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Mikro-Kumpel der Dinosaurier

Paläontologie. – Deutsche Forscher haben in winzigen Bernsteintröpfchen aus der Trias ein Ökosystem aus Kleinstlebewesen entdeckt. Sie gerieten in das konservierende Baumharz, als die ersten Dinosaurier über den Waldboden liefen. In der aktuellen "Nature" stellen die Forscher ihren Fund vor.

Von Volkart Wildermuth |
    Die Webcam von Cortina d’Ampezzo zeigt Schnee, kein Wunder, schließlich befindet sich der Skiort auf 2000 Metern Höhe in den italienischen Alpen. Zur Zeit der ersten Dinosaurier vor 220 Millionen Jahren sah es hier ganz anders aus, erläutert Dr. Alexander Schmidt vom Berliner Museum für Naturkunde.

    "Zur Zeit der Trias hätten wir hier an einem Meeresstrand gestanden und auf küstennahe Wälder blicken können. In diesen küstennahen Wäldern wurde auch Harz produziert, das uns heute als Bernstein vorliegt. In den italienischen Dolomiten haben wir einen Glücksfall, dass nämlich das Harz den Drücken und hohen Temperaturen während der Gebirgsbildung gut widerstehen konnte."

    Tausende Bernsteintröpfchen sind in der nur wenige Zentimeter messenden Erdschicht zwischen den Felsen zu finden. Kein Schatzsucher würde sich heute nach ihnen bücken, sie sind nur knapp Reiskorn groß und meist schwarz verfärbt. Wenn sie Alexander Schmidt aber poliert und unter sein Mikroskop legt, entdeckt er ein für alle Zeit eingekapseltes Ökosystem. Schmidt:

    "Angefangen bei Bakterien, die von beschalten Amöben abgeweidet werden, wir haben dann Wimperntierchen. Wir haben natürlich Algen, die also Photosynthese betreiben, und wir haben die Pilze als Destruenten, die also für den Abbau im Ökosystem verantwortlich sind, so dass wir doch dem archaischen 220 Mio. Jahre alten Mikroökosystem schon sehr weite Einblicke haben abgewinnen können."
    Diese Forschung ist Fleißarbeit. Nur jedes Hundertste oder Zweihundertste Bernsteintröpfchen entpuppt sich unter dem Mikroskop als Fenster in die Zeit der Trias. Noch die kleinste Spur wurde genau dokumentiert, schließlich handelt es sich um die bei weitem ältesten in Bernstein erhaltenen Lebensformen. Besonders schön findet Alexander Schmidt eine beschalte Amöbe, ein Einzeller, der seine weichen, flexiblen Ausläufer mit einem Kalkschild schützt, das mit winzigen Kristallen besetzt ist. Schmidt:

    "Hier sehen wir ein Teilungsstadium. Wir sehen die Mutterzelle mit entsprechender Schalenstruktur und darunter, aus der Öffnung herausragend, die Tochterzelle, die noch nicht fertig gebildet ist, entsprechende Strukturen auf der Schale sind noch nicht vollständig ausgebildet."

    Als diese Amöben ins Harz gerieten, machten unten im Wald der Triaszeit gerade die Dinosaurier ihre ersten Schritte. Die Dinosaurier sind schon lange Geschichte, die Nachkommen der Mikroben aus dem Harz leben aber bis heute kaum verändert. Schmidt:

    "Sie haben die gesamte Ära der Dinosaurier, die Entwicklung der Blütenpflanzen, der Säugetiere überdauert und einige von ihnen stellen sich tatsächlich auf Artebene genau so dar, wie Mikroorganismen, die wir heute in Wasser oder Bodenproben finden können."
    Die Stürme der Evolution sind über diese Kleinlebewesen hinweg gezogen. Während sich die Welt im Großmaßstab immer wieder gewaltig verändert hat, Meteoriten einschlugen, Warm- und Kaltzeiten den Tieren und Pflanzen das Leben schwer machten, veränderte sich die direkte Umwelt der Bakterien, Amöben, Wimpertierchen und Pilze kaum. Schmidt:

    "Obwohl die Wälder der Erdgeschichte aus verschiedensten Baumarten bestanden haben, sind doch Mikrolebensräume, wie feuchte Baumrinde, relativ konstant geblieben, es bestand einfach keine Notwendigkeit für die Mikroorganismen, sich zu verändern. Natürlich sind viele dieser Mikroorganismen auch kaum spezialisiert, vielleicht weniger spezialisiert als viele höhere Pflanzen und Tiere die dann auch empfindlich auf Umweltveränderungen und Aussterbeereignisse, Massenaussterben reagieren."

    Die Welt des Kleinen und des Großen sind natürlich miteinander vernetzt. Aber wenn es hart auf hart kommt, sind die Kleinen auf die Große nicht angewiesen. Sie durchleben ihre eigenen Dramen in der Mikrowelt auf der Baumrinde. Da wird gejagt und gefressen, verdaut und produziert. Es dürfte sich um das Stück mit der längsten Laufzeit handeln. Seit 220 Millionen Jahren, das belegten die italienischen Bernsteintröpfchen, besetzen die immer gleichen Lebensformen die Rollen der Räuber und der Opfer.