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Militärschlag gegen den Irak - Zweifel an der Wirksamkeit internationaler Sanktionspolitik

Nutz: Die Luftangriffe gegen den Irak werden von Washington und London fortgesetzt, voraussichtlich bis zum kommenden Sonntag, vielleicht auch länger. Präsident Bill Clinton hat noch einmal betont, es gehe um die Vernichtung von atomaren, chemischen und biologischen Waffenprogrammen, um eine Schwächung der revolutionären Garden dazu, der berüchtigten Leibgarde des Präsidenten. Sollte dabei die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden, sei das bedauerlich. - Am Telefon ist nun Gernot Erler, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und damit zuständig innerhalb der Fraktion für internationale Politik. Guten Morgen!

    Erler: Guten Morgen!

    Nutz: Herr Erler, wenn man die politischen Reaktionen seit gestern aus dem verbündeten Ausland und auch in Deutschland zusammenfaßt, wird der militärische Schlag gegen Irak zwar bedauert, aber für notwendig befunden, um Iraks Präsident Saddam Hussein zur Raison zu bringen. Ist das auch Ihre Reaktion nach der zweiten Nacht der Bomben?

    Erler: Ja, ich teile auf jeden Fall das Bedauern darüber, daß es jetzt zu diesem Militärschlag gekommen ist und daß er auch noch fortgesetzt wird. In der Tat kann man natürlich diese Maßnahme der amerikanischen Regierung nicht trennen von der Vorgeschichte, und in dieser Vorgeschichte hat es eindeutige Warnungen an Saddam Hussein gegeben, hat es auch Zusagen von ihm gegeben, zuletzt vom 14. November, doch nun die Regeln der UNO einzuhalten und die AnsCom arbeiten zu lassen. Das ist ganz offensichtlich nicht passiert. Das heißt, unerwartet kann das weder für die Weltöffentlichkeit noch für das irakische Regime gekommen sein.

    Nutz: Das heißt, Sie glauben auch diese offizielle Begründung für die Militäraktion aus Washington, so wie Sie sie eben auch genannt haben, ist das wahre Bestreben, daß diese genannten Ziele die wirklichen Ziele sind und nicht etwa andere wie zum Beispiel innenpolitische in den USA?

    Erler: Nein, ich meine, das wäre, glaube ich, eine Interpretation, die sehr gehässig wäre, wenn man hier etwa prioritär innenpolitische Gründe anführen würde. Natürlich kann man nachdenken über den zeitlichen Zusammenhang, diese sehr enge Verbindung mit dem Amtsenthebungsverfahren. Man muß aber die Kette der Vorwarnungen sehen. Die Ankündigung, es sei eine sehr ernste Lage entstanden, stammt schon von vor mehreren Tagen. Es ist ja auch schon erwartet worden, daß jetzt etwas passiert. Insofern sehe ich hier schon eher die Vorgeschichte in den irakischen Beziehungen zur Weltöffentlichkeit.

    Nutz: Herr Erler, wohin soll dieser Militärschlag führen? Der Golfkrieg vor acht Jahren hat nichts an Saddams Machtposition geändert. Die Sanktionen haben nicht geschreckt. Was soll nun dieser neuerliche Militärschlag tatsächlich bringen?

    Erler: Dieser neuerliche Militärschlag ist natürlich ein Beleg dafür, vor allen Dingen für das Regime in Bagdad, daß es größte Gefahr läuft, wenn es die Auflagen der Vereinten Nationen nicht befolgt und wenn es nicht kooperativ ist mit der Mission AnsCom. Die Frage ist natürlich wirklich - und darauf konzentriert sich das ganze öffentliche internationale Interesse -, wie kommt man zu der Brücke zwischen diesem Bombardement, was jetzt stattfindet, und einem Gespräch über eine politische Lösung, wie kommt man dahin. Die große Gefahr besteht, daß selbst nach einigen Tagen Bombardement, sagen wir mal nach vier Nächten, so wie es im Augenblick aussieht, Saddam keineswegs einbilligt. Was passiert dann. Dann steht das Prestige der Vereinigten Staaten auf dem Spiel. Dann kann man sich nicht vorstellen, daß die amerikanische Regierung sagt, nun gut, das ist es gewesen, sondern dann muß man befürchten, daß die Bombardments möglicherweise fortgesetzt werden mit dem Ziel, doch noch ein Einlenken zu erreichen. Ich glaube, dann wird es erst richtig schwierig in der internationalen Diskussion.

    Nutz: Nach Klausewitz muß man nicht nur wissen, wie man in einen Krieg hineingeht, sondern auch wie man herauskommt. Das Ergebnis scheint ja in diesem Fall mehr als fraglich?

    Erler: Ja, ich denke, hier müssen wir gemeinsam versuchen, auch übrigens mit denen, die jetzt große Kritik üben an diesem Vorgehen, besonders mit Moskau, aber auch mit den Chinesen, einen Weg zu finden, denn niemandem kann ja daran gelegen sein, daß das ganze in eine Patt-Situation führt, bei der vielleicht nur noch eine Fortsetzung des Bombardements ohne erkennbare politische Zielsetzung zur Verfügung steht.

    Nutz: Ich habe es eben angedeutet, acht Jahre Sanktionen haben auch nichts gebracht. Hat denn diese Militäraktion auch das Scheitern der Sanktionspolitik bewiesen? Muß man dort mit anderen Mitteln arbeiten?

    Erler: Nein, hier muß ich widersprechen. Das stimmt nicht. Acht Jahre Sanktionen haben sehr viel gebracht. Man weiß heute, daß diese acht Jahre der UNO-Mission viel mehr Abrüstung im Irak gebracht haben als der ganze Golfkrieg es vermochte. Zum Beispiel ist ja ganz offiziell auch die Akte über die atomare Kontrolle bereits zugemacht worden. Man weiß also hier, daß im Augenblick keine Gefährdung von der Politik Husseins ausgeht. Jetzt geht es noch um die Herstellungsmöglichkeiten biologischer und chemischer Waffen. Das ist noch nicht definitiv erklärt, aber das war eine sehr, sehr erfolgreiche Mission. Die Weltöffentlichkeit drängt, meine ich, aber mit Recht darauf, daß diese eben erfolgreich abgeschlossen wird, daß wir wirklich wissen, es gibt keine Gefährdung bei diesem Regime, das bewiesen hat, daß es solche Massenvernichtungswaffen auch wirklich einsetzt, notfalls gegen Nachbarn, aber auch gegen die eigene Bevölkerung. Dieses Recht besteht, und deswegen ist auch die entscheidende Frage, wann und wie wird AnsCom fortgesetzt. Die Bombardierung ist keine Alternative dazu, denn wenn wir schon alles wüßten über die Bestände des Irak und sie jetzt aus der Luft zerstören könnten, dann brauchten wir auch keine AnsCom. Das heißt, dann hätten wir erfolgreich gearbeitet und alles gefunden. Das ist ja gerade das Problem. Es muß fortgesetzt werden.

    Nutz: Herr Erler, trotzdem noch einmal: Acht Jahre Sanktionen haben ja vor allem die Zivilbevölkerung getroffen und damit Saddam Hussein wiederum auch stark gemacht.

    Erler: Die Zivilbevölkerung ist von den Sanktionen, die AnsCom als Drohmittel begleitet haben, damit die Kooperationsbereitschaft des Regimes hergestellt wird, betroffen worden, natürlich nicht von der Mission selber. Die war aber in ihrer Arbeit erfolgreich. Sie hat sehr viel Klarheit gebracht, wie gesagt bei einem Teil sogar schon abschließende Klarheit über die irakischen Fähigkeiten und über die irakischen Programme. Ich sage noch einmal: Zu einer Fortsetzung dieser Mission auf irakischem Boden gibt es keine Alternative, auch keine militärische Alternative, denn das Problem ist, daß wir eben leider noch nicht wissen, wo diese Herstellungsfähigkeiten des Iraks im einzelnen sind, und das kann ein Bombardement auch nicht lösen.

    Nutz: Herr Erler, Amerikaner und Briten haben im Alleingang gehandelt. Müssen sich Deutsche und Europäer darauf einrichten, daß dies zum Normalfall wird?

    Erler: Das wäre eine Verschlechterung der weltweiten Friedens- und Sicherheitspolitik. Das kann kein Modell sein. Das ist jedenfalls auch die Überzeugung der neuen deutschen Bundesregierung und der Mehrheit im deutschen Bundestag. Als ein Zeichen der Sorgen, die wir uns machen, wird heute der auswärtige Ausschuß zu einer Sondersitzung in Bonn zusammentreten und sich auch berichten lassen. Wir wünschen uns, daß eine andere Form der internationalen Entscheidungen hier etabliert wird, und es wäre auch ein sehr negatives Zeichen dieser Aktion, wenn die UNO an die Seite gedrückt würde. Das wollen wir nicht. Hier werden wir versuchen, eine andere Richtung anzustreben.

    Nutz: Ganz kurz noch: Das Verhältnis zu Russland ist nun mehr als belastet. Der russische Verteidigungsminister wird heute nicht wie geplant an der NATO-Herbsttagung in Brüssel teilnehmen. Riskieren die Bomben auf Bagdad eine Art neuer Blockbildung?

    Erler: Es gibt politische Gefährdungen, die jetzt schon eingetreten sind. Ich denke, daß die Amerikaner sich dieses Risikos bewußt waren. Die Duma hat gesagt, es handele sich um einen Akt des internationalen Terrorismus. Leider ist auch, was durchaus negativ ist, die Behandlung des START-II-Vertrages, also der atomaren Abrüstungsfortsetzung, auf unbestimmte Zeit vertagt worden. Das stand vor der Tür. Ich komme gerade gestern aus Moskau und St Petersburg und habe speziell darüber mehrere Gespräche geführt, wo es so aussah als ob eine gute Chance bestand, diesen wichtigen Vertrag jetzt zu machen. Es hat also schon negative Reaktionen hier gegeben. Die Russen fordern die Absetzung von AnsCom-Chef Richard Butler und haben möglicherweise sogar einen Teil ihrer Streitkräfte mobilisiert. Das signalisiert, daß es hier ein hohes politisches Risiko gibt, und das meinte ich auch als ich gesagt habe, wir brauchen auch die Russen jetzt bei einer Lösung, bei dem Übergang von der militärischen Aktion zu einem vernünftigen politischen Ergebnis mit Saddam. Das kann nur heißen: Kooperation mit AnsCom.

    Nutz: Im Deutschlandfunk war das Gernot Erler, stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender und ihr außenpolitischer Sprecher. Vielen Dank!