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Milchversorgung

Die Milch kommt bei uns meistens von der Kuh, der Käse manchmal von der Ziege oder vom Schaf. In Wüsten-Gebieten ist das anders, hier werden traditionell auch Kamele gemolken, wenn auch meist nur zur Selbstversorgung ihrer Besitzer. Doch die extrem anspruchslosen Tiere könnten besser genutzt werden als bisher, Produkte aus Kamelmilch könnten die wirtschaftliche Lage und die Ernährung vieler Menschen verbessern - wenn sie nur richtig entwickelt und vermarktet werden. Wissenschaftler aus Israel haben sich damit befasst. Die Ergebnisse stellt Ihnen nun Thomas Breulmann vor.

von Thomas Breulmann | 18.08.2000
    Viele erklären ihn für verrückt. Aber das ficht Reuven Yagil nicht an. Das Kamel, sagt der israelische Professor, kann Ländern auf die Beine helfen, die viel Wüste haben, und viele Menschen: arme, hungernde und sterbende Menschen. Denn das Kamel holt Milch aus der Wüste. Auch dann noch, wenn es wochenlang kein Wasser trinkt, auch da, wo das Futter nicht einmal für die anspruchslose Ziege reicht. Doch das einzigartige Milch-Potenzial des Kamels wird verkannt, sei es in den heißen Wüsten, in denen das einhöckrige Dromedar zu Hause ist, oder in den kalten Wüsten mit dem zweihöckrigen Trampeltier.

    "Wer auf Kamele setzt gilt als rückständig, der kann mit der Entwicklung der modernen Landwirtschaft wohl nicht mithalten, heißt es, der hält primitive Tiere mit schmutziger Milch - wenn sie denn überhaupt Milch geben."

    Ein fatales Vorurteil, das durch nichts gerechtfertigt ist: - Es gibt Gegenden auf dieser Welt, sagt Reuven Yagil, die sind auf die Nahrungsmittelhilfe der Vereinten Nationen angewiesen: der Nord-Osten Kenias zum Beispiel. Gleichzeitig bleiben in derselben Region mindestens eine Million Liter Kamelmilch ungemolken - pro Tag.

    Das könne ja wohl nicht sein, tönt es ihm entgegen. - In der Tat wird die Milch der großen Kamelherden von den Nomaden zwar genutzt - allerdings nur zur Selbstversorgung. Darüber hinaus sind der Nutzung Grenzen gesetzt, denn Kamelmilch ist schwer zu haltbar zu machen. Eine befriedigende Käseherstellung ist nicht möglich, denn der Milch fehlen die entsprechenden Kaseine. In der Konsequenz heißt das: was sich nicht konservieren lässt, taugt nicht als Handelsgut, was kein Handelsgut ist, das lohnt die Gewinnung nicht. Deshalb reicht es nicht, darauf hinzuweisen, dass die potentielle Milchleistung des Kamels unterschätzt wird, sagt Yagils Kollegin Clara van Creveld.

    Zunächst haben sie einfach ein bisschen herumexperimentiert, dann entdeckten sie etwas, das weder Sauermilch ist, noch "getrocknete Milch", noch Käse, und nannten es "Camelbert".

    "Das ganze Fett und Eiweiß der Rohmilch ist in der schneeweißen, Frischkäse-ähnlichen Masse enthalten."

    Anders als Kuhmilch lässt sich Kamelmilch auch einfrieren und ohne Qualitätsverlust wieder auftauen. Auf ihrer Versuchsfarm in der israelischen Wüste Arava aber ist das Lieblingsprodukt der Forscherin: Kamelmilch-Eis. Doch sind tiefgekühlte Produkte eine Option für Länder mit vielen Kamelen, aber mangelhafter Infrastruktur? Ja, lautet van Crevelds Antwort, nicht von jetzt auf gleich, aber es gibt ja Solarenergie.

    Wenn die regelmäßigen Dürren Rinder, Schafe und Ziegen längst dahingerafft haben, geben Kamelstuten immer noch Milch. Und die überfällige Nutzung ihres Milch-Potenzials dient nicht allein der Ernährungs-Sicherung. Der Aufbau eines lokalen oder nationalen Marktes stößt auch die wirtschaftliche Entwicklung an, in Ländern mit viel - sonst unproduktiver - Wüste und Halbwüste. Selbst auf dem internationalen Markt sieht Reuven Yagil Chancen für Produkte aus Kamelmilch: Sie sind eine ideale Babynahrung. Und kaum noch umstritten ist die lindernde oder heilende Wirkung der Milch bei Diabetes vom Typ II, bei Autoimmunkrankheiten, schweren Brandwunden oder bei Tuberkulose. Doch die Forschungsgelder tröpfeln nur, Investoren fehlen ganz. Der Westen, sagt Reuven Yagil, schickt lieber Kuhmilch-Pulver nach Afrika - und hat das Kamel nie wirklich zur Kenntnis genommen.