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Milliarden auf Abwegen

Mal werden Operationen abgerechnet, die es nie gegeben hat, mal werden Rezepte für Medikamente ausgestellt, die kein Patient je abholt. Ärzte, die falsch abrechnen, sind keine Seltenheit mehr. Wie wird so einer zum Betrüger? Ein genauerer Blick lohnt sich.

von Nikolaus Nützel | 27.07.2005
    Es gab Zeiten in Deutschland, da ging es in den meisten Arztpraxen zu wie im Taubenschlag. In den 70er, 80er und auch noch in den frühen 90er Jahren gab es für Ärzte viel Arbeit und meist auch viel Geld. Ein Chirurg mit eigener Praxis, wir nennen ihn Dr. Egon Bechler, erinnert sich daran: "Der niedergelassene Facharzt war 1995 ein gemachter Mann."

    Doch zehn Jahre nach seiner Entscheidung, sich in Bayern mit einer eigenen Praxis niederzulassen, ist der Chirurg kein gemachter Mann und er möchte seinen wahren Namen lieber nicht im Radio hören. Denn er hat mehrere hunderttausend Euro Schulden. Und ihm drohen dreieinhalb Jahre Gefängnis.

    Der einstmals erfolgreiche Arzt Dr. Bechler ist zum Betrüger geworden. Wenn die zweite Instanz, die im August über seinen Fall entscheidet, nicht deutlich anders urteilt als das Amtsgericht, dann muss der heute 55-jährige ins Gefängnis. Wenn er wieder herauskommt, wird er vermutlich ein Sozialfall sein.

    "Meine Existenz ist vernichtet. Also unwiderbringlich."

    Mehr als 1400 Mal hat der Chirurg falsch abgerechnet. Weit mehr als 400.000 Euro sind dadurch unrechtmäßig auf sein Konto geflossen. Es scheint alles eindeutig zu sein im Fall des Arztes, den wir Dr. Bechler nennen: Ein Betrüger, der erwischt wurde und der deshalb ins Gefängnis muss. Doch je länger man mit dem Arzt spricht, desto mehr verschwimmen schwarz und weiß, richtig und falsch. Es sei im Grunde eine tragische Verstrickung gewesen, sagt er:

    "Es ist Notwehr."

    Ob es wirklich Notwehr ist, wenn ein Arzt falsch abrechnet, daran kann man durchaus massive Zweifel haben. Nur eines kann man mit Sicherheit feststellen: Seinen Fehltritt hat der Chirurg dort begangen, wo über die Gesundheit der Menschen in Deutschland entschieden wird. Alleine deshalb schon lohnt es sich, etwas genauer hinzusehen, wie jemand, der in diesem System arbeitet, zum Betrüger werden kann.

    "Pillen für Tote – Manipulateure in Weiß – Milliardenbetrug im Gesundheitswesen – Staatsanwälte stürmen Arztpraxen"."

    Schlagzeilen über betrügerische Ärzte sind immer wieder zu lesen. Die Methoden, mit denen betrogen wird, sind vielfältig. Mal werden Operationen abgerechnet, die es nie gegeben hat, mal werden Rezepte für Medikamente ausgestellt, die kein Patient je abholt – dennoch kassieren Ärzte und Apotheker dafür Geld von den Krankenkassen und teilen es hinterher auf. Das Ergebnis ist nach Ansicht von Gernot Kiefer eindeutig.

    Er befasst sich im Auftrag aller gesetzlichen Kassen mit Betrug im Gesundheitswesen. Vor zwei Jahren sorgte er für erhebliches Aufsehen mit seiner Schätzung, dass mindestens eine Milliarde Euro durch so genanntes Fehlverhalten verloren gehen. Er steht auch heute zu dieser Aussage:

    ""Ich gehe davon aus, dass eine große Anzahl, jede fünfte ärztliche Abrechnung falsch ist. Das muss nicht unbedingt heißen, dass betrügerisch ist, oder dass sie aus Korruption entspringt, aber dass sie falsch ist. Und gerade in den letzten zwei Jahren ist es so, dass die Berichte und die Erkenntnisse über Betrug und Korruption im Gesundheitswesen zugenommen haben, so dass meine Aussage, dass mindestens eine Milliarde Euro Schaden für das Gesundheitswesen durch korruptives und betrügerisches Verhalten, entsteht, aus meiner Sicht nach wie vor steht. Eine eher auch zurückhaltende Schätzung, weil ich kein Interesse an Skandalisierung über große Zahlen habe."

    Die Schätzung des Kassen-Funktionärs ist in der Tat keineswegs die höchste, von der man lesen kann. Der Verband Transparency International, der sich die Bekämpfung von Korruption in der gesamten Wirtschaft zur Aufgabe gemacht hat, schätzt die Summe, die im deutschen Gesundheitswesen durch Betrug erschlichen wird, oder auf andere Weise in die falschen Hände gerät, auf 6 bis 20 Milliarden Euro.

    Ein Hauptgrund dafür ist nach Ansicht von Transparency International die Komplexität des Systems, durch das die Ärzte ihr Geld bekommen. Die Kassen reichen jedes Jahr zweistellige Milliardensummen an die Kassenärztlichen Vereinigungen – wie viel es genau ist, legt zum einen die Politik fest, zum anderen ist es Verhandlungssache. Die Kassenärztlichen Vereinigungen verteilen das Geld anschließend nach einem komplizierten Schlüssel an die einzelnen Mediziner. Dieses so genannte Sachleistungsprinzip hat einige Vorteile: Für die Patienten der gesetzlichen Kassen ist es sehr bequem. Sie müssen nur ihre Chipkarte abgeben und haben sonst nichts mit der Bezahlung der Ärzte zu tun. Außerdem lässt sich über das Sachleistungsprinzip sehr genau steuern, wie viel Geld insgesamt an die Ärzteschaft fließt – ein Vorteil, den Gesundheitspolitiker und Krankenkassen zu schätzen wissen.

    Doch das Abrechnungssystem bietet auch eine ganze Reihe von Möglichkeiten zum fast perfekten Verbrechen. Der Arzt, den wir Dr. Bechler genannt hatten, hat sich für seinen Betrug eine beinahe sichere Methode gesucht: Er hat sich von Patienten, die er im Auftrag der Berufsgenossenschaft behandelt hat, ihre Krankenkassen-Chipkarte geben lassen. Damit hat er dann bei den Krankenkassen Operationen abgerechnet, die nie stattgefunden haben. Korrekte Abrechnung bei der Berufsgenossenschaft, plus falsche Abrechnung bei der Krankenkasse - Das könne fast nicht auffallen, weiß Peter Einhell, er ist der Leiter der Prüfabteilung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns:

    "Diese Daten werden nicht zusammengespielt. Nicht, weil wir das nicht wollen, sondern weil es datenschutzrechtlich verboten ist. Das heißt, wenn ein Arzt eine Leistung bei einer gesetzlichen Krankenversicherung abrechnet, und sie auch noch einmal bei einer Berufsgenossenschaft abrechnet, dann gibt es keinen Mechanismus, der das auffällig macht."

    Dr. Bechlers Betrug ist nur aufgeflogen, weil ein Patient sich geärgert hat, dessen Röntgenbilder nicht mehr auffindbar waren. Der Patient glaubte, Dr. Bechler sei daran schuld, und schwärzte ihn bei der Krankenkasse an. So kam mehr aus Zufall heraus, dass der Arzt über 1400 Operationen abgerechnet hatte, die er nie durchgeführt hat.

    Die 90 Mitarbeiter, die alleine in Bayern bei der Kassenärztlichen Vereinigung nach Betrugsfällen suchen, hatten nichts von Dr. Bechlers Machenschaften gemerkt. Der Leiter der Prüfabteilung, Peter Einhell, verteidigt seine Leute – Sie deckten vieles auf, sagt er. Doch bei echter krimineller Energie seien sie fast machtlos:

    "Dann ist das ein bewusster Betrug, der wie in allen anderen Berufsgruppen, in allen anderen Bereichen per se auch durch das komplexeste Regelwerk nicht erkannt werden kann. Hier kommen dann nur Schlüssigkeitskriterien, die so etwas aufdecken, oder die böse Mitarbeiterin der gekündigt wurde, und die dann den Betroffenen hinhängt."

    Das Regelwerk für die Abrechnung der Ärzte, Zahnärzte und Apotheker ist also so kompliziert, dass Betrug oft nur durch Zufall aufgedeckt wird. Peter Einhell von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern findet das bedauerlich – Doch sein Verband sei nicht schuld daran, sagt er:

    "Die Ärzte haben nicht so ein kompliziertes Regelwerk erfunden, weil sie gerne vielseitige Gebührenordnungen haben. Sondern das Regelwerk hat dadurch extrem an Komplexität gewonnen, weil es halt um eine Mangelverwaltung geht. Wie sicher bekannt ist, werden die Ärzte nicht direkt nach erbrachten Leistungen bezahlt, sondern sie werden mit Punkten, man sagt auch Muschelwährung dazu, bezahlt. Und diese Muschelwährung wird erst wesentlich später in einen Eurobetrag umgesetzt. Und der Versuch, die Beträge möglichst gerecht zu verteilen, führt zu diesen komplexen Regelungen."

    Der Arzt, den wir Dr. Bechler nennen, hat zur Frage, wie kompliziert das Abrechnungssystem denn sei, nur eine Anmerkung: Im ersten Jahr nach der Gründung seiner Praxis habe er rund 50 000 Euro sozusagen verschenkt, sagt er. Weil er aus Versehen zu wenig in seine Abrechnungen geschrieben habe – mangels Durchblick. Und der Chirurg hat noch andere Erfahrungen mit dem Abrechnungssystem gemacht. Er empfand es nicht nur als kompliziert, sondern auch als ausgesprochen ungerecht:

    "Es ist in den Fachgruppen sehr unterschiedlich. Wenn Sie das Glück haben, operierender Augenarzt zu sein, bekommen Sie für – ich drücke es platt aus – für die Linsenoperation 650 Euro. Die Operation dauert 12 Minuten. Und die Investition an Geräten und Instrumentarien liegt bei etwa 100 000 Euro, grob gesagt. Und Sie brauchen für diesen Eingriff einen Assistenten. Wenn Sie aber Unfallchirurg sind, und Sie operieren einen Speichenbruch, wofür Sie im Schnitt eine Stunde brauchen, ebenfalls ein Instrumentarium von 100 000, einschließlich der Durchleuchtungsapparate, einen Assistenten brauchen und einen sterilen Operationssaal - dann bekommen Sie 300 Euro. Der Augenarzt sieht den Patienten ein bis zwei Tage vor der Operation und einen Tag nach der Operation. Der Unfallchirurg operiert den Patienten und behandelt ihn Minimum sechs Wochen mit den entsprechenden Kontakten. Das ist also ungleich verteilt."

    Ein aufwändiger Eingriff bringt 300 Euro, ein wesentlich weniger aufwändiger Eingriff bringt mehr als das doppelte - Das sei nicht die einzige Schieflage im Vergütungssystem der Kassenärzte, meint der Chirurg. Das System bestraft auch Ärzte, deren Patienten sehr oft in die Praxis kommen. Denn es gibt pauschale Werte, wie viele Behandlungen pro Patient bezahlt werden. Was darüber hinausgeht, wird dem Arzt einfach weg gestrichen.

    Seit gut zehn Jahren versuchen die Gesundheitspolitiker auf diese Weise, die Kosten im Griff zu behalten. Der Chirurg, den wir Dr. Bechler nennen, sagt, diese Budgetierung habe dazu beigetragen, dass er kriminell wurde.

    Denn er habe überdurchschnittlich viele Patienten behandelt, die sehr oft in seine Praxis kamen – Menschen beispielsweise, die an schlecht heilenden Wunden litten.

    "Mir wurden – ich habe die Tabelle vor mir liegen – zwischen 70 und 45 Prozent aller Leistungen dadurch einfach weg gestrichen. Und nicht bezahlt. Und das bringt einen in wirtschaftliche Not. Und aufgrund dessen, dass man es erst sehr viel später erfährt, dann lange versucht, das zu verbessern, indem ich auf politischem Wege, auf standespolitischem Wege versucht habe, diese Vergütung zu verbessern, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen, kommt man erst sehr spät darauf, dass es ausweglos ist, und dass man in einer wirtschaftlichen Lage ist, die sich nicht korrigieren lässt."

    In der Tat hat Dr. Bechler sich einige Zeitlang "standespolitisch engagiert", wie man bei den Ärzten sagt. Das heißt, er hat versucht, dafür zu sorgen, dass die Chirurgen mit eigener Praxis besser bezahlt werden. Er hat mit der Kassenärztlichen Vereinigung und den Krankenkassen verhandelt. Doch seine standespolitischen Verhandlungen verliefen nicht so, wie er gehofft hatte. Und er bekam mit, dass manche Kollegen einen anderen Weg gewählt haben: Sie fingen an, das undurchschaubare Abrechnungssystem zu ihren Gunsten zu manipulieren. Alle drei Monate bestätigen die Ärzte mit ihrer Unterschrift, dass ihre Abrechnung korrekt ist.

    Am Anfang nehme man diese Unterschrift auch noch ernst, so erzählen es viele Mediziner. Doch mit der Zeit sähen viele die Bedeutung ihrer eigenen Unterschrift nicht mehr so eng, berichtet eine Allgemeinärztin, die lieber nicht ins Mikrofon sprechen möchte, und deren Einblicke wir deshalb vorlesen:

    "Das Problem ist, dass Ärzte erst einmal keine Ahnung von Betriebswirtschaft haben. Und deshalb schneiden sie sich – gerade am Anfang – oft ins eigene Fleisch, weil sie Fehler machen bei der Führung ihrer Praxis. Und dann haben sie hinterher eben das Gefühl, sie müssten diese Fehler wieder ausgleichen, indem sie bei der Abrechnung schummeln. Und außerdem haben sie das Gefühl, dass die Bezahlung, die ihnen von der Politik zugestanden wird, einfach nicht gerecht ist. Da gibt es beispielsweise den so genannten kalkulatorischen Arztlohn als Richtwert, was ein Arzt verdienen soll. Das sind um die 45 Euro in der Stunde, also das gleiche, was ein Handwerker auf seine Rechnung schreibt. Nichts gegen Handwerker – Aber da denkt man sich als Arzt natürlich schon, warum soll man mit Hochschulstudium, Promotion, Facharztausbildung und einem ausgesprochen verantwortungsvollen Beruf eigentlich das gleiche verdienen wie ein Klempner?"

    Eigentlich beruhe das Abrechnungssystem in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Vertrauen, sagt der Chirurg. Denn niemand schaue den Medizinern über die Schulter und kontrolliert, ob sie das, was sie aufschreiben, tatsächlich getan haben. Als noch genügend Geld geflossen sei, hätten auch die Ärzte dem Bezahlungssystem vertraut. Doch spätestens seit der Einführung der Budgetierung sei es damit vorbei:

    "Eine saubere Abrechnung wird in einem System schwierig, das einerseits auf Vertrauen beruht, andererseits aber wesentliche Teile der Mitglieder in diesem System in eine unerträgliche Bedrängnis bringt. Es ist Notwehr. Ich habe es nicht getan, um mein Geld auf die Spielbank zu tragen, sondern ich habe es eigentlich gemacht, um der Gesellschaft zu dienen. Allerdings unter der Voraussetzung, unseren Lebensunterhalt damit verdienen zu können. Ich wollte nicht ein unrechtmäßiges Geld."

    Krankenkassen-Vertreter, die solche Argumente hören, werden in der Regel ziemlich schnell ungehalten. Gernot Kiefer, der sich für alle gesetzlichen Krankenkassen um Abrechnungsbetrug kümmert, verwendet deutliche Worte, wenn Ärzte Mauscheleien oder gar Betrug rechtfertigen:

    "Ich kenne die Argumentation. Ich halte sie für pervers. Wenn das sozusagen eine Rechtfertigung wäre, könnten Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in der Bundesrepublik sagen: Unsere Löhne sind in den letzten Jahren gefallen, also haben wir auch die Legitimation gegenüber unserem Arbeitgeber durch betrügerische Verhaltensweisen Schäden zuzuführen. Das entzieht jeder Rechtsstaatlichkeit den Boden."

    Die Rechtsstaatlichkeit durchsetzen – gerade wenn betrügerische Ärzte behaupten, sie hätten aus einer Art Notwehr gehandelt, das hält auch Hans-Jürgen Mahnkopf für unentbehrlich. Er ist Oberstaatsanwalt in Hannover mit Schwerpunkt Abrechnungsbetrug. Er glaubt nicht, dass eine bessere Bezahlung der Mediziner die Zahl der Betrugsfälle wohl senken würde:

    "Ärzte sind nicht anders als andere Berufsgruppen in Deutschland. Auch bei anderen Berufsgruppen wird – in Anführungszeichen – budgetiert. Die Erfahrungen, die wir sammeln mit Ärzten – und dort kennen wir ja häufig in Ermittlungsverfahren die persönlichen Verhältnisse – zeigen doch recht deutlich, dass die Ärzte nicht gerade am unteren Limit verdienen."

    Der Staatsanwalt setzt deshalb vor allem auf die Mittel, die Staatsanwälte üblicherweise für die richtigen halten: Strafen, die potenzielle Verbrecher abschrecken sollen – mitunter auch empfindliche Haftstrafen. Der Arzt, der mehr als 1400 Operationen falsch abgerechnet hat, habe mit 3einhalb Jahren Gefängnis in der ersten Instanz ein hohes Strafmaß erhalten, räumt der Oberstaatsanwalt ein.

    Ähnliche Strafen bekommen sonst Bankräuber oder Menschen, die wegen versuchten Totschlags verurteilt werden. Aber der Oberstaatsanwalt Mahnkopf glaubt, drastische Strafen für betrügerische Ärzte könnten ein geeignetes Mittel zur Abschreckung sein:

    "Ob es wirkt, wird die Zukunft zeigen, weil es noch sehr wenige Verurteilungen in diesem Bereich gibt mit sehr hohen Strafen. Bei den Leuten, und bei den Ärzten, bei denen wir hohe Strafen erwirkt haben, haben die Ärzte es letztendlich eingesehen."

    Jedoch tun sich die Staatsanwälte oft schwer, betrügerische Ärzte vor Gericht zu bringen. Denn das Sozialversicherungsrecht ist ausgesprochen kompliziert. Ob ein Arzt eine falsche Ziffer absichtlich eingetragen hat, oder vielleicht nur aus Versehen, lässt sich nur schwer belegen. Und die Ermittler sind darauf angewiesen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen ihnen möglichst viel verwertbares Material liefern – was zumindest in der Vergangenheit nicht immer der Fall war, so erzählen einzelne Staatsanwälte.

    Seit Anfang vergangenen Jahres soll eine Gesetzesänderung die Strafverfolger in ihrer Arbeit unterstützen. Seitdem sind Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen dazu verpflichtet, eigene Stellen einzurichten, die gegen Abrechnungsbetrug vorgehen. Der Staatsanwalt Hans-Jürgen Mahnkopf hat dazu allerdings eine zwiespältige Meinung:

    "Im Prinzip ist das, was der Gesetzgeber gemacht hat sicherlich zu begrüßen. Eine Vereinfachung der Arbeit sehe ich nicht unbedingt. Die neuen gesetzlichen Regelungen haben einen – in Anführungszeichen - eher appellativen Charakter. Sie haben eigentlich nur die Rechtslage, die die Gerichte schon gesetzt hatten, fortgesetzt."

    Im Prinzip begrüßenswert – aber eigentlich wenig Neues, sagt der Staatsanwalt.

    Bei den Krankenkassen sieht man die Sache deutlich anders. Gernot Kiefer vom Bundesverband der Innungskrankenkassen hält die neu eingeführten Anti-Korruptionsstellen für sehr nützlich. Sie hätten zwar keine völlig neue Qualität in die Betrugsbekämpfung gebracht, räumt er ein. Aber sie hätten dafür gesorgt, dass Betrug im Gesundheitswesen zum Thema einer politischen Diskussion wird:

    "In den Anfangsjahren musste ich mich quasi permanent damit auseinandersetzen, dass ich als Nestbeschmutzer von Seiten der Ärzte und Krankenhäuser bezichtigt wurde. Jetzt ist völlig klipp und klar: Der deutsche Bundestag, der Gesetzgeber hat gesagt: Es ist die Aufgabe der Krankenkassen, es ist die Aufgabe der Kassenärztlichen Vereinigungen, systematisch, wie es es nennt Fehlverhalten im Gesundheitswesen nachzugehen. Das ist psychologisch eine sehr wichtige Bedeutung."

    Überhaupt dürfe man die Psychologie nicht unterschätzen, wenn es darum gehe, Abrechnungsbetrug und Korruption zu bekämpfen, meint Gernot Kiefer. Es müsse Schluss damit sein, dass Ärzte sich als Opfer eines vermeintlich ungerechten Abrechnungssystems empfinden – und deshalb glauben, sie könnten dieses System manipulieren:

    "Ich glaube, man muss auf beides setzen: Vereinfachung des Systems und ein Stück auch Bewusstseinswandel herbeiführen, dass man es hier nicht einem Phänomen zu tun hat, was ein Stückweit Kavaliersdelikt-Charakter hat. Das ist es nicht, sondern Korruption ist eine Seuche. In jedem Wirtschaftssystem."

    Ob sich Abrechnungsbetrug unter Ärzten jemals ganz beseitigen lässt, darüber will der Kassenvertreter keine Vorhersage abgeben. Er hoffe es, sagt er. Sein Gegenpart von der Kassenärztlichen Vereinigung, Peter Einhell, ist da deutlicher. Er glaubt nicht daran, dass die Schwarzen Schafe unter den weißen Kitteln irgendwann ganz verschwinden.

    "Das halte ich nicht für möglich, wenn es hier einen Weg gäbe, den man beschreiten könnte, dann wäre die Kriminalität in der gesamten Bevölkerung auf Null zu setzen, das wäre natürlich ein schönes Idealbild, aber keiner glaubt, dass es so wird."