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Minderheiten in den Medien
Unerhört? NDR sendet nicht auf dänisch

Die dänische Minderheit genießt in Schleswig-Holstein viele Rechte und hat mit dem SSW bis vor kurzem sogar in Kiel mitregiert. Medial sieht es in der Region für die rund 50.000 starke dänische Minderheit allerdings alles andere als rosig aus.

Von Johannes Kulms | 09.11.2017
    Journalistin May-Britt Petersen sitzt an einem Schreibtisch in der Redaktion der Tageszeitung Flensborg Avis.
    Journalistin May-Britt Petersen in der Redaktion der Flensburger Zeitung Flensborg Avis, die auf Dänisch und Deutsch erscheint. (Deutschlandradio / Johannes Kulms)
    Im Newsroom von Flensborg Avis dominiert eine große weiße Wand. Auf der prangt eine Karte in roter Farbe. Sie zeigt einen Teil von Schleswig-Holstein und einen von Dänemark. Eine Grenze ist dort nicht eingezeichnet. Daneben steht der Zeitungsname versehen mit einem Motto: "Vi gør Danmark lidt større...Also: Wir machen Dänemark ein kleines Stückchen größer…", übersetzt Redakteurin May-Britt Petersen den Spruch ins Deutsche.
    "Das gilt eigentlich nicht nur für unsere Zeitung, sondern die gesamte Minderheit. Dass halt Dänemark nicht nur von der Fläche her etwas größer wird. Sondern dass es insgesamt auch mehr Menschen gibt, auch hier auf der Seite der Grenze, die sich zu Dänemark hingezogen fühlen."
    Ein Viertel Artikel auf Deutsch, der Rest auf Dänisch
    Flensborg Avis – das ist das bekannteste, aber auch wichtigste Medium der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, zu der sich rund 50.000 Menschen zählen. Die täglich erscheinende Zeitung hat eine Auflage von etwa 6.500 Exemplaren. Rund ein Viertel der Artikel ist auf Deutsch, der Rest auf Dänisch.
    Früher wäre das nur schwer vorstellbar gewesen. In der oft blutigen Geschichte der deutsch-dänischen Grenzregion spielten die Medien eine wichtige Rolle, sagt Jørgen Møllekær. Er ist seit vier Jahren Chefredakteur von Flensborg Avis.
    "Flensborg Avis gibt es seit 1869, also von den damaligen Zeiten, wo wir uns noch die Köpfe abgerissen haben. Ein damals dänisches Kampfblatt, genau wie die deutschen Kollegen beim Flensburger Tageblatt ein preußisches Kampfblatt war."
    Heute arbeiten bei der Zeitung sowohl Journalisten mit deutscher als auch dänischer Herkunft zusammen. Ein bisschen wie beim Fernsehsender arte, findet Møllekær
    Dynamik und Ideen durch Zwei-Länder-Blick
    "Dadurch, dass wir den doppelten Blick immer haben für das Dänische und das Deutsche, kommt manchmal 'ne andere Dynamik, kommen manchmal andere Ideen auf in unserem Journalismus, weil wir eben in beiden Ländern recherchieren und Sachen vergleichen."
    Etwa sechs Millionen Euro Umsatz macht das Verlagshaus im Jahr, zu dem Flensborg Avis gehört. Rund die Hälfte davon käme als Zuwendung vom dänischen Staat. Journalistisch abhängig werde seine Zeitung dadurch aber nicht.
    "Ich schreibe viele kritische Leitartikel auch über den dänischen Ministerpräsidenten oder auch über seine Minister, wenn ich meine, dass sie für uns im Grenzland wichtige Themen falsch bearbeiten. Ohne, dass ich mich davor fürchten muss, dass jetzt die Zuschüsse verschwinden würden."
    Als Beispiel nennt er das Thema Grenzkontrollen. Seit mehreren Wochen setzt Kopenhagen dafür Soldaten ein.
    Keine dänischen Beiträge im NDR
    Auch der Norddeutsche Rundfunk berichtet über die Grenzregion. Doch Beiträge in dänischer Sprache sucht man im NDR-Fernsehen- oder Radio vergebens. Für Werner Junge, der im Kieler Landesfunkhaus die Redaktion Heimat, Kultur und Wissenschaft leitet, hat das vor allem einen Grund:
    "Wer dänisch hören will, wer dänisch sehen will, hat im gesamten Landesteil Schleswig und über technische Möglichkeiten auch darüber hinaus ein Riesen-Programmangebot auf Dänisch."
    Einmal pro Woche kann die friesische Minderheit auf Friesisch zumindest einen dreiminütigen Beitrag bei NDR 1 Welle Nord hören. In der Regionalsprache Niederdeutsch wird täglich gesendet. Das würden auch viele Schleswig-Holsteiner verstehen – anders als beim Dänisch, sagt Junge: "Wenn du als Ressource nur eine Welle hast, selbst mit der Möglichkeit, Subregionalität herzustellen, ist es natürlich die Frage: Kannst du auf dieser einen Welle dauernd Sprachwechsel vollziehen, dass die Leute dauernd zu Hause sitzen und sagen, ups, jetzt können wir es nicht mehr verstehen?"
    "Minderheitensprachen müssen medial geschützt werden"
    Dabei gibt es durchaus Radio-Nachrichten auf Dänisch, die in Deutschland produziert werden: Jeden Tag erstellt das Team von Flensborg Avis einen Nachrichtenblock. Ausgestrahlt wird er im nördlichen Sendegebiet von RSH– dem größten Privatradio von Schleswig-Holstein.
    Der NDR müsse hier nachziehen, fordert Jon Hardon Hansen. Er ist Vorsitzender der Sydslesvigsk Forening, zu Deutsch: Südschleswigscher Verein. Dieser sieht sich als kulturelles Sprachrohr der dänischen Minderheit.
    Hansen verweist auf die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats, die auch Deutschland ratifiziert hat.
    "Das heißt, die Minderheitensprachen müssen geschützt werden und sie müssen gefördert werden. Und das natürlich auch medial. Und klar, wir leben in einer Demokratie und da sind keine Verbindungen zwischen Presse und Politik. Aber trotzdem meine ich, hat der NDR auch einen Public-Service-Auftrag, die dänisch gesinnten Bürger, die in Schleswig-Holstein leben auch in ihrer Muttersprache zu bedienen."