Freitag, 19. April 2024

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Militärbeobachter in der Ukraine
"Man muss bei jedem Einsatz dieser Art genau analysieren"

Die Ukraine hätte die Sicherheit der Militärbeobachter der OSZE gewährleisten müssen, sagte Harald Kujat, früherer Vorsitzender des NATO-Militärausschusses und ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, im Deutschlandfunk. Ob sie das überhaupt konnte, müsse nun in der Analyse des Einsatzes geklärt werden.

Harald Kujat im Gespräch mit Jasper Barenberg | 06.05.2014
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr ( picture alliance / ZB)
    Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen habe guten Grund, die Militärbeobachtermission der OSZE zu untersuchen, sagte Kujat. Der gastgebende Staat müsse für die Sicherheit der Mitarbeiter sorgen. Unklar sei, ob die Ukraine überhaupt die Sicherheit und Unversehrtheit der Inspektoren garantieren konnte.
    Wenn dies nicht der Fall gewesen sei laute die Frage: "Haben wir uns davon überzeugt und haben wir die Entscheidung auf einer sicheren Grundlage getroffen? Wenn wir nicht hundertprozentig überzeugt waren, muss die Frage gestellt werden: War der Erkenntnisgewinn verhältnismäßig zum Einsatz, den die Bundesregierung bereit war, einzugehen?"
    OSZE kann "Beitrag leisten"
    Auf der Suche nach Wegen aus der Gewalt könne die OSZE einen guten Beitrag leisten. "Von den 57 Mitgliedsstaaten geht ein erheblicher Druck auf die Beteiligten aus. Und Russland ist selbst Mitglied dieser Organisation und so von Anfang an mit einbezogen."
    Harald Kujat, geboren am 1. März 1942 im polnischen Mielke und aufgewachsen in Kiel, ist ein General a.D. Von 2002 bis 2005 war er Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, zuvor arbeitete er zwei Jahre lang als Generalinspekteur der Bundeswehr.
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    Jasper Barenberg: Nach einer Woche Geiselhaft im Osten der Ukraine sind die Beobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa seit dem Wochenende wieder frei. Die Diskussion allerdings über diese Mission für die OSZE hat seitdem erst so richtig Fahrt aufgenommen. Eine Menge Fragen zu Art und zu Ablauf des militärischen Teils dieser Beobachtermission werden gestellt, aber von der Bundesregierung vorerst nur zögernd oder kaum beantwortet. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen rechtfertigt den Einsatz auch der unbewaffneten deutschen Beobachter und kündigt gleichzeitig weitere Aufklärung und eine nochmalige Analyse an.
    Mitgehört hat Harald Kujat, der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr und der ehemalige Vorsitzende im NATO-Militärausschuss. Schönen guten Morgen, Herr Kujat.
    Harald Kujat: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
    Barenberg: Lassen Sie uns zunächst auch noch mal gemeinsam zurückblicken auf die militärische Mission der OSZE. Verteidigungsministerin von der Leyen will diesen Einsatz ja noch einmal gründlich aufarbeiten. Hat sie allen Grund, ihn im Nachhinein kritisch zu hinterfragen?
    Kujat: Sicherlich. Ich denke, man muss bei jedem Einsatz dieser Art, vor allen Dingen bei einem Einsatz, der in eine so schwierige Situation geführt hat und aus der wir ja, wie der Außenminister sagt, nur mit großem Glück heil herausgekommen sind, gerade bei einem solchen Einsatz muss man genau analysieren, was die Voraussetzungen dafür waren, warum es zu dieser Situation gekommen ist und ob das alles Sinn gemacht hat.
    Der gastgebende Staat muss für die Sicherheit der Teilnehmer sorgen
    Barenberg: Nun sind ja, Herr Kujat, solche Missionen gerade gedacht für Regionen, für Situationen, die sehr konfliktreich sind, die möglicherweise auch gefährlich sind. Liegt das nicht in der Natur der Sache, dass es eine solche Gefährdung gibt, wenn eine solche Mission sich auf den Weg macht?
    Kujat: Nun, es ist richtig, dass diese Missionen vor allen Dingen dazu dienen, Vertrauen und Sicherheit zwischen den Teilnehmerstaaten zu festigen, und wenn es Besorgnisse über militärische Aktivitäten gibt, wie das ja hier der Fall ist, dann kann einer der Teilnehmerstaaten, in diesem Fall die Ukraine, Besucher einladen, Inspektoren einladen, um sich davon zu überzeugen, was nun die Ursache für diese Besorgnisse sind. Aber es bedeutet auch, dass der gastgebende Staat für die Sicherheit der Teilnehmer an einem solchen Besuch sorgen muss. Er ist dafür verantwortlich. Sicherheit und Unversehrtheit sagt sogar das Wiener Dokument. Und die entscheidende Frage ist dann hier natürlich in diesem Fall: Konnte die Ukraine überhaupt die Sicherheit und Unversehrtheit der Inspektoren garantieren? Und wenn das nicht der Fall war, haben wir uns davon überzeugt, ob das möglich ist oder nicht vor dieser Mission, und haben wir die Entscheidung dann auf einer sicheren Grundlage getroffen? Darum geht es.
    Barenberg: Sehen Sie da Versäumnisse aufseiten der Bundesregierung?
    Kujat: Nun, das muss man sehen. Die Verteidigungsministerin hat ja eine Analyse des gesamten Vorgangs angekündigt und da steht natürlich im Zentrum dieser Analyse, wie sah die Lagebeurteilung vor dem Einsatz aus, waren wir überzeugt davon, dass die Ukraine in der Lage ist, die Sicherheit und Unversehrtheit zu garantieren oder nicht. Und wenn wir nicht hundertprozentig überzeugt waren, dann muss natürlich die Frage gestellt werden, war der Einsatz wirklich dann verhältnismäßig, war der Erkenntnisgewinn verhältnismäßig zu den Risiken, die wir, die die Bundesregierung bereit war, einzugehen. Das muss geklärt werden.
    Barenberg: Ich höre da bei Ihnen Zweifel heraus.
    Die OSZE ist eine Organisation, die einen guten Beitrag leisten kann
    Kujat: Das würde ich so nicht unterschreiben. Ich zweifele nicht daran, aber jeder von uns weiß, der die Nachrichten gesehen hat in dieser Zeit, dass es dort zu erheblichen Sicherheitsrisiken ja gekommen ist. Ob diese Sicherheitsrisiken nun auch für die Inspektoren vorhersehbar waren, oder zumindest mit einkalkuliert werden hätten müssen, das ist eine ganz andere Geschichte. Aber dass dies eine Unruhegegend war, in der es erhebliche Gewaltanwendung gab, das war ja ganz offenkundig.
    Barenberg: Der Außenminister, die Kanzlerin, alle setzen ja weiterhin darauf, dass die OSZE eine wichtige Rolle dabei spielen kann, wenn es darum geht, Wege aus der Gewalt zu finden. Sieht das jetzt nach diesem Zwischenfall anders aus?
    Kujat: Nein. Ich denke, die OSZE ist sicherlich eine Organisation, die in einer solchen Situation einen guten Beitrag leisten kann. Das steht völlig außer Frage. Das liegt zum einen daran, dass wir ja 57 Mitgliedsstaaten haben, und von diesen 57 Mitgliedsstaaten geht natürlich ein erheblicher Druck aus auf die Beteiligten, also auf die Ukraine und auch auf Russland, und Russland ist selbst ja Mitglied dieser Organisation. Das heißt, Russland ist von Anfang an in welchem auch immer gearteten Prozess der Verhandlung oder auch der Klärung dieser Angelegenheit mit einbezogen. Das ist wichtig. Und es kommt hinzu: Wir haben ja bisher gesehen, dass es äußerst schwierig ist, einen Ansprechpartner für Russland zu finden, der auf Augenhöhe mit Russland über diese Situation verhandeln kann. Da war die NATO, da war die Europäische Union, auch Deutschland hat sich darum bemüht, aber so richtig ist es dem Westen eigentlich nicht gelungen, Russland an einen Verhandlungstisch zu bringen, an dem dann ganz konkret ein Ergebnis erzielt werden kann, das auch Bestand hat. Das ist bisher nicht gelungen. Vielleicht kann es die OSZE, ich bin mir da allerdings nicht sicher.
    Barenberg: Wir werden es verfolgen müssen und abwarten, ob der OSZE-Vorsitzende morgen in Moskau mehr erreichen kann. Für den Moment vielen Dank, Harald Kujat, für Ihre Einschätzungen. Danke schön.
    Kujat: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.