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Mimi für Millionen

Robert Dornhelms "La Boheme" in einer Verfilmung mit Anna Netrebko und Rolando Villazon kommt in die Kinos. Dem breiten Publikum werde der Film Freude machen, so die Ansicht von Carsten Voigt. Dornhelm habe Netrebko und Villazón ein filmisches Denkmal gesetzt. Gleichzeitig sei der Film ein Versuch, Leute der Oper wieder mehr zuzuführen.

Carsten Voigt im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Wenn mein Kollege Thomas Voigt ins Studio kommt, dann geht es meist um Opernpremieren und irgendwann auch um die Frage, wie hat denn das Publikum reagiert, Herr Voigt. Darüber zu sprechen, wird heute schwer, denn diesmal geht es nicht um Musiktheater auf der Bühne, sondern im Kino. In den Wiener Filmstudios am Rosenhügel, dort, wo schon die Sissi-Filme gedreht wurden, standen Anna Netrebko und ihr Dauerbühnenpartner Rolando Villazón gemeinsam vor der Kamera um Puccinis "La Bohème" zu verfilmen. Das Ergebnis ist nun in den Kinos zu sehen und zu hören. Thomas Voigt kam schon in den Genuss. Herr Voigt, der Film hat in der Regel eine ganz andere Dramaturgie, weil er andere Möglichkeiten hat, die es im Opernhaus so nicht gibt, Schnitte zum Beispiel oder Zeitblenden. Was unterscheidet denn "La Bohème" auf der Leinwand von "La Bohème" auf der Bühne?

    Thomas Voigt: Eine ganze Menge, weil natürlich das winterliche Paris und diese Mansarde, in der die ärmlichen Künstler wohnen, auf der Bühne ja eben eine Kunstästhetik haben muss und im Film man zu realistischeren Mitteln greifen kann. Ich hätte mir durchaus auch vorstellen können, dass man das an Originalschauplätzen gefilmt hätte wie zum Beispiel die Tosca, die man ja auch vor Jahren direkt da in Rom gefilmt hat, auch zur Originalzeiten, wo dann der dritte Akt früh morgens stattfand. Ob das bei "Bohème" aufgegangen ist oder wäre, weiß ich nicht. Nur, dieses Stück verträgt meiner Meinung nach nicht eine Zwischenlösung, die Robert Dornhelm für diesen Film gewählt hat, dass man versucht, den Realismus im Studio nachzubauen. Dann wirkt es leicht, dann sieht es immer nach bemalter Pappe aus und nach Kamerafahrten und aha, das haben die sich jetzt so gedacht. Man bekommt zu viel von der Technik und von dem Illusionstheater mit, dann will ich konsequenterweise sagen, gleich Bühne, abgefilmtes Theater.

    Koldehoff: Was Sie gesehen haben, war tatsächlich ein Spielfilm mit Musik?

    Voigt: So ist es. Der Soundtrack ist vorproduziert worden, der stammt vom April 2007. Die Live-Aufnahme gibt es als Soundtrack und das Ganze wurde dann im Frühjahr 2008 in Wien verfilmt mit einer Anna Netrebko, die zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war, ist auch im Film zu sehen, war auch ein Problem. Denn die Mimi, die ja schwindsüchtig sein soll, muss ja eigentlich immer kränklicher und schwächlicher zum Schluss hin aussehen, bei Netrebko war es halt umgekehrt und das war eine zusätzliche Schwierigkeit. Am Anfang tritt sie auch ziemlich glamourhaft auf, was für eine einfache Näherin auch nicht so ganz plausibel ist. Sie ist sehr sexy aus, so als hätte sie beschlossen, na, den armen Poeten, den schnapp ich mir jetzt, den verführe ich. Und ich finde, das haut nicht ganz hin.

    Koldehoff: Warum, glauben Sie, macht man so was überhaupt, Oper im Film? Von einem inszenatorischen Konzept kann da ja wahrscheinlich kaum die Rede sein?

    Voigt: Da ist schon ein Konzept. Die Frage ist, ob einem das gefällt. Ich glaube schon, dass es dem breiten Publikum gefallen wird, was zum ersten Mal eine Bohème sieht. Dieses Publikum wird mit dem Film zufrieden sein und da viele Sachen entdecken, die einfach Freude machen zum Gucken, auch die Schneemaschine, die da den Darstellern immer gewaltig die Flocken ins Gesicht pustet und so. Das ist alles schon gut gemacht. Das ist nicht die Sache. Und es wird sicherlich auch für diese unsterblichen Melodien, die jetzt zum 150. Geburtstag von Puccini wieder auf allen Wellen laufen, wird es bestimmt auch die nötige Werbung machen. Aber vor allen Dingen wollte Dornhelm für Netrebko und Villazón ein filmisches Denkmal setzen und das hat er getan.

    Koldehoff: Der Soundtrack, haben Sie gesagt, ist vorproduziert, das heißt wahrscheinlich auch, digital bearbeitet, gesäubert. Über stimmliche Qualität brauchen wir eigentlich gar nicht zu sprechen?

    Voigt: Nein, die stimmliche Qualität ist gut, auch wenn Villazón da schon so ein bisschen kriselte. Aber auf jeden Fall können die beiden sich hören lassen.

    ((O-Ton-Einspielung Soundtrack "La Bohème"))

    Koldehoff: Wird das denn, wenn Sie sagen, ein bisschen sieht das alles nach Pappe und Kulissenarchitektur aus, den positiven Aspekt haben, Leute in den Opernfilm zu ziehen, die vielleicht sonst nicht ins Opernhaus gehen würden?

    Voigt: Ich denke schon. Es gibt ja verschiedene Initiativen, die Leute wieder zur Oper zu bringen. Ob das nun Paul Potts ist mit "Nessun dorma" oder ob es die Live-Übertragungen sind von Opernhäusern. Es gibt immer wieder Versuche, Leute hinzuführen zu dieser Musik und ich kann nur sagen, jeder Versuch, jeder erfolgreiche Versuch muss uns recht sein. Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass, wer einmal Feuer gefangen hat, gerade bei Puccini sich dann auch für alles Weitere eben für die Bühnenkunst interessiert.

    Koldehoff: Und während er das gesagt hat, Thomas Voigt, haben seine Augen geleuchtet. Vielen Dank, Thomas Voigt, über "La Bohème", den Film, der jetzt in den Kinos anläuft.