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Mikrooptik nach Vorbildern aus der Natur

Physik. - Optical Valley - so nennt sich Jena gerne vollmundig. Die Stadt im Saaletal steht seit den Tagen von Carl Zeiss, Ernst Abbe oder Otto Schott für optische Innovationen. Doch die heutigen optischen Systeme haben kaum noch etwas mit der Linsenschleiferei des 19. Jahrhunderts gemein. Mikrooptik heißt der Trend des 21. Jahrhunderts in Anlehnung an die bekannte Mikroelektronik. Diese hat zwar einige Jahrzehnte Vorsprung, die Optiker haben dafür einen anderen Vorteil - sie können von den Jahrmillionen alten Tricks der Pflanzen und Tiere lernen.

    Dank hoch auflösender Mikroskopie entdecken Optiker immer mehr Erfolgsstrategien in der Tierwelt, zum Beispiel die Fähigkeit der Motte, auch in tiefster Nacht noch zu sehen, erklärt Professor Andreas Tünnermann, Direktor des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik Jena: "Die Motte hat das Auge so optimiert, dass Reflektionen an der Oberfläche des Auge, wie wir sie kennen, wenn wir unserem Partner in die Augen schauen, bei der Motte nicht auftreten. Die Ursache sind sehr kleine Nanostrukturen." Auf der Oberfläche des Mottenauges befinden sich Millionen winziger Kegel, die kleiner als die Wellenlänge des Lichts sind. Diese noppenartige Struktur verhindert, dass das Licht abrupte Materialübergänge auf dem Weg zur Netzhaut passieren muss, an denen es reflektieren könnte, erklärt Tünnermann: "Wenn das Licht von oben einfällt, sieht es erst einmal eine Struktur mit ganz wenig Material und viel Luft. Das heißt, die Änderung zwischen dem Brechungsindex der Luft und dem der Kegelspitze ist sehr gering. Dann kommt der Bereich, wo genauso viel Kegelmaterial wie Luft ist. Dort haben wir einen Brechungsindex zwischen dem der Luft und des Materials. Unten schließlich ist der Brechungsindex des Kegels gleich dem des Glases." Die Noppenstruktur brachte den Brillenträger Andreas Tünnermann auf einen Idee: Sie ähnelt nämlich der Struktur eines Kohlrabiblattes, von dem Wasser einfach abperlt. Die optischen und die mechanischen Eigenschaften müssten sich doch kombinieren lassen, hoffte Tünnermann: "Ich hätte dann eine Brille, die ich nie wieder putzen müsste und die gleichzeitig keine Reflektionen aufweist, die beim Sehen stören."

    An den Küsten Australiens oder Neuseelands findet sich ein weiterer Liebling der Physiker: die Seemaus. Die Seemaus ist eigentlich ein zwischen 25 bis 50 Zentimeter langer Wurm, dessen Stacheln in allen Farben des Regenbogens schimmern. Das bunte Funkeln soll wie der Blinker eines Anglers Beute anlocken. Auch hier sorgen Nanostrukturen für das optische Farbenspiel, erläutert Tünnermann: "Das Interessante ist, dass diese Strukturen besondere Eigenschaften haben, um Licht nicht nur zu reflektieren, sondern sich auch ausbreiten zu lassen. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, eine neue Art von Glasfasern herzuzustellen, die bessere Eigenschaften aufweist als die Glasfasern, die wir heute in Telekommunikationsnetzen einsetzen." Herkömmliche Glasfasern arbeiten nach dem Prinzip der Totalreflektion: Das Licht wird an den Außenwänden zurückgeworfen, sodass ein Lichtstrahl im Zickzack-Kurs durch die Faser läuft. Leider ist die Totalreflektion an den Grenzflächen nicht so total, wie es die Optiker gerne hätten: Ein Teil des Lichts geht immer verloren, weshalb die Lichtsignale stets verstärkt werden müssen. "Bei den Stacheln der Seemaus ist es nun so, dass sie eine feine Struktur aufweisen, die im Prinzip nicht eine Grenzfläche hat, sondern sehr viele", so Tünnermann, "die Reflektion erfolgt also nicht an einer Stelle und da abrupt, sondern wird so verändert, dass die Reflektion an den Grenzflächen der verschiedenen Schichten auftritt." Ähnlich wie bei den Mottenaugen entsteht so ein weicher Übergang, statt des harten Brechzahlsprung bei der Glasfaser. Die Technik der Seemaus, so hoffen die Physiker nun, könnte einen großen Teil der heute nötigen Verstärkung einmal überflüssig machen.

    [Quelle: Hartmut Schade]