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Millionen für einen Schrei

120 Millionen für Edward Munchs "Der Schrei", 106,5 Millionen für einen Picasso - Kunst wird derzeit so hoch verkauft wie selten. Mit ein Grund: Der wachsende Einfluss der Auktionshäuser auf die Preisgestaltung. Dabei muss es nicht immer ein Unikat sein, das teuer unter den Hammer kommt.

Sacha Verna im Gespräch mit Karin Fischer | 03.05.2012
    Karin Fischer: Wer nicht geglaubt hätte, dass mit Munchs "Der Schrei", gestern Abend in New York versteigert, wieder ein Rekord gebrochen würde, müsste als naiv gelten. Die Welt ist staunend Zeuge, wie für Kunst Unsummen, wie es so schön heißt, den Besitzer wechseln. Dabei sind sie ganz real. Vor zwei Jahren wurde ein Picasso für 95 Millionen, mit Aufschlag 106,5 Millionen Dollar versteigert, gestern wurden insgesamt 120 Millionen für "Der Schrei" von Edvard Munch über den Tresen gereicht. Allein an Provision sind das 13 Millionen Dollar fürs Auktionshaus Sotheby's.

    Sacha Verna hat die Versteigerung in New York für uns verfolgt. Frau Verna: eine Kunstauktion muss man sich etwas gesetzter vorstellen als den normalen Bieter-Tag an der Börse. Wie ist das aber atmosphärisch in New York gewesen?

    Sacha Verna: Gestern Abend konnte man schon sehen, dass ein Großteil der Leute da waren wegen des Spektakels. Alle warteten darauf, dass an diesem Abend ein Rekord gebrochen wurde, und die Reihenfolge, in der Werke an einer Auktion versteigert werden, ist ja ganz genau geplant. In diesem Fall war "Der Schrei" Losnummer 20. Das heißt, während 20 anderen Werken wurden die Leute praktisch aufgeheizt und man konnte wirklich fühlen, wie da die Luft dicker und dicker wurde. Also es wurde dann schon tumultös, als die 100-Millionen-Dollar-Marke überschritten war. Als schließlich der Hammer fiel, brach das Publikum spontan in Applaus aus und man kam sich vor wie bei einem Fußballmatch oder so.

    Fischer: In 20 Jahren werden wir alle nach Katar fliegen müssen, um die europäischen Meisterwerke dort im Museum anzuschauen. So hat mein Kollege Stefan Koldehoff neulich hier in der Redaktion herumgeunkt. Und tatsächlich gibt es ja, Frau Verna, Gerüchte, der Käufer stamme aus Katar. Was wissen Sie?

    Verna: Es wird tatsächlich darüber spekuliert, dass es die königliche Familie von Katar sein könnte, die daran ist, sich ein Museumsimperium aufzubauen. Andere mögliche Käufer werden gehandelt der Microsoft-Millionär Paul Allen und der Financier Leonard Blavatnik. Das sind so die drei Namen, die da herumgereicht werden. Die Gerüchteküche brodelt und vielleicht kommt es dann wirklich irgendwann mal ans Licht, wer das ist, aber vorläufig weiß man es noch nicht.

    Fischer: Waren denn die Raubkunstvorwürfe gegen den "Schrei", die hier in Deutschland auch viel diskutiert waren, in den USA überhaupt ein Thema?

    Verna: In keiner Weise, denn bei einem so prestigeträchtigen Werk, da wäre das eine furchtbare Blamage für das Auktionshaus, wenn da irgendetwas schief ginge. Das heißt, Sotheby’s hat eine hervorragend arbeitende Provenienz-Abteilung, die im Vorfeld sichergestellt hat mit den Erben von Hugo Simon, in Zusammenhang mit dessen Namen diese Raubkunstvorwürfe aufkamen, sind mit denen im Kontakt gewesen und von Seiten der Simon-Erben sind keine rechtlichen Ansprüche zu erwarten. Von daher war das nie ein Thema hier.

    Fischer: Es gab weitere große Verkäufe gestern, einen Picasso für 26 und einen Dalí für 14,5 Millionen Dollar, das gilt inzwischen alles als völlig normal. Und auch wenn sympathische Maler wie Gerhard Richter es als "Irrsinn" bezeichnen, was da gerade in der Kunstwelt so vor sich geht, auch die Versteigerung seiner eigenen Werke: Woran liegt es denn, dass im Moment so viele Werke so teuer verkauft werden können?

    Verna: Was an diesen Summen vor allem deutlich wird, ist der Einfluss, den Auktionshäuser in den letzten Jahren auf die Preisgestaltung gewonnen haben. Das sind eben die Erzrivalen und Marktführer Sotheby's und Christie’s. Die bekämpfen sich ja bis aufs Blut, wenn es darum geht, bekannte Werke, wichtige Werke sich gegenseitig abzujagen und in ihren eigenen Auktionen zu platzieren. Also sie versuchen immer, sich gegenseitig zu überbieten, und das führt eben dazu, dass die Preise hochgeschaukelt werden – zum Teil völlig künstlich hochgeschaukelt werden, so dass es überhaupt nichts mehr mit der eigentlichen Sache zu tun hat, und es geht dann vielleicht einmal bis zu einem Punkt, wo es halt eben nicht mehr geht. Wir sind noch nicht da angekommen, aber das hat es Ende der 80er-Jahre ja auch schon gegeben, dass es dann einfach zusammenbrach.

    Fischer: Was ist denn Ihre persönliche Schlussfolgerung aus all dem?

    Verna: Mir fällt auf, dass es sich bei den teuersten Werken unserer Zeit offenbar um Multiple handelt und nicht mehr um Unikate. Das heißt, dieser Munch war einer von vier Versionen. Es scheint inzwischen zu einem Einverständnis darüber gekommen zu sein, dass eine limitierte Auflage eines verbreiteten Motivs besser ist als ein Unikat. Das heißt also, je verbreiteter ein Bild ist, von Kaffeetassen bis zu Duschvorhängen bis dann eben zu den Orten in Museen, die ja für das Prestige des Objekts dann garantieren, desto besser. Das ist mehr wert im allerwörtlichsten Sinn des Wortes.

    Fischer: Herzlichen Dank, Sacha Verna, die für uns aus New York von der Versteigerung von Munchs "Der Schrei" berichtete.