Dienstag, 23. April 2024

Archiv


Migrationshintergrund erwünscht

Mehr Migranten als Lehrer braucht das Land, da sind sich Politiker und Pädagogen einig. Dem frommen Wunsch will die ZEIT-Stiftung in Hamburg auf die Sprünge helfen. Sie lud 28 Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund zu einem Schülercampus: Dort erhielten sie Informationen zum Lehrerberuf und Studium.

Von Elske Brault | 03.03.2008
    Lehrerin: "Wenn dir ein Schulleiter sagt: Kopftuch oder Stelle?"
    Nurgül Bayram: "Dann mach ich es ab, aber meine Mentalität ändert sich nicht."

    Nurgül Bayram ist das einzige Mädchen mit einem sorgsam gesteckten schwarzen Kopftuch. An ihrer Schule macht es sie zur Außenseiterin. Hier hingegen teilt sie mit den anderen Teilnehmern Erfahrungen von Ausgrenzung und Demütigung. Gürkcen Medik war ihren Lehrern an einem Hamburger Nobelgymnasium zu temperamentvoll.

    "Das ham sie mir direkt ins Gesicht gesagt, dass ich den Ruf ruinieren könnte. Und deswegen hab ich ab der 8.Klasse gemerkt, dass man mich ausmisten wollte, weil ich nicht ins Bild gepasst habe."

    Die Grundschule von Didem Kurtulmus gab allen Migranten bestenfalls eine Realschulempfehlung. Erst der Direktor des Gymnasiums korrigierte für Didem die Fehleinschätzung

    "Und dann hat er sich direkt mit meiner Grundschule auseinandergesetzt, und am Ende meinten die halt: Entschuldigung, und so."

    Nida Karabayir bekam sogar nur eine Hauptschulempfehlung.

    "Und mein Vater war natürlich dagegen und hat mich auf die Realschule geschickt. Und da hab ich mich durchgekämpft, so gut, dass ich am Ende der 10. ausgezeichnet worden bin. Und jetzt bin ich aufm Gymnasium und schreibe Ende der nächsten Woche mein Abi."

    Genau solche Erfahrungen sind es, derentwegen Professor Rainer Lehberger von der ZEIT-Stiftung mehr Migranten als Lehrer an den Schulen sehen will. Seine Werbeveranstaltung dafür, den Schülercampus, können die Länder weiterführen, wenn er jetzt gelingt. Die Hälfte aller Schüler an Hamburgs Schulen haben einen Migrationshintergrund, sagt Lehberger. Aber bisher nur ein Prozent der Lehrer.

    "Unsere Schüler, die hier sind, haben gesagt, dass die Lehrer keine Beziehung zu ihnen aufbauen. Sie wissen nicht, mit ihnen umzugehen. Und wenn das der Fall ist, können auch keine guten Lernleistungen entstehen."

    Die ZEIT-Stiftung will mit dem Schülercampus ein vernachlässigtes Potenzial fördern. Auch wenn dieses Engagement erst in Jahren Früchte tragen wird. Diesmal musste sie ihre Referenten noch mit der Lupe suchen: Lehramtsstudenten, Referendare und Lehrer mit Migrationshintergrund gibt es kaum. Der in Lübeck geborene Türke Suat Aytekin ist eine Ausnahme: Er unterrichtet Geschichte und Gemeinschaftskunde an der Julius-Leber-Gesamtschule in Hamburg. Einen seiner Schüler hat er vor der Abschiebung auf die Sonderschule bewahrt - obwohl er eigentlich nur dessen Mutter die Maßnahme erklären sollte, weil sie kein deutsch sprach.

    "Türkisch konnte sie in ihrem Dialekt, also auch nicht sehr gut. Und ich war jemand, der sie versteht. Der sie dazu bringt, Deutschkurse zu nehmen oder erst mal lesen und schreiben zu lernen. Also ich war am Ende nicht nur der Übersetzer, sondern auch eine Person, die versucht, sie zu verstehen."

    Im Gespräch mit den 28 Schülercampus-Teilnehmern berichtet Aytekin allerdings auch vom nüchternen Alltag des Unterrichtens.

    "Man kann nicht immer das geben, was sich Schüler wünschen. Manchmal ist es auch real, Sachen zu machen, die langweilig sind. Das gehört auch zum Unterricht."

    Keiner der 28 Teilnehmer des Schülercamps lässt sich dadurch abschrecken. Im Gegenteil: Dank der Veranstaltung steht ihr Berufswunsch "Lehrer" jetzt unumstößlich fest.

    " Ich habe vor, ein legendärer Lehrer zu werden - ich möchte all diese Vorurteile beiseite schieben. Vor allem im Religionsunterricht: Ich möchte Deutsche und Muslime aufklären über die verschiedenen Religionen

    Ich möchte vor allem eine gerechte Lehrerin werden. Für deutsche und ausländische, ich möchte eine Mutterrolle übernehmen. Das, was ich erlebt habe, will ich auf keinen Fall weitergeben."

    Ihre Ideale in die Tat umzusetzen, dafür haben die Jugendlichen hier praktische Hilfestellung erhalten: Sie haben erfahren, wie das Lehramtsstudium abläuft, mit Schulleitern modellhafter Integrationsschulen gesprochen, und heute stehen sie bei der Hospitation in verschiedenen Schulen erstmals vor einer Klasse. Vor allem aber haben ihnen jene Migranten, die bereits Lehrer sind, Mut gemacht.

    "Das Schönste, was ich heute in den Gesprächen gehört habe, ist, dass wir anstecken. Was Schöneres hättet ihr gar nicht sagen können."