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Milliardenloch im Gesundheitswesen

Gerner: Der Patient Gesundheitswesen liegt weiter auf der Intensivstation. Obwohl die Beiträge im Januar um fast 1 Prozent heraufgesetzt wurden, melden die Kassen erneut ein Milliardenloch. Das genaue Ergebnis will Gesundheitsministerin Ulla Schmidt heute vorstellen. Man braucht kein Prophet zu sein. Die Frage ist, wo ist das Rezept, um die Kostenlawine im Gesundheitswesen aufzuhalten? Sie wird wohl auch heute unbeantwortet bleiben, oder irre ich mich? Die Frage geht an Professor Karl Lauterbach, Mitglied im Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Gibt es ein Patentrezept?

    Lauterbach: Patentrezepte gibt es nicht. Wir wissen mittlerweile sehr genau, was nicht wirkt: und zwar wirkt die alleinige Kostensenkungspolitik nicht. Das heißt, man lässt alles wie es ist. Die Qualitätsprobleme, die im System bestehen, belässt man so, wie man sie vorfindet. Gibt man vor, Ihr dürft nicht mehr ausgeben, dann klappt das einfach nicht. Da hat die Regierung auch schon die Wende vollzogen und leitet jetzt qualitätssichernde Maßnahmen ein, deren Wirkung aber erst im Laufe des Jahres und auch im nächsten Jahr einsetzten dürfte.

    Gerner: Herr Lauterbach, ich denke, die Frage drängt sich auf: Warum haben die jüngsten Beitragserhöhungen keine Besserungen, sondern ein neues Milliardenloch gebracht?

    Lauterbach: Zum einen steigen die Kosten nur stark bei wenigen Kassen. Es gibt sogar Kassen, die die Beiträge senken. Der Grund ist, dass derzeit billige Kassen junge und gesunde Versicherte nach wie vor gewinnen und teure Kassen auf Kranken sitzen bleiben, wenn man so will.

    Gerner: Dem wollte die Ministerin doch einen Riegel vorschieben?

    Lauterbach: Ja, das wirkt auch, aber der Beginn dieses Gesetztes ist ja für den 1.7. geplant, das heißt, Kassen, die viele chronisch Kranke gut versorgen, kriegen dann mehr Geld aus dem Finanzausgleich. Das ist dringend notwendig. Der Beginn dieser sogenannten Chronikprogramme ist aber erst für den 1.7. vorgesehen und kann somit erst frühestens in der zweiten Hälfte des Jahres wirken.

    Gerner: Die finanzielle Grenze, bei der ein Wechsel erlaubt worden ist, ist ja schon einmal angehoben worden. Jetzt soll sie noch höher geschraubt werden. Ist das legitim? Wozu führt das?

    Lauterbach: Das betrifft jetzt den Wechsel in die private Krankenversicherung. Das ist ebenfalls vorgesehen nach der Wahl. Das Problem, was wir jetzt gerade beschrieben haben, betrifft den Wechsel innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung, das heißt also von einer teuren zu einer billigen Kasse, wo nur die Gesunden wechseln. Das darf man nicht erschweren. Der Wettbewerb der Kassen ist schon sinnvoll. Die Kassen müssen aber die Möglichkeit haben, sich bei der Qualität zu unterscheiden, und nicht nur beim Preis. Das ist bislang das große Problem: Bisher durften sich die Kassen nur beim Preis unterscheiden und nicht bei der Qualität. Somit wechseln die Gesunden zu den Billigkassen.

    Gerner: Herr Lauterbach, es heißt, dass das neue Milliardenloch auch da wäre wegen des wachsenden Arzneimittelverbrauchs. Verlangen die Patienten da mehr oder verschreiben die Ärzte einfach mehr?

    Lauterbach: Der Anstieg der Arzneimittelausgaben konnte deutlich durch die Instrumente, die jetzt hier zum Einsatz gekommen sind, gebremst werden. Die Entwicklung ist noch nicht ganz gebremst, ist aber deutlich entschleunigt worden. Ich glaube nicht, dass die Gesamtarzneimittelkosten noch nennenswert gestiegen sind. Was ich viel problematischer finde, ist, dass wir viel Geld für Arzneimittel ausgeben, die keine gesicherte Wirksamkeit haben. Das kann, wie gesagt, nur durch die Qualitätsprogramme durchbrochen werden.

    Gerner: Sind teure Medikamente auch die besseren?

    Lauterbach: Sehr häufig nicht. Teure Medikamente sind häufig sogar unsicherer als billigere Medikamente. Billigere Medikamente sind schon lange im Markt, und man kennt die Nebenwirkungen genau. Teure Medikamente sind häufig, nicht immer, noch nicht ausreichend getestet und bringen möglicherweise minimale Vorzüge, wenn überhaupt, bringen dafür aber gravierende Nebenwirkungen und oft erhebliche Zusatzkosten.

    Gerner: Warum kommen sie dann so inflationär auf den Markt? Da müsste sich doch der Verbraucherschutz alarmiert fühlen?

    Lauterbach: In der Tat müsste hier der Verbraucherschutz viel mehr bringen. Was jetzt von der Ministerin vorgeschlagen wurde, was aber auch erst im nächsten Jahr durchschlagen kann, ist eine sogenannte vierte Hürde. Das bedeutet, dass Arzneimittel, die deutlich teurer sind, auch besser sein müssen, sonst dürfen sie nicht teurer angeboten werden. Wir machen es den neuen Arzneimitteln derzeit zu leicht, in den Markt zu kommen.

    Gerner: Ich verstehe Sie richtig: Nicht nur eine Aufgabe für Ulla Schmidt, sondern auch für Verbraucherministerin Künast unter Umständen?

    Lauterbach: Unter Umständen ja, in der Tat, und auch für die Verbraucherverbände. Bislang hat man sich aus meiner Sicht zu wenig auch mit dem Verbraucherschutz beschäftigt. Zahlreiche Arzneimittel, die beispielsweise genau den gleichen Nutzen mitbringen wie alte Arzneimittel, werden für den dreifachen Preis angeboten werden. Hier fehlt völlig die Transparenz im Markt.

    Gerner: Sie beraten ja unter anderem die Bundesgesundheitsministerin im Rahmen des Sachverständigenrates. Was wird sie heute vorschlagen, um das erneute Milliardenloch zu stopfen?

    Lauterbach: Ich würde vorschlagen, ganz konsequent die Linie zu halten, die die Ministerin eingeschlagen hat. Es gibt diesen Vorschlag, wie eben schon besprochen: Die Arzneimittelinstrumente, die jetzt am Platz sind, müssen konsequent umgesetzt werden. Das Wichtigste ist die konsequente Einführung der Chronikerprogramme, denn hier werden 80 Prozent der Kosten produziert. Nur durch eine bessere Versorgung bei den Chronikern, wie ab dem 1.7 für Brustkrebs und für Zuckerkrankheit vorgesehen, lässt sich wirklich diese Kostendynamik durchbrechen, wenn auch nicht kurzfristig.

    Gerner: Sie sind nicht wie einige Kritiker in den Medien der Meinung, das Ulla Schmidt die Reform des Gesundheitssystems besser als bisher stellenweise hätte verkaufen können?

    Lauterbach: Ich glaube nicht, dass die Ministerin Politik schlecht verkauft, sondern ich glaube, dass zum Teil die Parteispitze der SPD die Reformbemühungen besser verkaufen könnte. Wir haben im Prinzip 20 Jahre nur reine Kostendämpfungspolitik gehabt. Das Instrument ist verbraucht. Da stimme ich übrigens auch der Ärztekammer zu - Präsident Hoppe hat es ja auch vorgetragen. Jetzt sind die ersten Maßnahmen zu einer deutlichen Qualitätsverbesserung zur Vermeidung teurer Komplikationen von Krankheiten unternommen worden, und das muss, aus meiner Sicht, aber auch von der Ärzteschaft, aktiv vertreten werden.

    Gerner: Ein neues Milliardenloch bei den Krankenkassen. Professor Karl Lauterbach war das, Mitglied im Sachverständigenrat für das Gesundheitswesen. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio