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Mikrorückstände im Bodensee

Gelangen Chemikalien etwa aus Putzmittelresten oder Medikamenten ins Abwasser, trotzen sie den Reinigungsstufen selbst technisch hochwertiger Kläranlagen. Der Bodensee gilt als größter Trinkwasserspeicher Europas. Was dort gegen die Arznei- und Hormonrückstände zu tun ist, war Thema beim alljährlichen Bodensee-Kolloquium im Institut für Seenforschung Langenargen.

Von Thomas Wagner | 06.03.2009
    Klein, aber oho: So beurteilen die Experten die Wirkung jener so genannter Umwelt-Rückstände, die als Reste von Arzneimitteln oder Haushalts-Chemikalien übers Abwasser in die Zuflüsse eines großen Binnengewässers wie dem Bodensee gelangen. Klein deshalb, weil sich ihre Konzentrationen im Mikro- und Nano-Bereich bewegen. Das heißt: Auf einen Liter kommt manchmal gerade ein Tausendstel Gramm oder noch weniger dieser Substanzen. Und ‚oho’ wiederum aufgrund der Tatsache, dass manchmal die Wirkung durchaus unerfreulich ausfällt. Professor Rita Triebskorn vom Steinbeiß-Zentrum für Ökotoxikologie Rottenburg schildert dies am Beispiel der Substanz Diclofenac die in Schmerzmitteln gegen Rheuma enthalten ist:

    "Ich weiß, dass Diclofenac in Konzentrationen, wie sie in Gewässern vorkommen, auf Forellen zum Beispiel schädlich wirkt, und zwar auf die Niere. Also im Prinzip findet man im Fisch ähnliche Wirkungen, wie sie beim Menschen als Nebenwirkungen auftreten. Die Niere wird geschädigt, pathologisch. Also sie zeigt Symptome, die für eine Schädigung der Niere sprechen."

    Nach und nach erforschen die Experten die Wirkungsketten der zahlreichen Mikrorückstände im Wasser immer besser. Da es viele solcher so genannterUmwelt-Chemikalien gibt, ist dies aber eine sehr zeitintensive und ausführliche Arbeit. Eine Studie an der Schussen, einem großen oberschwäbischen Bodensee-Zufluss, ergab allerdings ganz zweifelsfrei: Dort, wo die Schussen durch dicht besiedeltes Gebiet fließt, steigt die Konzentration der Mikro-Rückstände deutlich an, während sie in den Natur belassenen Abschnitten wieder absinkt.

    Der Anstieg in besiedelten Abschnitten lässt sich selbst dort nachweisen, wo wirklich ausnahmslos alle Haushalte an die nächste Kläranlage angeschlossen sind. Für die Gewässerschutzexperten ergibt sich als Konsequenz deshalb die Forderung nach einer technischen Verbesserung der Kläranlagen rund um den See, aber auch entlang der Zuflüsse – dies deshalb, weil die bestehenden Klärsysteme nachweislich in der Lage sind, den Eintrag der umweltgefährdenden Mikroorganismen in die Zuflüsse zu verhindern. Dr. Hans-Gerd Schröder, Leiter des Institutes für Seenforschung Langenargen:

    "Und da wird man mit Sicherheit auch Lösungen suchen müssen, wo man tatsächlich dann in den Bereich der Kläranlagen geht und fragt. Kann ich da noch etwas nach dem ‚'End-Of-Pipe'-Prinzip zurückhalten? Man kann noch etwas machen, indem man mit Aktivkohle-Filtration als zusätzliche Reinigungsstufe vorgeht. Es gibt auch Untersuchungen in Bezug auf Ozonierungen. Da gibt es auch Tests, die laufen. Baden-Württemberg ist eher auf der Schiene, dass man versucht, mit Aktiv-Kohle-Techniken einige Anlagen auszustatten und sie damit auch im Regelbetrieb betreibt."

    Doch die Forderung nach einer Umrüstung der Kläranlagen ist politisch nicht ohne Brisanz: In den 70er-Jahren wurden Milliardenbeträge in den Kläranlagenbau rund um den Trinkwasserspeicher Bodensee investiert. Dabei richtete sich das Augenmerk aber primär auf eine Reduzierung des Phosphateintrages, die ebenfalls über die Zuflüsse durch Waschmittelreste in den See gelangten und dort zu einem so hohen Algenwachstum führten, dass die Experten seinerzeit bereits vor einem ‚Umkippen’ warnten. Diese Gefahr ist längst gebannt. Der Phosphatgehalt ist dank der hohen Investitionen in den Kläranlagenbau wieder auf ein natürliches Maß zurückgegangen.

    Das Problem ist nur: Die Techniken von damals, die den Phosphateintrag eindämmten, eignen sich nicht unbedingt dafür, die Abwässer nachhaltig auch von den neuen Mikro-Rückständen zu befreien. Deshalb komme man um Investitionen in die neuen Klärtechnologien selbst in Zeiten knapper kommunaler Kassen nicht herum, meint Hans-Gerd Schröder vom Institut für Seenforschung. Zu Panikreaktionen sieht er aber keinen Anlass:

    "Keine akute Gefahr. Also insofern kann man sagen: Entwarnung. Also das Trinkwasser kann man voll genießen. Wir sind da weit weg von schädlichen Konzentrationen. Aber das heißt nicht, dass man sich jetzt auf die faule Haut legen kann und sagen kann: wunderbar – wir sind in einer heilen Welt!"