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Militär, Netzwerker, Drahtzieher, Wühler und Organisator

Bis heute ist die Rolle, die führende SPD-Genossen bei der Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs spielten, nicht gänzlich aufgedeckt. Ein Buch aus der Edition Nautilus verspricht nun Abhilfe - und würde damit, wie Volker Ullrich in der ZEIT konstatierte, "eines der dunkelsten Kapitel in der Geschichtsschreibung der deutschen Sozialdemokratie aufklären".

Von Norbert Seitz | 12.01.2009
    Gestern waren wieder Tausende zur alljährlichen Nelkenprozession an der "Gedenkstätte der Sozialisten" in Berlin-Friedrichsfelde unterwegs, um an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu erinnern.

    Initiator des folgenschweren Doppelmordes vor 90 Jahren war der kaiserliche Hauptmann Waldemar Pabst, der die Taten von Offizieren seines Stabes ausführen ließ, nachdem er sich vorher des stillschweigenden Wohlwollens der sozialdemokratischen Führung rückversichert hatte.

    Der Sozialwissenschaftler und Drehbuchautor Klaus Gietinger legt über diesen Militär nunmehr eine umfangreiche Biografie vor - mit neuen Details und Beweisstücken aus Moskau, dem Stasi-Archiv und aus dem Nachlass des Porträtierten. Dabei glaubt er, auf eine "personifizierte Schnittstelle" zwischen der Konterrevolution und dem europäischen Faschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestoßen zu sein.

    1880 wird Waldemar Pabst in Berlin-Charlottenburg geboren. Doch dem Jungen fehlt die häusliche Nestwärme, eine Kadettenanstalt wird ihm zur "zweiten Heimat". 33-jährig befördert man ihn 1914 zum Hauptmann. Die Feuertaufe erfährt er in den Gräueln des Ersten Weltkriegs in Belgien.

    Seine Stunde schlägt in den unruhigen Tagen nach dem Sturz des Monarchen und vor dem Zusammentritt der Weimarer Nationalversammlung, wo er der völlig überforderten SPD-Führung die militärischen Dienste seiner kriegsgestählten wie ewiggestrigen Garde-Kavallerie-Schützen-Division offeriert.
    Als ihm der Coup gelingt, die Führer der gerade gegründeten KPD, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, am 15. Januar 1919 gefangen zu nehmen, erhält er zwar keinen direkten Mordbefehl des Volksbeauftragten und späteren Reichswehrministers Gustav Noske, kann sich aber dafür dessen insgeheimer Duldung sicher sein.

    Gietinger zitiert zum Beweis aus Pabsts bislang unveröffentlichten Memoiren:

    Dass die Exekution Liebknechts und Luxemburgs durchgeführt werden musste, darüber bestand bei Herrn Noske und mir nicht der geringste Zweifel, als wir über die Notwendigkeit der Beendigung des Bürgerkriegs sprachen. Als ich nun sagte, Herr Noske, geben Sie bitte Befehle über das "Wie", meinte Noske: Das ist nicht meine Sache! Dann würde die Partei zerbrechen, denn für solche Maßnahmen ist sie nicht und unter keinen Umständen zu haben. Das soll der General tun, es sind seine Gefangenen.
    Als Pabst bezweifelte, dass er von seinem Vorgesetzten Lüttwitz den Befehl bekommen werde, soll Noske Pabst geantwortet haben:

    Dann müsse er selbst verantworten, was zu tun sei.

    Was beide - Pabst und Noske - verbindet, sind die Angst vor der Revolution, der Hass auf den sogenannten Bolschewismus und die skrupellose Maxime: "Not kennt kein Gebot."

    Auch während der schweren Kämpfe im März 1919 holt sich Pabst mit Horrormeldungen über die Gegner jenen mörderischen Blankoscheck von Noske, mit dem er und seine Freikorps ein Massaker anrichten werden:

    Jede Person, die mit Waffen in der Hand gegen Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird, ist sofort zu erschießen.
    1920 nach dem gescheiterten Kapp-Putsch wechselt Waldemar Pabst das Kampfterrain und mobilisiert in Tirol den Aufbau der republikfeindlichen Heimatwehren.

    Gietinger charakterisiert ihn wie folgt:

    Er war kein Bierkelleragitator, kein völkischer Tribun, kein Rattenfänger der Massen. Er war Militär, Netzwerker, Drahtzieher, Wühler und Organisator. Einer, der es allerdings immer bevorzugte, in der zweiten Reihe, möglichst verdeckt zu agieren, und wenn es sein musste, auch als "Solotänzer".
    Dabei stand er dem aufstrebenden Hitler strategisch im Wege. Denn seine Konzepte eines faschistischen Staatenbundes und einer "Weißen Internationalen" waren mit den großdeutschen Weltherrschaftsplänen der Nazis nicht vereinbar.

    Pabst steigt als Direktor bei Rheinmetall-Borsig, der größten Waffenschmiede Deutschlands, um und bringt es während der Nazizeit zum Wehrwirtschaftsführer.

    Bis ins hohe Alter - er wird 90 - bleibt er im Waffenhandel und in der Rüstungsindustrie umtriebig und tätigt seine dunklen Geschäfte über viele Jahre von der Schweiz aus, wo er mit gerissenen Tricks seine Ausweisung hintertreibt, um Verhaftungen und Mordanschlägen in der Heimat zu entgehen.

    Vergeblich bietet er der Adenauer-Regierung seine Dienste an. Gietinger zitiert aus einem Schreiben:

    Er habe den Eindruck, dass das deutsche Reich - die Rede ist von der jungen Bundesrepublik! - alle Veranlassung hätte, beim Neubau endlich Männer in wichtige Stellen zu setzen, die seit 1918 den Kommunismus und Bolschewismus bekämpft hätten. Es wäre endlich Zeit, sich seiner zu erinnern.
    Bis der längst Vergessene 1962 sich selber in Erinnerung ruft, indem er mit dem Geständnis herumkokettiert, den Mordbefehl gegen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegeben zu haben, ohne dass er mit einer Anklage rechnen muss. Der Doppelmord bleibt somit bis heute ungesühnt.

    Klaus Gietingers voluminöse Pabst-Biografie mag manchem ideologischen Weggefährten höchst willkommen erscheinen, da die gespaltene deutsche Linke sich wieder einmal mitten im Streit um das Deutungsmonopol über die Geschichte der Arbeiterbewegung befindet.

    So geraten auch die Schlüsse des Autors trotz aller akribischen Detailbesessenheit häufig genug in eine ideologische Schieflage.

    Zum Beispiel bei der Würdigung der
    Berliner Januar-Aufstände, die als Spartakus-Revolte in die Geschichte eingegangen sind. Paul Levi zitierend, stilisiert Gietinger sie zur

    vielleicht größten proletarischen Massentat, die die Geschichte je gesehen hat.
    Dagegen steht noch immer Heinrich August Winklers nüchterner Befund:

    Der Berliner Januar-Aufstand war der Putschversuch einer radikalen Minderheit. Wäre er nicht niedergeworfen worden, hätte sich der Bürgerkrieg über ganz Deutschland ausgebreitet und eine alliierte Intervention ausgelöst.
    Und um die unselige Rolle der ebenso biederen wie schaurigen SPD-Führer Ebert und Noske zu belegen, hätte es nach Sebastian Haffners luzider "Geschichte eines Deutschen" weiß Gott keines angeblich sensationell neuen Beweisstücks mehr bedurft.

    Schließlich wird dem Leser auch nicht die neu aufgefrischte Legende von der verpassten revolutionären Chance erspart:

    Nur aber mit dem Beelzebub Revolution, mit der levée en masse, der Volksbewaffnung und dem sogenannt "liederlichen" und "schmutzigen" Volkskrieg eben wäre der "Satan" des deutschen Militarismus auszutreiben gewesen.
    Doch woran fehlte es der revolutionären Linken? Das entscheidende Manko trägt beim Autor einen berühmt-berüchtigten Namen:

    Es fehlte auf Seiten der Linken auch an "Männern" wie Noske, der versicherte, wenn "zielklare Führer" wie er und nicht "Schwadroneure" die "Scharen" angeleitet hätten, hätte man "Berlin in der Hand gehabt.
    Norbert Seitz über Klaus Gietinger: Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere. Veröffentlicht bei Nautilus, 544 Seiten zum Preis von 39 Euro und 90 Cent.