Mittwoch, 24. April 2024

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Freigelassene Militärbeobachter
Geiselnahme ist ein "krimineller Akt"

Die Verschwörungstheorien zur Mission der OSZE kann der außenpolitische Sprecher der SPD, Niels Annen, nicht nachvollziehen. Der eigentliche Skandal sei die Geiselnahme und Zurschaustellung von unbewaffneten Beobachtern. Ganz offensichtlich würden die Geiselnehmer auch auf Moskau hören, sagte er im DLF.

05.05.2014
    Der SPD-Bundestagsagsabgeordnete Niels Annen im Porträtfoto
    Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD (picture alliance / dpa)
    Dirk Müller: Die verschiedenen Schauplätze, die vielen Nachrichten, die unterschiedlichen Entwicklungen sind kaum noch zu sortieren in der Ukraine. Weiter Proteste, weiter Gewalt, Schüsse, Prügeleien im Osten des Landes, aber auch in Odessa beispielsweise, in der "Stadt des Todes", wie eine Zeitung heute Morgen geschrieben hat. 50 Tote an diesem Wochenende nach einem Brand in einem Gewerkschaftsgebäude. Die Regierung in Kiew hat wohl längst die Kontrolle verloren, über viele Gebiete jedenfalls im Land, und die prorussischen Separatisten gewinnen immer häufiger die Oberhand.
    Es gibt die zivile Mission der OSZE mit fast 500 Beobachtern, potenziell jedenfalls, die vor Ort kontrollieren und verifizieren können, das alles mit Zustimmung Russlands und damit garantiert auch Moskau für die Sicherheit dieser Experten. 100 sind derzeit im Land. Anders die militärische Mission, darunter vier deutsche Soldaten. Acht waren es insgesamt. Für deren Sicherheit hat Moskau nicht garantiert und die Beobachter sind entführt worden, an diesem Wochenende schließlich wieder frei gekommen. Nun mehren sich die Vorwürfe gegen die Bundesregierung, dass sie ein solch riskantes Manöver abgenickt hat. Die OSZE-Geheimmission und das anschließende Desaster – unser Thema nun mit dem außenpolitischen Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, Niels Annen. Guten Tag!
    Niels Annen: Schönen guten Tag!
    Müller: Herr Annen, kann Peter Gauweiler auch einmal recht haben?
    Annen: Ja natürlich kann er auch einmal recht haben. Aber das ist nicht der Fall, zumindest nicht nach meiner Meinung. Ich finde die Äußerungen von Herrn Gauweiler, aber auch von einigen Politikerinnen und Politikern der Linkspartei schon irritierend, denn man muss doch noch mal darauf hinweisen, was der Kern dieser Mission ist. Das ist auch übrigens keine Geheimmission, sondern es finden Inspektionen statt auf Grundlage des Wiener Dokuments. Das ist ein Dokument, das vertrauensbildende Maßnahmen möglich machen soll, gerade in Krisensituationen. Dort werden militärische Einrichtungen und Zusammenziehungen von Truppen inspiziert, die Informationen darüber den Mitgliedsstaaten auch zur Verfügung gestellt, und das hat übrigens auch stattgefunden auf russischem Territorium während der Krise. Diese Informationen sind wichtig auch für die politische Bewertung, die eine Regierung vornehmen muss, und insofern finde ich, der eigentliche Skandal, über den man sich empören sollte, ist die Geiselnahme von unbewaffneten Beobachtern und die Zurschaustellung, die wirklich an alte vergangene Zeiten des Krieges erinnert. Das ist das eigentlich kriminelle Verhalten, das wir kritisieren müssen, und nicht jetzt hier irgendwelche Verschwörungstheorien nach vorne zu bringen.
    Müller: Das hat, Herr Annen, ja auch so gut wie jeder Deutsche, zumindest jeder Deutsche in der Politik auch getan: Empörung über die Geiselnahme. Die Tatsache an sich ist ja auch unstrittig in der Bewertung, bei den meisten Beobachtern jedenfalls. Wir reden über die deutsche Verantwortung, über die deutsche Mitverantwortung, über die deutschen Entscheidungsstränge und die deutschen Entscheidungsträger. Sie sagen, das war keine Geheimmission, also wussten Sie Bescheid.
    Annen: Ich habe über diese Mission nicht Bescheid gewusst, aber ich...
    Müller: Wer wusste denn da Bescheid?
    Annen: Das Verteidigungsministerium hat darüber natürlich Bescheid gewusst. Es ist ja eine Inspektion, die auf Antrag der ukrainischen Seite stattgefunden hat, sowie auch...
    Kein Grund von Geheimmission zu reden
    Müller: Und das reicht aus?
    Annen: Das reicht aus und es werden die anderen Partner der OSZE dort informiert. Ich finde, das ist ein ganz normales Routineverfahren, genauso wie ich es für eine Routinemaßnahme halte, was die Ministerin jetzt angekündigt hat, dass natürlich diese Mission jetzt auch noch einmal ausgewertet wird. Ich bin auch sicher, das wird stattfinden, und die Frage danach ist auch vollkommen legitim. Nur man muss hier jetzt zwei Dinge auseinanderhalten. Das eine ist eine, auch übrigens in Nicht-Krisenzeiten regelmäßig stattfindende Inspektion von militärischen Einrichtungen, die – ich sage das noch einmal – eingeführt worden ist, vertraglich vereinbart zwischen den Mitgliedern der OSZE, um vertrauensbildende Maßnahmen einzuleiten, und das andere ist eine politische Krise, in der wir uns befinden, in der es eine weitere OSZE-Mission gibt, die vereinbart worden ist auf Initiative nicht zuletzt unseres Außenministers. Dass das in der Öffentlichkeit manchmal etwas durcheinandergewürfelt worden ist, das kann ich verstehen, aber es gibt wirklich aus meiner Sicht keinen Grund, jetzt hier von einer Geheimmission oder möglicherweise sogar noch von einer gezielten Provokation zu sprechen, wie ich das in den letzten Tagen zum Teil ja auch gehört habe.
    Müller: Gut. Wenn keiner davon weiß, liegt das ja nahe, dass man sagt, Geheimmission. Die andere Mission, da sind ja viel, viel mehr Länder beteiligt, deswegen war das auch nicht geheim zu halten, wollte man auch nicht geheim halten, Europarat mit 57 Nationen, einschließlich der Zustimmung Moskaus. Da kann so niemand richtig verstehen, warum denn ausgerechnet diese kleine Aktion, die immerhin militärischen Charakter dahingehend hatte, dass es Offiziere sind, Offiziere waren, teilweise in Uniform, manchmal auch nicht, hat auch keiner verstanden, warum man das eigentlich so wahllos vor Ort entscheiden kann, dass die in die Krisenregion hereingehen. Jetzt hat Kiew gesagt, wir wollen diese Offiziere haben im Rahmen dieses Abkommens, Herr Annen, was Sie eben beschrieben haben. Das heißt, die Bundeswehrsoldaten wurden mit Zustimmung der Verteidigungsministerin in ein Gebiet geschickt, wo die ukrainische Regierung die Sicherheit nicht garantieren kann. Wie fahrlässig war das?
    Annen: Nun, Herr Müller, man muss ja nun erst mal dazu sagen, dass die Mission, die Inspektionen unter dem Wiener Dokument, die in den letzten Wochen stattgefunden haben, keinerlei öffentliche Reaktion hervorgerufen haben, was ja auch vollkommen logisch ist, weil dort die Teilnehmer dieser Inspektionen, die zum Teil ja auch unter dänischer Führung, unter Beteiligung der Bundeswehr stattgefunden haben, auf russischem Territorium eben nicht zu einer Entführung und einer völlig illegalen Art und Weise der Zurschaustellung und Geiselnahme geführt haben. Das ist der eigentliche Grund dafür. Und dass Experten und in diesem Fall Soldaten, die nicht bewaffnet mit einem Diplomatenpass ausgestattet diese Inspektionen vornehmen, ist eigentlich auch logisch, weil die über die notwendige Information, den notwendigen Sachverstand verfügen, um eine Bewertung von einer militärischen Situation vorzunehmen. Das genau ist ihre Aufgabe und deswegen finde ich, dass man natürlich – die Ministerin hat das angekündigt – jetzt sich die Details dieser Mission sicherlich noch einmal sehr genau wird anschauen müssen, auch die Frage...
    Verantwortung liegt bei Separatisten
    Müller: Und damit hat sie ja eingeräumt, dass nicht alles so gelaufen ist, wie man sich das vorgestellt hat.
    Annen: Na ja, wenn unbewaffnete Beobachter zu Geiseln genommen werden, dann ist natürlich etwas schief gelaufen. Aber die Verantwortung dafür liegt ja bei diesen sogenannten Separatisten, bei dem selbst ernannten Bürgermeister, der nach meinen Informationen übrigens auch noch weitere Gefangene in seiner Gewalt hält, um die wir uns auch kümmern müssen, was vor allem ukrainische Staatsbürger betrifft. Das ist eine kriminelle Aktion und die Bundeswehrsoldaten sind Opfer einer kriminellen Aktion geworden, und ich finde, das muss auch im Mittelpunkt der Berichterstattung, aus meiner Sicht zumindest der politischen Bewertung seitens der Politik stehen.
    Müller: Würden Sie mir, Herr Annen, in dem Punkt zustimmen, weil wir das so nachgelesen und gefunden haben, dass die anfordernde Regierung, Kiew in diesem Fall, für die Sicherheit dieser Mission, dieser Soldaten, dieser Offiziere und Beobachter garantieren muss?
    Annen: Das ist korrekt. Das ist richtig.
    Müller: Konnte Kiew im Osten der Ukraine Sicherheit garantieren?
    Annen: Nun, da die Beobachter entführt worden sind, konnte die Sicherheit ja sehr offensichtlich nicht garantiert werden.
    Müller: Und die Ministerin hat gedacht, die Sicherheitsgarantien reichen aus im Osten der Ukraine?
    Annen: Ich glaube, wir sind alle davon ausgegangen, dass eine Mission, die auf Grundlage eines Vertrages, der von allen OSZE-Staaten unterschrieben worden ist, einer Mission, die von nicht bewaffneten oder aus nicht bewaffneten Emissären besteht, die sich ausweisen konnten mit Diplomatenpässen, dass deren Immunität und Sicherheit von allen Konfliktparteien respektiert wird. Dass das nicht der Fall ist, zeigt, in was für einer krisenhaften Lage wir uns befinden, und natürlich wird man darüber reden müssen. Das hat die Ministerin völlig zu Recht angekündigt. Aber man muss sich auch darauf verlassen können, dass internationale Abkommen, die ja dafür geschaffen worden sind – ich wiederhole es noch mal -, in einer Krisensituation vertrauensbildende Maßnahmen möglich zu machen, dass das von allen Seiten respektiert wird. Dass das nicht der Fall ist, das ist der eigentliche Skandal.
    Geiselnehmer hören offensichtlich auf Moskau
    Müller: Die große OSZE-Mission, Herr Annen, steht ja auch nicht zur Diskussion und Disposition, jedenfalls aus Moskauer Sicht. Sie sagen, es ist ein krimineller Akt gewesen. Niemand redet offen darüber, auch die Ministerin nicht, auch gestern Abend in der ARD, inwieweit sie Russland als Drahtzieher dahinter vermutet. Sie hat es nur angedeutet, keine weiteren Spekulationen dort angestellt. Wissen Sie schon etwas darüber, oder wissen Sie Näheres, was Sie schon sagen können?
    Annen: Nein, ich verfüge da über denselben Kenntnisstand wie Sie. Das nehme ich zumindest an. Deswegen muss man nüchtern feststellen, dass unsere Bemühungen um die Freilassung am Ende in dem Augenblick erfolgreich waren, als sich der russische Präsident entschieden hat, einen Vermittler in die Region zu schicken. Und die Bewertung darüber, die kann, glaube ich, jeder vornehmen. Ich will damit nicht unterstellen, dass diese Geiselnahme vorher abgesprochen oder abgestimmt gewesen ist, aber ganz offensichtlich hören die Geiselnehmer auf das, was in Moskau von ihnen verlangt wird, was dort formuliert wird, und das ist natürlich auch eine Botschaft, die wir sehr wohl zur Kenntnis genommen haben.
    Müller: Das trauen Sie Moskau schon durchaus zu, wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, das zumindest mit initiiert wurde von dort aus?
    Annen: Nein. Ich habe gesagt, ich unterstelle nicht, dass es mit initiiert worden ist, genau das habe ich nicht gesagt, sondern ich nehme zur Kenntnis, dass in dem Augenblick die Geiseln frei gelassen worden sind, als sich der Kreml entschieden hat, einen Emissär in diese Stadt zu schicken, und das ist natürlich auch eine Botschaft, die bei uns angekommen ist. Man stellt sich natürlich schon die Frage, warum mehrere Tage vergangen sind, bis diese Initiative dann am Ende – dafür sind wir ja alle dankbar, auch für den Einsatz von Herrn Lukin -, bis diese Initiative dann am Ende zustande gekommen ist. Mein Eindruck ist, das hätte auch schon früher passieren können.
    Müller: Wir haben jetzt gar nicht mehr viel Zeit, aber Sie haben noch eine kurze Erklärung dafür, warum das so lange gedauert hat?
    Annen: Nein, ich habe dafür keine Erklärung. Ich habe auch keine Erklärung dafür, dass die russische Seite sich in ihren öffentlichen Äußerungen, um es einmal freundlich zu formulieren, bisher sehr zurückgehalten hat, und ich kann nur hoffen, dass die schrecklichen Bilder aus Odessa, aber auch die Nachrichten, die uns in diesen Minuten erreichen über Tote bei Kämpfen um Slawjansk, dazu führen, dass jetzt der Vorschlag von Frank-Walter Steinmeier aufgegriffen wird und es zu einer zweiten Genfer Konferenz kommt.
    Müller: Niels Annen bei uns, außenpolitischer Sprecher der SPD. Vielen Dank.
    Annen: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.