Problem. Auch bei den HIV-Infektionen ist es so, dass die Migranten da einen höheren Anteil stellen, als es ihrem Bevölkerungsanteil entspricht, dieser Wert. Der sinkt seit kurzem wieder. Also die Migranten stellen tatsächlich eine wichtige Gruppe dar, um die sich das Gesundheitssystem kümmern muss. Aber sie gefährden sicher nicht die öffentliche Gesundheit in Europa.

    Seynsche: Ging es denn heute auch darum, was man tun kann, um diesem Krankheitsproblem unter Migranten zu begegnen?

    Wildermuth: Ja, dabei ist es ganz wichtig, dass man wirklich die Ursachen genauer versteht, und dafür sind Epidemiologen ja da: In den Niederlanden haben sie sich zum Beispiel darum gekümmert, wie ist das mit der Tuberkulose: Bringen die Leute Tuberkulose mit oder woher kommt die? Da hat sich rausgestellt: Die meisten Migranten, die an Tuberkulose erkranken, die haben sich in den Niederlanden angesteckt. Viele Migranten leben ja in wirklich beengten Verhältnissen, kleine Räume, viele Personen, in Heimen vielleicht, kaum Kontakte außerhalb ihrer eigenen Gruppe. Das sind Bedingungen, unter denen es Infektionserreger wirklich leicht haben. In den Niederlanden war es wirklich so, dass die Migranten sich häufig gegenseitig angesteckt haben, aber nur äußerst selten alteingesessene Niederländer. Es gibt sozusagen eine abgegrenzte Tuberkuloseepidemie unter den Migranten. Ähnliches dürfte dann auch für die HIV-Infektion gelten.

    Seynsche: Was sind denn sinnvolle Maßnahmen, um genau dieser Situation zu begegnen?

    Wildermuth: Ein wichtiger erster Schritt wäre es, die Lebensbedingungen zum Beispiel in Asylantenheimen zu verbessern, einfach um es den Erregern schwer zu machen, sich auszubreiten. Eine andere Sache ist: Illegale Migranten sollten eine Möglichkeit haben, zum Arzt zu gehen, ohne gleich befürchten müssen, ausgewiesen zu werden. Und ganz wichtig: Gesundheitssysteme müssen sich auf die Migranten einstellen - das ist einfach Realität -, und sie müssen Angebote in den wichtigsten Sprachen bereitstellen. Schon für Deutsche ist es schwierig, die Behandlung einer Tuberkulose durchzuziehen. Die ist langwierig und komplex. Ohne eine Aufklärung in der eigenen Landessprache ist das kaum zu schaffen für Migranten. Es ist auch wichtig, Vorurteile abzubauen. In Frankreich zum Beispiel glauben viele Einwanderer aus Nordafrika, dass Aids mit ihnen gar nichts zu tun hat, benützen deshalb weniger Kondome. Da braucht es gezielte Programme.

    Aber die Epidemiologen haben in Berlin auch betont, die Situation in Europa kann verbessert werden, indem man in den Heimatländern, in Afrika und Asien etwas tut. "Think locally, act globally" hat das eine Forscherin genannt. Aids-Programme in Afrika werden ja schon unterstützt, genauso die Behandlung der multiresistenten Tuberkulose. Auf dem Weg kann man sicher etwas tun für die Migranten, aber auch für die Gesundheit der Europäer selbst.