Ihr Ruf ist schlecht: Machen Viren Schlagzeilen, geht es um Ebola, Masern oder Krebs. Sie haben jedoch auch eine andere Seite. So gäbe es uns wohl ohne sie nicht, denn Viren treiben die Evolution ebenso an wie die Ökosysteme. Deshalb nimmt die Viren- und Krebsforscherin Karin Mölling ihren Leser mit auf "Reisen in die erstaunliche Welt der Viren".
Auf der Erde gibt mehr Virenpartikel als Sterne am Himmel. Und sie sind überall: hoch oben in der Atmosphäre ebenso wie Hunderte von Metern tief im Meeresboden. Sie sind ungeheuer vielfältig: Manche sind winzig, nur ein paar RNA-Moleküle lang, andere so groß wie kleine Bakterien. Und es stimmt: Viren sind Parasiten - Parasiten, die Zellen infizieren. Während alle aus Zellen aufgebaute Lebewesen einen Stoffwechsel besitzen, Energie erzeugen und sich fortpflanzen, müssen Viren in ihre Wirtszelle eindringen und sie in eine Kopiermaschine verwandeln. Richtig ist auch: Viren können krank machen und töten.
Karin Mölling erzählt sehr ausführlich vom Zusammenhang zwischen Viren und Krebs. Sie betont aber auch, dass es in der Natur kein Gut und Böse gibt, sondern dass es ums Überleben und um die Vermehrung geht. Wenn Viren krank machen, so meint sie, seien die Menschen meist selbst schuld, denn sie hätten Balancen gestört.
Die dunkle Seite der Viren
Die Autorin ignoriert die "dunkle" Seite der Viren also keineswegs, vor allem aber geht es ihr darum, von der anderen, weitaus unbekannteren Seite der Viren zu erzählen. So können sie als Verteidiger gegen andere Krankheiten eingesetzt werden und spielen eine wichtige Rolle in Gentherapien. Besonders fasziniert ist Karin Mölling jedoch von der Idee, dass Viren ganz am Anfang des irdischen Lebens stehen könnten. Mit ihnen habe alles begonnen. Viren könnten auch geholfen haben, Zellen aufzubauen und die genetischen Vielfalt voranzutreiben. Denn die Entschlüsselung des menschlichen Genoms beispielsweise hat gezeigt, dass ein beachtlicher Teil viralen Ursprungs ist und im Lauf der Evolution "domestiziert" wurde.
Viele dieser "Domestikationen" reichen weit zurück in die Entwicklungsgeschichte des Lebens, liegen Dutzende oder Hunderte von Millionen Jahren zurück. Säugetiere beispielsweise verdanken es den Viren, dass sie keine Eier ausbrüten müssen, denn ohne eine weit zurückliegende Infektion gäbe es keine Plazenta und jeder Embryo würde abgestoßen. Leider bezieht Karin Mölling solche evolutionären Geschehen gerne auf den Menschen, wohl in dem Bemühen, die Vorgänge für den Leser fassbarer zu machen. Allerdings verwirrt manches dadurch mehr, als dass es hilft.
In "Supermacht des Lebens" schreibt Karin Mölling über ein Thema, von dem sie selbst hingerissen ist. Das spürt jeder Leser. Allerdings schwankt die "Supermacht des Lebens" zwischen Fach - und Sachbuch. Vor allem, wenn die Themen in den Bereich ihrer eigenen Arbeit fallen, verliert sich die Autorin in Details. Verfügt der Leser nicht über gute Kenntnisse der Mikrobiologie, Genetik etc, geht das sehr zulasten der Verständlichkeit. Beim Thema Bedeutung von Viren in der Umwelt oder in der Evolution, ist das Buch anschaulicher. Allerdings könnte es auch da erzählerischer werden und noch mehr Rücksicht auf ein normales Publikum nehmen.
Karin Mölling: "Supermacht des Lebens"
C.H.Beck-Verlag, 318 Seiten, 24,95 Euro, ISBN-13 978-3-406-66969-9
C.H.Beck-Verlag, 318 Seiten, 24,95 Euro, ISBN-13 978-3-406-66969-9